Long Covid«Im Moment müssen Betroffene ihr Schicksal oft selbst in die Hand nehmen»
Von Oliver Kohlmaier
11.2.2022
Nach der Trendwende in der Omikron-Welle rückt der Fokus auf Long Covid — auch ein nationales Register ist wieder Thema. Doch damit allein ist es nicht getan, warnt der Präsident des Long-Covid-Netzwerks Altea.
Von Oliver Kohlmaier
11.02.2022, 06:55
11.02.2022, 09:28
Oliver Kohlmaier
Die Trendwende der Omikron-Welle ist erreicht, in Kürze fallen viele Corona-Massnahmen. Bei der Begründung der Lockerungen verweist die Politik auch auf die mildere Omikron-Variante. Was das jedoch für die Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung bedeuten könnte, ist weitgehend unbekannt. Die derzeitigen Daten zu Krankheitsverläufen sagen kaum etwas aus über Long Covid.
Doch selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Omikron seltener Langzeitfolgen verursacht, wird das den Betroffenen wenig helfen. Ohnehin sind zahlreiche Fälle von Covid-19-Patient*innen bekannt, die auch nach einem milden Verlauf unter Langzeitfolgen leiden.
Laut einer neuen Studie aus dem Kanton Zürich sind rund ein Viertel aller Personen, die sich anstecken, von Long Covid betroffen. Drei von hundert Personen leiden demnach sechs Monate nach einer Ansteckung noch sehr stark.
Das BAG listet eine ganze Reihe an möglichen Symptomen auf, darunter übermässige Müdigkeit und Erschöpfung, kognitive Störungen sowie Verlust von Geruchs- und Geschmacksinn.
Forscher*innen drücken beim Thema Lockerungen daher auch mit Verweis auf Langzeitfolgen verbal auf die Bremse. Schon frühzeitig warnten sie, die hohen Infektionszahlen könnten auch die Zahl der Long-Covid-Patient*innen dramatisch ansteigen lassen.
BAG rückt Long Covid in den Fokus
Das BAG sieht sich nun offenbar veranlasst, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri erklärte am Dienstag vor den Medien: «Die Thematik muss in der Öffentlichkeit an Gewicht gewinnen.»
Von einem nationalen Long-Covid-Register war zuletzt immer wieder die Rede. Forscher*innen und Patientenorganisationen fordern ein solches schon lange, bislang hatten dies Bundesrat und BAG abgelehnt. Ein Register ist nun doch eine Option, hiess es am Dienstag auf der Medienkonferenz.
Klar sei, dass man nun Informationen zu Krankheitsverläufen sammeln und auswerten müsse, erklärte Linda Nartey, Leiterin des Direktionsbereichs Prävention und Gesundheitsversorgung.
Auf welche Weise dies geschehen solle, werde derzeit in Arbeitsgruppen des Bundes diskutiert. Eine Prognose, wann ein Entscheid gefällt werde, wollte sie jedoch nicht abgeben.
Viel Arbeit und ungeklärte Fragen
Ohnehin sei es mit einem Register allein nicht getan, meint Michael Schlunegger, Präsident des Long-Covid-Netzwerks Altea auf Anfrage von blue News.
Natürlich begrüsst auch er, dass das Thema Long Covid wieder «etwas mehr» in den Fokus gerückt ist. Dennoch stehe weiterhin viel Arbeit an und es gebe zahlreiche ungeklärte Fragen: «Die Situation rund um Long Covid ist im Moment klar geprägt von vielen Annahmen und Daten liegen teilweise erst spärlich vor.»
Ein nationales Register könne hier «sicherlich» einen Beitrag leisten, sagt Schlunegger und fordert mehr Tempo. Es gelte, «im Vorfeld — und möglichst schnell — zu definieren, welche Daten wirklich nötig und für die Zukunft dann auch hilfreich sind.»
Laut Mayssam Nehme, Klinikleiterin am Universitätsspital Genf, gibt es noch keine Daten zu der Frage, wie viele Omikron-Infizierte an Long Covid erkranken.
Natürlich kann auch Schlunegger nicht sagen, ob die Variante zu einer gleich hohen Prävalenz an Long Covid führt. «Sicher ist hingegen, dass – falls sich Omikron nicht von den vorherigen Mutationen unterscheiden sollte – wir mit einer ebenso hohen Welle von Long Covid rechnen müssen.»
Auch jetzt schon leiden viele Menschen in der Schweiz an den unterschiedlichsten Symptomen. Dies führt zu der Problematik, dass viele Ärzte Long Covid schlicht nicht diagnostizieren.
Schlunegger fordert deshalb vehement mehr Unterstützung für Mediziner*innen: «Die Hausärzteschaft sollte dringend entsprechende Unterstützung erhalten». So brauche es etwa Empfehlungen oder zumindest red flags in der Behandlung von Long Covid.
Ausserdem müsse die Forschung im Bereich Diagnose und Therapie «mit grösstmöglicher Priorität» vorangetrieben und unterstützt werden.
Zumindest die Hausärzteschaft darf nun zumindest hoffen. Am 31. März soll in Olten eine nationale Konferenz zum Thema Long Covid stattfinden. Ziel ist es, gemeinsame Diagnose- und Therapieempfehlungen zu dieser Krankheit zu erarbeiten, deren Langzeitfolgen noch wenig bekannt sind.
Die Konferenz wird von der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) mit Unterstützung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) organisiert, wie Simone Buchmann, Sprecherin des BAG, am Donnerstag auf Anfrage von Keystone-SDA sagte.
Betroffene fühlen sich im Stich gelassen
Viele Long-Covid-Patient*innen sind derweil verunsichert und fühlen sich von Behörden und Versicherungen im Stich gelassen. In der SRF-Sendung «Club» schilderte etwa die Long-Covid-Patientin Monika Lehmann ihren Kampf auch mit den Versicherungen. So habe sich die Unfallversicherung ihres Arbeitgebers geweigert, die Krankheit als Berufskrankheit anzuerkennen.
Für Florence Isler, Vizepräsidentin von Long Covid Schweiz und selbst Patientin, ist dies kein Einzelfall. So seien die meisten Betroffenen dazu schlicht nicht in der Lage. Isler habe lange nicht einmal einen Brief öffnen oder ein Formular unterschreiben können.
Dass Betroffene Unterstützung brauchen, stand auch für Kantonsärzte-Präsident Hauri am Dienstag ausser Frage. Sollten sich grundlegende Probleme in der Versorgung von Long-Covid-Patient*innen zeigen, sollte geprüft werden, ob Angebote «ausserhalb der Regelstrukturen» aufgebaut werden müssen. Ein bedeutender Teil der Bevölkerung scheine teils über längere Zeit an gravierenden Symptomen zu leiden, es hätten sich bereits spezialisierte Angebote gebildet.
In einer solchen Rolle sieht sich auch das Long-Covid-Netzwerk Altea. Schlunegger empfiehlt, die Beratungsangebote zu nutzen: «Im Moment müssen die Betroffenen ihr Schicksal oft selbst in die Hand nehmen und sich etwa rechtliche Unterstützung holen.»
Dies sei in einer Krankheitssituation mit reduziertem Energielevel besonders herausfordernd.