Private Schutzräume Die Schweiz sucht weiterhin Schutz im Bunker

Von Stefan Michel

29.4.2023

Seit 1963 muss für jeden Menschen in der Schweiz Platz in einem Schutzraum sein. Viele haben ihre eigenen Bunker im Privathaus.  
Seit 1963 muss für jeden Menschen in der Schweiz Platz in einem Schutzraum sein. Viele haben ihre eigenen Bunker im Privathaus.  
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Die Tage des Mini-Schutzraums im Keller des Einfamilienhauses sind gezählt. Oder doch nicht? So schnell stehen keine neuen Schutzräume zur Verfügung. Und ob Neubau oder Erhalt der alten Räume, teuer wird es sowieso.

Von Stefan Michel

Jeder Mensch in der Schweiz findet im Notfall Platz in einem Schutzraum. Die unterirdische Schweiz ist ein Kind des Kalten Kriegs und weltweit nahezu einmalig. Die Berner Geschichtsprofessorin Silvia Berger Ziaouddin hat es einmal so ausgedrückt: «Mit diesem Konzept des optimierten Zivilschutzbunkers verfestigte sich der Glaube, dass Sicherheit und Überleben auch im Falle einer atomaren Apokalypse möglich sind. Das führte in der Schweiz zu einem weltweit beispiellosen Einsatz von finanziellen Mitteln und Beton.»

Diese Bunker-Mentalität wird immer wieder belächelt, Friedrich Dürrenmatt hat geschrieben, «Der Schweizer ist ein vorsintflutliches Wesen in Erwartung der Sintflut.». Tatsache ist: das Prinzip, ein Schutzraum für jede und jeden, gilt bis heute und die Plätze stehen tatsächlich zur Verfügung. Zumindest der unterirdische Platz dafür. Nicht alle sind wirklich betriebsbereit. Innert fünf Tagen müssen sie bezogen werden können, ist die Vorgabe des Bundes. 

Besonders die Kleinst-Schutzräume in Einfamilienhäusern für fünf bis sieben Personen haben den Mythos der Bunker-Schweiz geprägt. Doch sie sind weit mehr als Folklore. Alle zehn Jahre wird jeder Schutzraum durch die zuständige Behörde überprüft. Es sind rund 370'000 Schutzräume mit rund 9 Millionen Schutzplätzen vorhanden. Zehn Prozent davon sind Kleinst-Schutzräume mit fünf bis sieben Schutzplätzen. «Werden Mängel festgestellt, müssen die Eigentümer der Liegenschaft die Mängel beheben», hält Urs Marti fest. Als Leiter Amt für Zivilschutz und Militär ist er im Kanton Zug zuständig für die Schutzräume. Er leitet zudem die Konferenz der kantonalen Verantwortlichen für Militär, Bevölkerungsschutz und Zivilschutz (KVMBZ).

Kleinst-Schutzräume sind aufwendiger

Sind die Tage der Kleinst-Schutzräume gezählt? «Wer ein Einfamilienhaus baut, muss seit 2011 keinen eigenen Schutzraum mehr erstellen», erklärt Marti. Vorgeschrieben sind diese erst bei Wohnliegenschaften mit mindestens 38 Zimmern. Der Zivilschutz könne bei einer längeren Krise gar nicht alle Kleinst-Schutzräume betreuen, fügt Marti an. Es sei deshalb sinnvoller, die Leute in weniger und dafür grösseren Schutzräumen unterzubringen.

Weiterhin besteht die Schutzraum-Pflicht in Wohnliegenschaften. Bauherr*innen sind verpflichtet eine Ersatzabgabe zu leisten, wenn nicht ein Schutzraum erstellt wird. 400 bis 800 Franken pro Schutzplatz betrage diese je nach Kanton, sagt Marti.

Der Bund will das Schutzraum-System der Schweiz erneuern und arbeitet an einem neuen Konzept. Dieses ist noch nicht öffentlich, doch sind Teile daraus bekannt geworden, SRF hat darüber berichtet

Die Regierungskonferenz Militär Zivilschutz Feuerwehr (RK MZF), in deren Vorstand Urs Marti eingebunden ist, kritisiert das Konzept in seiner aktuellen Form. Diese Stellungnahme liegt blue News vor.

Ob Erhalt oder Neubau – Schutzräume kosten

Daraus wird klar, dass der Abschied von den Kleinschutzräumen nicht so einfach ist. Marti erklärt: «Es braucht eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen. Das braucht Zeit. Und schliesslich werden Schutzräume nur gebaut, wenn auch sonst gebaut wird.» Er rechnet deshalb mit zehn bis zwanzig Jahren, bis die Kleinst-Schutzräume tatsächlich durch grössere Schutzräume abgelöst werden können.

Und das bringt neue Probleme mit sich, auf die die RK MZF in ihrer Stellungnahme hinweist. So hätten viele private Schutzräume Lüftungsaggregate, die 40 Jahre alt seien und ersetzt werden müssten. Es wird mit Kosten von rund 4000 Franken pro Gerät gerechnet.

Im Kanton Bern etwa müssten 30'000 Geräte ersetzt werden. Das verursache Kosten von 120 Millionen Franken. Im Fonds für diesen Zweck lägen aber nur 80 Millionen. Der Bund müsse klären, wie der Erhalt der Kleinst-Schutzräume finanziert werden soll. Auch der dafür nötige Finanzbedarf sei nicht geklärt. Und zusätzlich müssten ja neue Schutzräume  gebaut werden, heisst es in der Stellungnahme.

Ukraine lässt Interesse an Schutzräumen ansteigen

Aber glauben die Menschen in der Schweiz überhaupt noch an dieses im Kalten Krieg aufgebaute System? Wollen Sie ihr Geld für den Erhalt einer sicheren Schweiz aufwenden? Marti sagt ja: «Nach dem russischen Einfall in der Ukraine haben sich viele Leute gemeldet und erkundigt, ob sie Plätze in einem Schutzraum hätten. Und auch andere Länder haben sich in der Schweiz erkundigt, wie das Schweizer System aufgebaut ist.»

Besagte Länder nannte Urs Marti nicht, aber sie lägen näher an der Ukraine als die Schweiz.

Fragen und Antworten: So steht es also um meinen Schutzraum

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blue News Redaktorin Nicole Agostini ist Mieterin in Zürich. In ihrem Keller befindet sich ein privater Schutzraum. Sie hat sich dort umgeschaut und mit einem Experten gesprochen.

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