Oberste Lehrerin «Dass Schulen nochmals schliessen, ist das Allerletzte, das wir wollen»

Von Alex Rudolf

8.9.2021

Dagmar Rösler ist Präsidentin des Schweizer Lehrerverbands, 
Dagmar Rösler ist Präsidentin des Schweizer Lehrerverbands, 
KEYSTONE/ Gaetan Bally

In der Covid-Pandemie geraten die Schulen in den Fokus. Dagmar Rösler, oberste Lehrerin der Schweiz, sieht im Kantönligeist ein Problem. Und sie erklärt, wie es den Lehrerinnen und Lehrern in der vierten Welle geht.

Von Alex Rudolf

Sind die Schulen die neuen Hotspots der Corona-Pandemie und jede Schulstunde ein Superspreader-Event? Keineswegs, sagt Dagmar Rösler zu «blue News». Die Menschen würden sich auch anderswo, etwa im Alltag oder in den Ferien, anstecken, hält die Präsidentin des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer fest.

Dass die Corona-Fallzahlen aber gerade mit Beginn des Schuljahrs nochmals ansteigen, zeigte sich besonders in den letzten beiden Tagen. Im aargauischen Lenzburg mussten drei Schulen geschlossen und 600 Kinder und rund 100 Lehrpersonen in die Quarantäne geschickt werden.

Auch in der Stadt Zürich wurde in den vergangenen zwei Wochen die Quarantäne für insgesamt 1080 Schulkinder angeordnet. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, hätten sich vorwiegend Kinder, die sich bisher nicht impfen lassen konnten, also unter 12-Jährige, mit dem Virus infiziert.

Dass die Lage in den Schulen derzeit prekär ist, sieht auch Tanja Stadler so. Die Präsidentin der wissenschaftlichen Covid-Taskforce des Bundes fand an der Medienkonferenz von Dienstag klare Worte. Ohne Schutzkonzepte habe das Virus zu Beginn des Schuljahres problemlos zirkulieren können, sagt sie.

Flickenteppich der Massnahmen sei grosse Herausforderung

Wird die Schule zum Sündenbock gemacht? Rösler verneint, da Schulen ja immer Schutzkonzepte hatten. Aber: «Dass nicht alle Kantone die Empfehlung des Bundes, flächendeckende Test in Schulen zu machen, befolgen, dürfte der Grund für Stadlers Aussage sein.»

So sei der Flickenteppich an Massnahmen, der in der Schweiz entstanden sei, nach wie vor eine grosse Herausforderung. «Für uns als nationalen Verband war es enorm schwierig zu erklären, warum der eine Kanton flächendeckende Spucktests macht, und der andere nicht», so Rösler. Man habe sich stets für schweizweit einheitlichere Massnahmen ausgesprochen.

Der Flickenteppich an Massnahmen sei aber notwendig, sagte die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner im August gegenüber dem Schweizer Fernsehen. «Es ist das Virus, das den Flickenteppich verursacht, da es an verschiedenen Orten verschieden um sich greift.»



Wie lässt sich der schulische Alltag in dieser Situation noch bewerkstelligen? «Das ist schwierig, da die Lage sehr aufreibend ist», so Rösler. Man wisse jeweils sehr kurzfristig, wer in die Schule kommen könne und wer nicht. Zudem müssen auch die Kinder, die daheim bleiben müssen, mit Material versorgt werden. Doch all dieser Mehraufwand lohne sich, da so das grössere Übel abgehalten werden könne: das flächendeckende Verbot des Präsenzunterrichts. «Dieses müssen wir mit allen Mitteln verhindern.»

Schüler*innen ohne Unterstützung wurden abgehängt

«Dass wir die Schulen nochmals schliessen müssen, ist das Allerletzte, das wir erleben wollen», sagt sie. Für manche Schüler*innen habe dies verheerende Konsequenzen gehabt. Jene, die zu Hause gefördert worden seien, hätten zwar auch profitieren können; doch jene, deren Eltern keine Unterstützung hätten leisten können, seien abgehängt worden.

Was also schlägt Rösler vor? «Wir müssen wohl wieder laut über eine Maskenpflicht nachdenken.» Denn die Schulen seien allmählich am Anschlag. Wie geht es den Lehrer*innen in dieser Zeit? «Diese nehmen die Situation mit der grösstmöglichen Gelassenheit und versuchen das Beste aus der Situation zu machen.»

Wie sieht es mit den gesundheitlichen Konsequenzen für die Schulkinder aus? Geht Corona tatsächlich so spurlos an ihnen vorbei, wie dies hinlänglich angenommen wurde?

Wie das Magazin «Republik» heute schreibt, kann Covid auch für Kinder gefährlich sein.

100 Kinder in der Schweiz am PIMS-Syndrom erkrankt

Nach dem heutigen Kenntnisstand würden Kinder in Ländern mit einem funktionierenden Gesundheitssystem sehr selten an Covid sterben, heisst es im Bericht weiter. Doch tauchten in mehreren Ländern Fälle eines neuartigen Syndroms auf. Das sogenannte PIMS-Syndrom führt zu Ausschlägen, Erweiterungen der Herzkranzgefässe, Organversagen und schlimmstenfalls zum Tod. Bislang seien in der Schweiz rund 100 Kinder daran erkrankt, alle hätten überlebt.

Zu den körperlichen Beschwerden kommen laut Stadler auch ein seelischer Schmerz hinzu. Denn die Quarantäne habe eine psychische Belastung zur Folge, sagte sie an der Medienkonferenz.

Neben dem PIMS-Syndrom und der psychischen Belastung ist auch Long Covid eine der möglichen Folgen einer Corona-Infektion. Laut einer Schweizer und einer englischen Studie sollen rund 2 Prozent der infizierten Kinder nach zwei bis drei Monaten noch Symptome aufweisen – weniger als bei den Erwachsenen.