SP-Bundesratsrennen: Alle Kandidat*innen im Interview
Fünf Männer und eine Frau wollen für die SP in den Bundesrat. Welche Chancen rechnet sich Daniel Jositsch aus? Hat Evi Allemann die Stimmen der Frauen auf sicher? blue News bat alle sechs zum Kurzinterview.
15.11.2023
Wer rückt für Alain Berset in den Bundesrat nach? Am Samstag entscheidet die SP-Fraktion, wen sie nominiert. Zur Wahl stellen sich fünf Männer und eine Frau. blue News beleuchtet ihre Stärken und Schwächen.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- SP-Bundesrat Alain Berset tritt per Ende Jahr zurück. Sechs Kandidat*innen bewerben sich um seine Nachfolge.
- Das Kandidat*innenfeld besteht aus dem Zürcher Ständerat Daniel Jositsch, den Nationalräten Matthias Aebischer (BE), Jon Pult (GR) und Roger Nordmann (VD), dem Basler Regierungspräsidenten und alt Nationalrat Beat Jans und – als einziger Frau – der Berner Regierungsrätin und alt Nationalrätin Evi Allemann.
- Wo liegen die individuellen Stärken und Schwächen der Kandidaten? Politik-Analyst Mark Balsiger macht den Formcheck.
Anmerkung: Dieser Artikel wird laufend aktualisiert. Letzte Überarbeitung: 25. November, 17 Uhr.
Das Rennen um die Nachfolge von Bundesrat Alain Berset tritt in die heisse Phase ein: Am Samstagmorgen bestimmen die Mitglieder der SP-Bundeshausfraktion, wen sie als offizielle Kandidatin oder offiziellen Kandidaten aufstellt.
Die Partei will der Bundesversammlung eine Auswahl anbietet – die SP-Fraktion hat sich am Freitagnachmittag für ein Zweier-Ticket entschieden, was sich in den vergangenen Jahren als Norm eingebürgert hat.
Zur Wahl stellen sich fünf Männer und eine Frau. Was sind ihre individuellen Schwächen und Stärken? Eine Auslegeordnung.
Evi Allemann
Regierungsrätin Bern, Juristin, Jahrgang 1978. Nationalrätin von 2003 bis 2018.
Stärken: «Obwohl Evi Allemann seit 25 in der Politik mitmischt, wirkt sie immer noch frisch und jugendlich», findet der Politik-Analyst Mark Balsiger. Ausserdem hat sie nebst Beat Jans als einzige Kandidatin Regierungserfahrung – und mit fünf Amtsjahren sind es deutlich mehr als beim Basler, wie der Experte anmerkt.
Weiterer Vorteil: «Sie ist die einzige Frau bisher. Das ist ein Ass.» Dies deshalb, da die SP-Fraktion zu mehr als der Hälfte weiblich zusammengesetzt sei. «Manche in der SP werden sich sagen: Wir müssen mit dem Kandidat*innen-Ticket die ganze Breite der Partei abbilden. Und da gehört eine Frau mit diesem Leistungsausweis, mit dieser Erfahrung logischerweise dazu.» Ausserdem wäre Allemann die erste offizielle Kandidatin einer Partei mit Kindern im schulpflichtigen Alter. Etwas, das der erklärten Gleichstellungspartei SP gut anstehen würde.
So sieht der Zeitplan für die Bundesratswahl aus
- 29. Oktober: Bis dahin konnten interessierte Kandidat*innen der SP ihre Bewerbung um das Bundesratsamt einreichen.
- 25. November: Die Bundeshausfraktion der SP bestimmt ein Ticket mit den offiziellen Kandidat*innen.
- 13. Dezember: Die Vereinigte Bundesversammlung wählt den oder die Nachfolger*in von Alain Berset.
Schwächen: Allemann sass 15 Jahre lang im Bundeshaus und kennt die Mechanismen bestens. Sie wechselte aber noch vor den letzten Wahlen 2019 auf die kantonale Ebene. «Dadurch fehlt ihr die Nähe zu vielen Mitgliedern, die damals frisch ins Parlament gewählt wurden. Und bei den Wahlen im Oktober gab es schon die nächste Blutauffrischung», sagt Balsiger.
Was ist mit der erfolglosen Kandidatur im letzten Jahr, als es um die Nachfolge von Simonetta Sommaruga ging? Damals schied Allemann in der parteiinternen Ausmarchung aus. Kein Manko, findet Balsiger: «Zu viele SP-Mitglieder hatten sich damals taktisch verspekuliert, sodass Allemann es schliesslich nicht aufs Ticket schaffte.» Anders sähe es aus, wenn sie tatsächlich nominiert, aber dann nicht gewählt worden wäre.
Evi Allemann: «Ich bin bereit»
Die Berner Regierungsrätin Evi Allemann (SP) ist laut eigenen Angaben «voller Energie und Gestaltungswillen» für den Job im Bundesrat. In Bern gab die 45-Jährige ihre Kandidatur bekannt.
16.10.2023
Daniel Jositsch
Ständerat Zürich, Strafrechtsprofessor, Jahrgang 1965. Von 2007 bis 2015 Nationalrat, seit 2015 Ständerat.
Stärken: Jositsch politisiert am rechten Rand der SP, was ihn im bürgerlichen Lager beliebt macht – nicht nur im Bundeshaus. «Es ist bemerkenswert, wenn ein SP-Kandidat in einem bürgerlichen Kanton die Wahl in den Ständerat schafft. Daniel Jositsch gelang dies mehrmals mit einem Glanzresultat», gibt Politik-Analyst Mark Balsiger zu bedenken.
Zur Person
zVg
Mark Balsiger ist Politik-Analyst und Autor mehrerer Bücher über politische Kommunikation. Der ehemalige Journalist baute in Bosnien eine multiethnisch besetzte Radiostation auf und war Sprecher des VBS. Seit 2002 führt er eine Kommunikationsagentur.
Bei seinen Kolleg*innen im bürgerlich dominieren Ständerat geniesse Jositsch grosses Ansehen, «man kennt ihn und schätzt seine Arbeit». Ein Vorteil gegenüber den Mitbewerbern, die allesamt aus dem Nationalrat kommen. «Das sind 45 Stimmen, von denen viele am ehesten Jositsch zugutekommen. Das ist nicht zu unterschätzen.»
Schwächen: «Jositsch hat viele Mitglieder der SP-Fraktion vor den Kopf gestossen», sagt Balsiger. Der Zürcher kandidierte bereits vor einem Jahr, als es um die Nachfolge von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga ging. Damit widersetzte er sich der SP-Spitze, die explizit nur Frauen berücksichtigen wollte.
Bei den Bundesratswahlen im Dezember 2022 holte Jositsch im ersten Durchgang 58 Stimmen. Dass er unmittelbar danach nicht am Rednerpult seinen Verzicht erklärt habe, würden ihm viele bis heute nachtragen. «Für sie hat er sich damit B-klassig gemacht. Andere in der SP haben Jositsch verziehen und sagen, der Ehrgeiz sei mit ihm durchgegangen.»
Für den Politik-Analysten ist klar. «Hätte er vor Jahresfrist nicht kandidiert, würde Jositsch jetzt durchmarschieren.» Stattdessen müsse er nun um einen Platz auf dem offiziellen SP-Ticket bangen.
«Als Bundesrat braucht es eine gewisse Beliebtheit beim Volk»
Geht es nach den Leser*innen von blue News wird Daniel Jositsch im kommenden Dezember zum Nachfolger von Alain Berset. Jositsch bedankt sich freundlich für das Vertrauen.
20.09.2023
Matthias Aebischer
Nationalrat Bern seit 2011, gelernter Journalist und Lehrer, Jahrgang 1967.
Stärken: Aebischer ist dank seiner Zeit als SRF-Moderator ein bekanntes Gesicht. Und: «Er hat es als Quereinsteiger geschafft, in der Politik anzukommen», attestiert ihm Mark Balsiger. Andere – aus Wirtschaft, Medien oder Sport – seien daran gescheitert. Aebischer habe sich gut im Parlament eingearbeitet und dank einer ganzen Palette an Mandaten – die reicht von Pro Velo Schweiz über Cinésuisse bis Swiss TopSport – breit vernetzt.
Ein weiterer Pluspunkt: Dank seines journalistischen Hintergrunds ist Aebischer Medienprofi. «Er liefert die gefragten 20-Sekunden-Soundbites. Das macht ihn zu einem gefragten Interviewpartner und Gast in Talkshows.»
Schwächen: Obwohl Aebischer in der SP-Fraktion respektiert werde, gehöre er nicht zu jenen, die den Ton angeben, findet Balsiger. «Ihm fehlt der Ehrgeiz oder die Begabung, in die erste Reihe vorzurücken.» Dass Aebischers Rückhalt grösser sein könnte, macht der Politik-Analyst auch an dessen Kandidatur für das Amt des Nationalratspräsidiums fest: Der Berner unterlag seinem Kollegen Eric Nussbaumer (BL).
Dass Aebischer kaum im Bundesrat landen werde, sei dem Kandidaten wohl auch selbst bewusst. Mit seiner Kandidatur habe er der Partei einen Gefallen machen wollen: «Der Effekt der medialen Berichterstattung ist mit Wahlwerbung nicht aufzuwiegen», sagt Balsiger. Nicht zuletzt habe die Kandidatur auch seinen eigenen Nationalratswahlkampf befeuert.
Verhindert Aebischer eine Bundesrätin Moser?
Wer tritt die Nachfolge von Alain Berset an? Das Kandidaten-Karussell dreht bereits. Bei Matthias Aebischer könnte der Haussegen schief hängen, wenn er tatsächlich nominiert wird.
14.09.2023
Beat Jans
Regierungspräsident Basel, Umweltnaturwissenschaftler, Jahrgang 1964. Nationalrat Basel-Stadt von 2010 bis 2020. Vizepräsident der SP Schweiz von 2015 bis 2020.
Stärken: «Beat Jans wurde während seiner zehn Jahre im Nationalrat respektiert und man hat ihm zugehört», sagt der Experte. Der Basler sei ein Sachpolitiker, der nicht mit Konfrontation, sondern mit punktueller Kooperation aufgefallen sei. «Dies im Wissen darum, dass es in der Schweizer Politik für jeden kleinen Schritt den Rückhalt dreier Fraktionen braucht.»
Jans hat als einziger Kandidat neben Evi Allemann Regierungserfahrung vorzuweisen (seit 2021), eine Berufsausbildung als Landwirt absolviert und er gilt als umgänglich. «Er bringt sicherlich einen guten Rucksack mit», bilanziert Balsiger.
Schwächen: Jans gehört nicht mehr der Bundesversammlung an. «Das ist ein gravierender Nachteil», findet Balsiger. Schon bei den Eidgenössischen Wahlen 2019 gab es einen grossen Austausch in Bern, rund ein Viertel der Parlamentarier*innen habe somit nie mit Jans zusammengearbeitet. «Anders als einen Jon Pult oder einen Roger Nordmann haben sie ihn nie im Rat, in der Kommissionsarbeit oder auch nur am Kaffeeautomaten erlebt.»
Auch mit einer «Charmetour» in den Wochen vor dem Nominierungs-Entscheid sei dieses Manko nur schwer zu kompensieren, glaubt der Experte.
Basler Regierungspräsident Beat Jans will Bundesrat werden
Der Basler Regierungspräsident und frühere Nationalrat Beat Jans (SP) will Bundesrat werden. Er ist damit der vierte Kandidat für die Nachfolge von Alain Berset.
22.09.2023
Jon Pult
Nationalrat Graubünden seit 2019, Historiker und Kommunikationsberater, Jahrgang 1984. Vizepräsident der SP Schweiz.
Stärken: «Obwohl er nicht einmal 40 Jahre alt ist und erst vier Jahre im Parlament sitzt, ist Jon Pult ein ausgebuffter Profi», urteilt Balsiger. Der Bündner sei bei verschiedenen Themen ganz vorne mit dabei «und dossierfest bis ins Detail», vor allem in der Europa-, der Verkehrs- und Medienpolitik.
Hinzu komme ein grosses rhetorisches Talent: «Egal, ob im Ratssaal, in der SRF-‹Arena› oder an einem Podium, es lohnt sich immer, Pult zuzuhören.» Pult könne «überzeugend argumentieren, ohne verletzend zu werden».
Schwächen: Nebst seinem jungen Alter und seiner kurzen Zeit im Nationalrat könnten Pult ausgerechnet seine Stärken zum Nachteil gereichen, glaubt Balsiger. Während die anderen Kandidaten um die 60 Jahre alt seien und damit nach einer Wahl wohl nur acht Jahre im Bundesrat sitzen würden, sei die Aussicht bei Pult eine andere. «Er hat das Potenzial, von einem ausgezeichneten Parlamentarier zu einem ausgezeichneten Bundesrat zu werden. Aber so eine starke Figur ist nicht im Interesse der anderen Parteien.»
SP-Nationalrat Jon Pult kandidiert für Nachfolge von Alain Berset
Der Bündner SP-Nationalrat Jon Pult will Bundesrat werden. Der 38-Jährige ist mit Abstand der Jüngste der vier Männer, die sich für die Nachfolge von Alain Berset interessieren.
02.10.2023
Roger Nordmann
Nationalrat Waadt seit 2004, Berufspolitiker, Jahrgang 1973. Von 2015 bis 2023 Chef der SP-Bundeshausfraktion. Vizepräsident der SP Schweiz.
Stärken: Der Waadtländer gilt als Schwergewicht in Bern. Nordmann sei ein Animal politque und ein starker Fraktionschef gewesen, findet auch Balsiger. Das sei keine Selbstverständlichkeit bei den Sozialdemokraten, wo grosse Egos im Spiel seien, die lieber eine schwache Leitung hätten, um so besser ein Eigenleben zu führen.
Nordmann verfügt über ausgewiesenes Fachwissen in der Energie- und Verkehrspolitik, hat mehrere Bücher verfasst.
Schwächen: Nordmann rede sich schnell in Rage – was an sich nicht negativ sei. Doch könne man den Eindruck erhalten, dass er andere Meinungen nicht gelten lasse. «Manche im Parlament könnten ihm das Etikett des Besserwissers anhängen», glaubt Balsiger.
Berset-Nachfolge: Roger Nordmann sieht sich als «gesamtschweizerischer Romand»
Der 50-jährige Waadtländer SP-Nationalrat Roger Nordmann gilt als politisches Schwergewicht. Nun will er für Bundesrat Alain Berset in die Landesregierung nachrücken.
04.10.2023
Regionale Herkunft ein Thema?
Die Frage, welche Landesregionen im Bundesrat über- und welche untervertreten sind, gibt vor Wahlen zuverlässig zu reden.
Für Jositsch spricht hierbei: Der Bundesrat ist derzeit sehr ländlich zusammengesetzt. Mit dem Zürcher wäre auch die urbane Schweiz wieder vertreten. Dasselbe gilt für den Lausanner Nordmann und den Basler Jans.
Für Jans spricht zudem, dass der Kanton Basel-Stadt schon seit 50 Jahren nicht mehr im Bundesrat vertreten ist. Pult wäre der erste Bündner Vertreter seit dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) 2015.
Aebischer und Allemann haben das Hindernis, dass mit Albert Rösti (SVP) bereits ein Berner im Bundesrat sitzt. Gegen Nordmann spricht, dass die lateinische Schweiz im Bundesrat derzeit eine Mehrheit von vier Sitzen gegenüber drei Deutschschweizer Sitzen hat.
Politik-Analyst Mark Balsiger will die Frage der Herkunft nicht zu hoch bewerten. Für Nordmann als einzigen Romand im Kandidatenfeld sei das aber durchaus eine Hürde. «Dass der Bundesrat derzeit eine lateinische Mehrheit hat, mag für eine Übergangsdauer in Ordnung sein. Auf Dauer werden das einige Deutschschweizer*innen im Parlament aber sicherlich verhindern wollen – wenn es gute Alternativen gibt.»
Am wichtigsten sei eine andere Eigenschaft: «Die grössten Wahlchancen haben diejenigen, die den anderen Parlamentsmitgliedern möglichst wenig auf die Füsse getreten sind. Sie müssen kollegial und umgänglich sein.» Die Sympathie zähle viel: In dieser Hinsicht seien die Leute im Parlament auch nicht anders gestrickt als die Durchschnittsbürger*innen.
Bundesrat Jans – Bundesrätin Allemann: Wie tönt das für Sie?
Fünf Männer und eine Frau wollen für die SP in den Bundesrat einziehen. blue News bat in Schaffhausen alle sechs zum Kurzinterview.
15.11.2023