Unerwünschte Öffentlichkeit Die Rockerbanden würden sich lieber im Geheimen bekriegen

gbi

1.6.2022

Polizei muss an Berner Rocker-Prozess verfeindete Gruppen trennen

Polizei muss an Berner Rocker-Prozess verfeindete Gruppen trennen

Am ersten Prozesstag gegen Mitglieder verfeindeter Rockerbanden flogen am Montag in Bern zwischen Hells Angels und Bandidos die Steine. Die Polizei musste die Gruppen trennen und es kam zu Behinderungen des Verkehrs.

30.05.2022

Sie mögen es lieber diskret und tragen Streit normalerweise nach eigenen, unzimperlichen Regeln aus. Der Prozess in Bern wirft ein Schlaglicht auf die Rockerbanden im Land. 

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Mehrere Hundert Rocker, die in Bern lautstark Parolen skandieren, sich prügeln, Steine werfen; die Polizei, die Wasserwerfer und Gummigeschosse einsetzt: Die Bilder rund um den «Rockerprozess» sind nichts, was in der Schweiz alltäglich wäre.

Dass die 1948 in Kalifornien gegründeten Hells Angels hierzulande aktiv sind, ist natürlich kein Geheimnis. Doch im Alltag spüren davon die wenigsten Schweizer*innen etwas. Der Prozess, bei dem sich 22 Mitglieder der verfeindeten Motorradclubs Hells Angels/Broncos und der Bandidos vor Gericht stehen, wirft ein Schlaglicht auf die Rockerbanden im Land. Und zeigt, wie unzimperlich deren Mitglieder bei Konflikten vorgehen.

«Kein Berner Phänomen»

Das beginnt schon beim Auslöser des Prozesses, einer Auseinandersetzung, bei der es im Mai 2019 im Berner Vorort Belp mehrere Schwerverletzte gab. Und erst kürzlich hatten in Genf zwei Mitglieder der Hells Angels und Bandidos mitten in einer Bar aufeinander geschossen. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. 

«Bandenkriminalität ist kein Berner Phänomen, sondern ein Schweizer Phänomen», hält der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause im Gespräch mit blue News fest. Lange Jahre habe kein neuer Motorradclub in die Schweiz gedrängt, bis vor wenigen Jahren die Bandidos auf den Plan getreten seien. Was zum Machtkampf mit den Hells Angels, den langjährigen Platzhirschen, geführt habe.

Der Zürcher Anwalt Valentin Landmann, der den Hells Angels nahesteht, sieht das ähnlich – wobei er im «Tages-Anzeiger» die Schuld an der Gewalteskalation bei den neuen Akteuren sieht. «In der Szene in der Schweiz herrschte fünfzig Jahre lang Frieden. Jetzt wollen gewisse Kreise den Krieg aus dem Ausland zu uns importieren», sagt Landmann.

Die Hells Angels seien als einziger Motorrad-Club (MC) seit Jahrzehnten in der Schweiz präsent, bestätigt das Bundesamt für Polizei (Fedpol). Sie würden für sich «eine übergeordnete Stellung» beanspruchen. «Wer sich über die internen Regeln dieser Szene hinwegsetzt, muss mit Repressionen seitens der Hells Angels bzw. deren Unterstützer rechnen.» Auf ihrer Website listen die Hells Angels all jene Clubs auf, die sie dulden.

Seit einigen Jahren stelle das Fedpol fest, dass neue Rocker- oder rockerähnliche Gruppen – die ähnlich operierten, in denen das Motorrad aber nicht so eine zentrale Rolle spiele – in der Schweiz Fuss fassen wollten. In den meisten Fällen hätten sich diese Gruppen aber wieder aufgelöst, mitunter aufgrund des Drucks von anderen Gruppen. Eine Ausnahme seien die 2010 gegründeten Outlaws.

Die Bandidos wiederum seien seit 2021 mit zwei Ablegern in der Schweiz präsent. Beim Fedpol geht man «von einer tiefen zweistelligen Anzahl Angehöriger» aus. «Zwischen dem Hells Angels MC und dem Bandidos MC besteht in der Schweiz eine Rivalität; die Bildung von Schweizer Bandidos-Ableger hat die Spannungen zwischen den beiden MC verschärft.»

Das Fedpol spricht von mehreren, teils strafrechtlich relevanten Vorfällen, die auf diese Rivalität zurückgingen. Der jüngste Vorfall in Genf «illustriert dieses Gewaltpotenzial, das zwischen diesen rivalisierenden Motorradgruppen besteht».

Aufmerksamkeit ist selten erwünscht

Normalerweise agierten Rockergruppierungen unauffällig, sagt der Gewaltforscher Dirk Baier von der ZHAW. «Ihr Geschäftsmodell, das unter anderem auf Drogen-, Waffen- und Menschenhandel basiert, ist gefährdet, wenn die Gruppierungen zu stark im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. In dem Milieu kommt es meist dann zu Gewalt, wenn neue Gruppierungen auftauchen, die Ansprüche einer Gruppe infrage stellen, ein konkurrierendes Geschäft aufbauen wollen.» 

Dass die Rocker nun vermehrt in Erscheinung treten, könne auch eine Folge der Corona-Pandemie sein, «in der die Geschäfte sicher schlechter liefen», vermutet Baier. Da es keine Statistik zu Rocker- oder Bandenkriminalität gebe, könne man die Entwicklung aber nicht abschätzen.

Mitglieder von in der Schweiz angesiedelten Rocker- und rockerähnlichen Gruppierungen waren in der Vergangenheit laut Fedpol unter anderem in Gewalt- und Vermögensdelikte sowie bei Verstössen gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz involviert. Zuständig für Delikte, die ihnen typischerweise angelastet werden, seien aber in erster Linie die kantonalen Behörden.

Für Unbeteiligte geht laut dem Gewaltforscher Dirk Baier aber kaum Gefahr von den Rockern aus: Zwar könnten Rockergruppen «mit grosser Brutalität vorgehen», jedoch richte sich diese meist gegen rivalisierende Gruppierungen. Dennoch gelte: «Wenn Rockergruppen aufeinander losgehen, kann man, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, auch Teil der Auseinandersetzungen werden.»

Weil es ein Risiko für Unbeteiligte gebe, sei auch «jede Form der rivalisierenden Gewalt zwischen Rockergruppierungen zu verhindern», fordert der Forscher.

Generell hält das Fedpol fest, «dass auch in der Schweiz ein ernst zu nehmendes Konfliktpotenzial in der Szene der Rocker- und rockerähnlichen Gruppierungen vorhanden ist». Die Präsenz mehrerer rivalisierender Gruppierungen habe in den letzten Jahren mehrfach zu Spannungen und Übergriffen geführt. «Diese erreichten indes bis anhin nicht die Intensität, wie sie beispielsweise wiederholt in einigen deutschen Bundesländern festgestellt wird.»

In Deutschland sind mehrere Rockerbanden verboten – anders als in der Schweiz. Darunter befinden sich auch Sektionen der Hells Angels.