Helfen Steuergeschenke? In der Schweiz landet viel zu viel Essen im Abfall

Von Julia Käser

1.3.2021

Noch verwendbare Lebensmittel im Wert von 600 Franken landen jedes Jahr durchschnittlich im Abfall eines einzelnen Schweizer Haushaltes.
Noch verwendbare Lebensmittel im Wert von 600 Franken landen jedes Jahr durchschnittlich im Abfall eines einzelnen Schweizer Haushaltes.
Bild: Keystone

2,6 Millionen Tonnen Lebensmittel gehen in der Schweiz jährlich verloren. Die Mehrheit der Bevölkerung ist bereit, mehr gegen Food Waste zu tun. Der Ständerat will das Problem nun auf unkonventionelle Art angehen.

Das Ziel ist klar: Bis 2030 sollen die Lebensmittelabfälle pro Kopf in der Schweiz halbiert werden. Vorerst weniger klar ist der Weg dahin, denn angesetzt werden muss auf jeder Stufe der Produktions- und Lieferkette – vom Landwirtschaftsbetrieb über den Detailhändler bis zum Privathaushalt. 

Insgesamt fallen laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) hierzulande jährlich 2,6 Millionen Tonnen Lebensmittelverluste an. Zwei Drittel davon –  also gut 1,7 Millionen Tonnen – wären vermeidbar, weil die Nahrungsmittel zum Zeitpunkt der Entsorgung noch essbar wären. 

Besonders viele vermeidbare Lebensmittelabfälle macht das Bafu im Detailhandel aus: Von den rund 100'000 Tonnen Lebensmittelverlusten, die dort jährlich anfallen, könnten 95 Prozent vermieden werden. 

Im Ausland sind Steuererleichterungen bereits Realität

Im Detailhandel will auch Mitte-Ständerat Peter Hegglin ansetzen und wählt einen neuen Lösungsweg. Statt auf Sensibilisierungskampagnen setzt er auf steuerliche Anreize. Konkret: Detailhändler, die Lebensmittel spenden statt wegwerfen, sollen von Steuererleichterungen profitieren.

Stand jetzt gebe es noch zu viele Hürden für Detailhandelsunternehmen, die Esswaren, die sich nicht mehr verkaufen liessen, spenden wollen, argumentiert Hegglin. So sei es etwa administrativ einfacher, Lebensmittel wegzuwerfen, als sie an eine gemeinnützige Organisation weiterzugeben. 

In diversen EU-Staaten gibt es bereits entsprechende Anreize für Unternehmen, die Lebensmittelreste spenden. Auch eine knappe Mehrheit im Ständerat konnte sich für das Vorhaben begeistern und hat den Vorstoss von Hegglin im September gutgeheissen. Nun ist der Nationalrat am Zug. 

Der Bundesrat hingegen hält nicht viel von der Idee, das Food-Waste-Problem mit steuerpolitischen Massnahmen anzugehen. Er ist derzeit daran, einen Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung zu erarbeiten. Zudem soll im Lebensmittelgesetz eine Grundlage für besondere Bestimmungen zur Abgabe geschaffen werden. 

Es liesse sich Kohlendioxid von 500'000 Autos einsparen

Tatsache ist, dass Hegglins Vorstoss nicht ausreichen wird. Im Gross- und Detailhandel entstehen ungefähr 10 Prozent der Lebensmittelverluste – das entspricht dem kleinsten Teil des gesamten Food Waste. Am meisten Lebensmittel landen in den Haushalten im Abfall. Die weggeworfenen Esswaren haben dabei im Schnitt einen Wert von 600 Franken.

Verschwendete Nahrungsmittel belasten jedoch nicht nur den Geldbeutel, sondern vor allem die Umwelt. Wenn sämtliche Beteiligte den Food Waste um einen Drittel reduzierten, liesse sich jene Menge an CO₂ einsparen, die 500'000 Autos jährlich verbrauchen, rechnet der WWF vor.

Bei der Umweltbelastung kommt es auch darauf an, auf welcher Stufe der Produktions- und Lieferkette ein Lebensmittel weggeworfen wird. Es gilt: Je später, desto schlimmer. Mit jeder Stufe werden mehr Ressourcen verbraucht und mehr Emissionen verursacht. Für die Umwelt also sind die Lebensmittel, die zu Hause oder im Restaurant im Abfall landen, am schädlichsten. 

Die Gründe für die vielen vermeidbaren Lebensmittelabfälle in Haushalten liegen laut dem Bafu vor allem darin, dass das entsprechende Wissen über Lagerung, Haltbarkeit und Resteverwertung fehlt. Zudem sei das Bewusstsein für den Wert von Nahrungsmitteln mangelhaft. Auch die Wahrnehmung über die eigene Verschwendung von Lebensmitteln lasse zu wünschen übrig. 

«Vermeiden Sie unnötige Einkäufe»

Trotzdem: Die Mehrheit der Bevölkerung ist bereit, etwas gegen Food Waste zu tun, und hält diesen vor allem für ein moralisches und wirtschaftliches Problem. Das zeigt eine Befragung der ETH im Rahmen des Schweizer Umweltpanels. Stärkere und verbindlichere Massnahmen seitens des Staates werden ebenfalls mehrheitlich befürwortet.

Denkbar wären beispielsweise breit angelegte Info-Kampagnen des Bundes und eine stärkere Thematisierung von Lebensmittelverschwendung in Schulen und in der Berufsbildung. Aber auch eine Entsorgungsgebühr für Lebensmittelabfälle von Unternehmen oder die gesetzliche Verpflichtung, Lebensmittelabfälle bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. 

Beim WWF verweist man noch einmal auf die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen. Die Umweltschutzorganisation empfiehlt ganz einfach, gründlich in den eigenen Kühlschrank zu schauen: «Vermeiden Sie unnötige Einkäufe.»

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