Was bleibt? Zuwanderung, Kampfjets, Steuern – das gab in dieser Legislatur zu reden

Von Anna Kappeler/Gil Bieler

27.9.2019

Die Vereinigte Bundesversammlung nach der Wahl von Karin Keller-Sutter und Viola Amherd in den Bundesrat.
Die Vereinigte Bundesversammlung nach der Wahl von Karin Keller-Sutter und Viola Amherd in den Bundesrat.
Bild:  Keystone

Von der AHV-Reform bis zum Streit um die Zuwanderung: National- und Ständeräte mussten die letzten vier Jahre viele heisse Eisen anpacken. Eine Bilanz zur ausklingenden 50. Legislatur der eidgenössischen Räte. 

Die Politikerinnen und Politiker, die wiedergewählt werden, sie alle arbeiten auf diesen Tag hin, und in rund drei Wochen ist es so weit.

Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Nach den Schlussabstimmungen dieser Herbstsession und dem gestrigen gemeinsamen Abschiedsapèro aller National- und Ständeräte blickt «Bluewin» zurück. Und sagt, was von den letzten vier Jahren hängengeblieben ist. 

Doch zuerst einige Zahlen: Die Schweizer sagen Nein, oft und gern. Seit 2016 wurden sämtliche Initiativen an der Urne abgeschmettert. Das letzte Mal war diese Häufung an Ablehnung in den 1990er-Jahren vorgekommen. Es waren ganze 16 Stück, und dennoch weniger als in den Jahren davor. Und: 2017 stimmte das Volk über keine einzige Initiative ab. Das sei «historisch», rechnete die «Aargauer Zeitung» vor – seit 34 Jahren sei dies nicht mehr vorgekommen.

Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter – das bringt die AHV in Schieflage.
Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter – das bringt die AHV in Schieflage.
Bild: Keystone

1. Altersvorsorge

Das wurde beschlossen: Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist das Schweizer Sozialwerk Nummer eins – doch wegen der wachsenden Zahl von Rentnerinnen und Rentnern ist die AHV in Schieflage geraten und muss dringend saniert werden. 2017 schiffte die «AHV 2020» an der Urne ab. Und damit sind wir auch schon beim Kern des Problems: Seit 20 Jahren war keine AHV-Reform mehr erfolgreich. Ständeräte zimmerten deshalb die sogenannte Staf, die «Steuerreform und die AHV-Finanzierung», bei der der AHV-Teil mit Unternehmenssteuern verknüpft wurde. Dazu sagte das Volk diesen Frühling Ja.

Was heisst das jetzt? Zwar bekommt die AHV durch das Ja zur Staf rund zwei Milliarden Franken mehr pro Jahr. Doch das reicht nirgends hin. Gemäss einer aktuellen Finanzperspektive des Bundes fehlen der AHV bereits 2030 rund fünf Milliarden Franken. Gesundheitsminister Alain Berset will mit der neuen AHV-21-Reform deshalb etwa die Mehrwertsteuer erhöhen und das Frauenrentenalter auf 65 erhöhen. Damit würde das Geld je nach Rechnung bis 2027 oder 2028 reichen. Das Thema bleibt also hochaktuell.

Geldbündel mit Schweizer Franken liegen auf einem Tisch.
Geldbündel mit Schweizer Franken liegen auf einem Tisch.
Bild: Keystone

2. Steuersystem

Das wurde beschlossen: Das Thema ist komplex, aber wichtig, weil es um sehr viel Geld geht. Bereits 1997 und 2008 gab es Unternehmenssteuerreformen (USR). In dieser Legislatur folgte der dritte Streich – doch dieser wurde 2017 vom Stimmvolk überraschend deutlich bachab geschickt. Die USR III hatten die Politiker nicht freiwillig gemacht, sondern musste damit auf Druck der EU und der OECD reagieren, um nicht auf einer schwarzen Liste zu landen. Der Kern: Die Besteuerung bestimmter Firmentypen sollte internationalen Normen folgen, gleichzeitig soll das Steuersystem wettbewerbsfähig bleiben. Neue Steuerabzugsmöglichkeiten sollen also verhindern, dass diese Unternehmen abwandern. Und so kamen die Politiker auf die Idee, zwei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen und eine Neuauflage der USR mit der AHV-Reform zur bereits erwähnten Staf zu verbinden.

Was heisst das jetzt? Der Staf sei es zu verdanken, dass diese Legislatur in zwei wichtigen Dossiers nicht komplett Schiffbruch erlitten habe, wie viele Beobachter nach der Abstimmung kommentierten. Aktuell läuft die Umsetzung der eidgenössischen Steuervorlage in den Kantonen. Viele Stände wie etwa Zürich oder Basel-Stadt haben dazu vom Volk bereits grünes Licht bekommen. Doch eine Prognose von Steuerausfällen ist schwierig, weil es viele Unsicherheiten gibt. Sagen kann beispielsweise niemand genau, ob und wie viele Firmen tatsächlich abwandern würden. Auf nationaler Ebene rechnet man mit Ausfällen von rund zwei Milliarden – dem Betrag also, den die AHV durch die Staf erhält.

Nationalräte der SVP halten im Dezember 2016 im Nationalrat Plakate mit der Aufschrift «Verfassungsbruch» und «Massenzuwanderung geht weiter» hoch.
Nationalräte der SVP halten im Dezember 2016 im Nationalrat Plakate mit der Aufschrift «Verfassungsbruch» und «Massenzuwanderung geht weiter» hoch.
Bild:  Keystone

3. Zuwanderung

Das wurde beschlossen: Das Volks-Ja zur Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014 hallt bis weit in die nun ausklingende Legislatur nach. Die Initiative der SVP lässt nicht nur die Emotionen landauf, landab hochkochen, sie bringt Bundesbern in eine Zwickmühle: Die Schweiz soll nach dem Willen der Stimmbevölkerung die Zuwanderung wieder mit Kontingenten und Höchstzahlen selber steuern – was gegen die Personenfreizügigkeit mit der EU verstösst.

Was heisst das jetzt? Die SVP beklagt bis heute bei jeder Gelegenheit, der Volkswille sei nicht umgesetzt worden. Das Parlament muss sich an der Quadratur des Kreises versuchen: In der Wintersession 2016 entsteht so der «Inländervorrang light». Will heissen: In gewissen Branchen werden Unternehmen verpflichtet, bei hoher Arbeitslosigkeit ihre Arbeitskräfte zuerst im Inland zu rekrutieren. Diese Stellenmeldepflicht gilt seit dem 1. Juli 2018 bei einer Arbeitslosenquote von acht Prozent und mehr. Per 1. Januar 2020 wird dieser Wert auf fünf Prozent gesenkt.

Und was macht die SVP? Sie legt nach und unternimmt mit der Begrenzungsinitiative einen neuen Versuch, die Zuwanderung einzudämmen. In der eben zu Ende gehenden Herbstsession verwirft der Nationalrat nach einer achtstündigen Monsterdebatte die Initiative mit 123 zu 63 Stimmen, bei drei Enthaltungen. Die SVP: mit ihrer Position alleine.

Bundesrätin Viola Amherd und der neue Chef der Armee, Thomas Süssli.
Bundesrätin Viola Amherd und der neue Chef der Armee, Thomas Süssli.
Bild: Keystone

4. Armee

Das wurde beschlossen: Mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks sorgt die Armee für Schlagzeilen. Sei es wegen ihrer Rekrutierungsprobleme beim Nachwuchs, der Neubesetzung ihres Chefs (auf Philippe Rebord folgt per 2020 überraschend Thomas Süssli) oder weil das Parlament die Hürden zum beliebten Zivildienst erschwert.

Doch es gibt in dieser Legislatur auch Historisches zu berichten: Seit Anfang Jahr wird das Verteidigungsdepartement mit der Walliser CVPlerin Viola Amherd erstmals überhaupt von einer Frau geführt. Zuerst wollte sie nicht, nun scheint sie aufzuräumen.

Ihr grösstes Projekt: Die Beschaffung einer neuen Luftverteidigung, bestehend aus Kampfjets und Abwehrraketen. Kein einfaches Unterfangen nach dem Gripen-Absturz im Jahr 2014. Kostenpunkt für die neuen Jets: Sechs Milliarden. Bleiben zwei Milliarden für die Abwehrraketen, über die das Volk nicht befinden kann, nachdem Amherd das Paket getrennt hat.

Was heisst das jetzt? Noch bis 2030 sollen die Kampfjets des Typs F/A-18 fliegen, danach müssen laut Armee neue her. Zur Auswahl stehen mit Eurofighter, Rafale, F/A-18 Super Hornet und F-35 vier Typen. Wohl im Herbst 2020 wird das Volk in einem Grundsatzentscheid über das Budget für die Jets befinden – den Typenentscheid will der Bundesrat erst danach Ende 2020 fällen. Da neben der Luftabwehr auch andere Systeme ersetzt werden müssen, soll das Armeebudget ab 2021 jährlich um 1,4 Prozent wachsen.

SBB-CEO Andreas Meyer, der damalige Bundespräsident Johann Schneider-Ammann und die damalige Verkehrsministerin Doris Leuthard bei der Eröffnung 2016.
SBB-CEO Andreas Meyer, der damalige Bundespräsident Johann Schneider-Ammann und die damalige Verkehrsministerin Doris Leuthard bei der Eröffnung 2016.
Bild: Keystone

5. Verkehr

Das wurde beschlossen: Bei den Infrastrukturprojekten konnte das Parlament in dieser Legislatur aus dem Vollen schöpfen. Das Stimmvolk sagte 2017 deutlich Ja zum Strassen-Fonds NAF. Und auch für den Schienenverkehr stand dank der bereits zuvor angenommenen Fabi-Vorlage ein prall gefüllter Fonds bereit. Zudem hat Doris Leuthard – Verkehrsministerin bis Ende letzten Jahres – mit dem neuen Gotthard-Basistunnel im Juni 2016 ein Jahrhundertbauwerk einweihen können.

Was heisst das jetzt? Der Bund hat sowohl für das Strassen- wie auch das Schienennetz milliardenschwere Ausbauprojekte aufgegleist. Und weil in einem Wahljahr so gut wie jeder Parlamentarier ein «Zückerli» für seine Region herausholen will, wird die Liste an Projekten bei der Beratung im Parlament munter erweitert. Ein genervter Finanzminister Ueli Maurer kritisierte, das Geld werde «unkontrolliert verteilt».

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite