1000er-Grenze aufgehoben «Dieses Jahr kommt es trotzdem nicht zu Grossevents»

Von Jennifer Furer und Gil Bieler

12.8.2020

Grossevents ab 1'000 Personen müssen ab Oktober vom Kanton bewilligt werden.
Grossevents ab 1'000 Personen müssen ab Oktober vom Kanton bewilligt werden.
Keystone

Der Bundesrat will Grossanlässe ab Oktober wieder erlauben. Das sorgt für unterschiedliche Reaktionen. Vor allem die Kantone zeigen sich enttäuscht.

Die 1'000er-Grenze fällt: Der Bundesrat hat heute Mittwoch entschieden, dass ab 1. Oktober Grossanlässe mit über tausend Personen wieder erlaubt sind. Doch so einfach ist das Ganze nicht, wie sich bei einem genaueren Blick zeigt.

Trotz des Entscheids des Bundesrats ist nämlich die lang ersehnte Planbarkeit von Events nicht automatisch wiederhergestellt. Denn: Ob ein Grossanlass durchgeführt werden kann, entscheidet der Kanton.

Wie Gesundheitsminister Alain Berset an der Pressekonferenz ausführte, können diese eine bereits getätigte Bewilligung kurzfristig wieder zurückziehen. Die Kantone haben also das letzte Wort, wenn es darum geht, wo, wann und wie Veranstaltungen durchgeführt werden können.

«Müssen lernen, mit dem Virus zu leben»

«Die andere Alternative wäre, Grossanlässe weiterhin zu verbieten», sagte Berset. Diesen Weg wolle man nicht gehen. «Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben», begründete der Gesundheitsminister. Sollte sich aber herausstellen, dass die epidemiologische Situation ausser Kontrolle gerate, müsse der Entscheide rückgängig gemacht werden.

Für die Kantone ist die Situation alles andere als erfreulich. Schliesslich sind es sie, die im Endeffekt als Buhmann dastehen, wenn ein Grossanlass nicht bewilligt wird – und nicht der Bund.

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Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga sagte an der Pressekonferenz, dass die Mehrheit der Kantone bis Ende Jahr habe zuwarten wollen. Grund: Bereits jetzt staut sich bei ihnen wegen des Contact Tracings viel Arbeit an, die Ressourcen sind knapp.

Wie aus einer Mitteilung der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) zu entnehmen ist, fühlt man sich bei den Kantonen vom Bund im Stich gelassen. Sie wünschen sich schweizweit einheitliche Bewilligungskriterien. Diese Kriterien, zu denen taugliche Schutzkonzepte gehören, gelte es nun auszuarbeiten und in der Covid-19-Verordnung besondere Lage zu verankern.

Sport- und Kulturorganisationen in Verantwortung

Ein anderer Kritikpunkt betrifft die aktuellen Corona-Fallzahlen. Die Zahl der Neuinfektionen lag am Mittwoch bei 274 – so hoch wie schon lange nicht mehr. Die GDK spricht von einer nach wie vor instabilen epidemiologischen Lage. Würde die Lockerung der Massnahmen zu einem Anstieg führen, müssten wieder neue Massnahmen ergriffen werden. Diese würden dann wieder die Gesamtwirtschaft treffen.

Mit der Lockerung stünden die Veranstalter nun in der Mitverantwortung, erneute Einschränkungen möglichst zu verhindern, so die GDK. «Es hängt massgeblich von den Sport- und Kulturorganisationen sowie den Veranstaltern ab, ob sich die Öffnung im Bereich der Grossveranstaltungen bewährt», sagt Präsident Lukas Engelberger.

Keine Planbarkeit

Dass es in naher Zukunft überhaupt zu Grossanlässen kommt, bezweifelt Jürg Schwarz, CEO der Habegger AG mit Sitz in Regensdorf ZH. Als eine der grössten Schweizer Firmen im Eventbereich setzt sie nicht nur im Inland, sondern weltweit Projekte in den Bereichen Event, Erlebnisräume, Ausstellungen und Filmproduktion um.

«Es ist gut, dass der Bund sich offen zeigt, den Weg zu gehen und Grossanlässe formell wieder zu erlauben», so Schwarz. Es sei aber klar, dass die Umsetzung der neuen Regelung nicht dazu führen werde, dass es nun bereits in diesem Jahr zu Grossevents kommen wird. «Die Aufhebung der 1000er-Grenze verändert so heute für die Veranstaltungsbranche nichts.»

Grund: Die Planbarkeit für Veranstalter fehle noch immer. «Wenn ein Veranstalter keine Sicherheit hat, wird er keinen Grossanlass planen, geschweige denn durchführen», so Schwarz.

«2021 schon abgeschrieben»

Schwarz will nun abwarten, wie sich die Pandemie entwickelt. «Wir rechnen allerdings frühestens im März bis September nächsten Jahres mit Grossevents», sagt der CEO. Es gebe gar Konzerne, die ihre Veranstaltungen auf den Frühling 2022 verschoben haben. «Diese haben das Jahr 2021 schon abgeschrieben.»

Kritik am Bund gibt es von Schwarz dennoch nicht. «Wir befinden uns in einer Krise. Die Gesundheit aller steht an erster Stelle.» Es gelte, dass alle an einem Strang ziehen – und langsam in Richtung neue Normalität mit dem Virus zu steuern.

Schwarz wünscht sich aber, dass nun schweizweit einheitliche Regeln gelten, wie es auch die GDK fordert. «Es kann nicht sein, dass es 26 verschiedene Kantonsversionen gibt.» Die Umsetzung sei für alle Beteiligten einfacher, wenn beispielsweise definiert werde, bei wie vielen Fallzahlen ein Grossanlass abgesagt werden kann.

330 Millionen Franken Verlust

Auch Stefan Breitenmoser, Geschäftsführer des Branchenverbandes SMPA, glaubt nicht an eine Rückkehr zum Normalbetrieb in diesem Jahr. Mit grossen Konzerten, Shows oder Festivals rechnet er bis Ende Jahr gar nicht mehr. Doch die Saison 2021 könne man nun etwas optimistischer planen.

Aus Sicht der Schweizer Konzert-, Show- und Festivalveranstalter gehe es nun vor allem darum, Schutzkonzepte zu finden, mit denen man wieder das Vertrauen der Leute gewinnen könne.

Breitenmoser ist zuversichtlich, dass dies im Austausch mit den Behörden gelinge. Es sei schliesslich nicht jede Veranstaltung gleich: «Einen Anlass nur mit Sitzplätzen kann man einfacher coronakonfrom durchführen als ein Konzert mit Stehplätzen.»

Anderweitige Sicherheit: Geld

Dass Grossveranstaltungen seit Ende Februar verboten waren und der Festivalsommer ins Wasser gefallen ist, hat den Mitgliedern des Branchenverbands verheerende Ausfälle beschert: Breitenmoser spricht von Umsatzeinbussen von 330 Millionen Franken, ein Einbruch um 85 Prozent.

Beim SMPA begrüsst man  den Entscheid des Bundesrats: «Das gibt uns eine gewisse Perspektive und Planungssicherheit», sagt Breitenmoser.

Versöhnlich zeigt sich auch Alexander Bücheli, Sprecher der Schweizer Bar- und Clubkommission. «Es ist absolut verständlich, dass wir heute nicht sagen können, wie die Lage im Oktober aussehen wird.» Deshalb sei nachvollziehbar, dass Veranstaltungen über 1'000 Personen nicht ohne Weiteres erlaubt werden.

«Wir sind Realisten und die Gesundheit der Bevölkerung geht vor», so Bücheli. Eine Planbarkeit sei schwierig einzufordern, ist er sich bewusst. «Deshalb braucht es anderweitige Sicherheit.»

Er spricht die Entschädigung von Bars und Clubs an. «Diese muss weiterlaufen und wenn nötig angepasst werden.» Es brauche ein klares Bekenntnis, damit die Unsicherheit aufgefangen werden könne.

Und so reagiert das Netz auf die Aufhebung der 1'000er-Regel:

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