Eine Million Bergfinken in Langenthal BE «Das ist ein einmaliges Naturschauspiel»

Von Adrian Kammer

10.1.2024

Über eine Million Bergfinken in Langenthal BE: «Das ist ein einmaliges Naturschauspiel»

Über eine Million Bergfinken in Langenthal BE: «Das ist ein einmaliges Naturschauspiel»

Auf einer Waldlichtung finden sich jeden Abend über eine Million Bergfinken ein. Bevor sie sich zum Schlafen in die Bäume begeben führen sie spektakuläre Flugeinlagen vor. Dabei locken sie Zuschauende aus der halben Schweiz, aber auch Greifvögel an.

09.01.2024

Auf einer Waldlichtung finden sich jeden Abend über eine Million Bergfinken ein. Bevor sie sich zum Schlafen in die Bäume begeben, führen sie spektakuläre Flugeinlagen vor. Dabei locken sie Zuschauende aus der halben Schweiz, aber auch Greifvögel an.

Von Adrian Kammer

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Über eine Million Bergfinken sorgen für eine spektakuläre Flugshow über dem Wald in Langenthal.
  • Leute aus verschiedensten Kantonen reisen mittlerweile an, um sich das Spektakel anzusehen.
  • Weil es in Nordeuropa zu kalt ist und zu viel Schnee hat, suchen die Vögel ihre Nahrung bei uns in der Schweiz.
  • Die Bergfinken ernähren sich hauptsächlich von Buchennüsschen. Dank der sogenannten Buchenmast sind diese in diesem Jahr im Überfluss vorhanden.
  • Wenn die Bedingungen so günstig bleiben, könnten die Wintergäste bis im März im Oberaargau bleiben.

Es ist eine unscheinbare Waldlichtung in der Nähe von Langenthal. Es herrscht Stille, als um 15 Uhr ein Auto mit Zürcher Kennzeichen am Rand der Strasse anhält. Ein Paar im Rentenalter steigt aus. Der Mann hält eine Fotokamera in der Hand und die Frau trägt ein Swarovski-Fernglas um den Hals. Kurz darauf parkt ein weiteres Fahrzeug. Diesmal aus dem Kanton Solothurn. Innerhalb der nächsten Stunden treffen immer mehr Leute ein und die Kadenz erhöht sich. Sogar ein Parkdienst erscheint, der den Verkehr leitet.

Die halbe Deutschschweiz scheint vertreten. Bern ist da, Aargau ist da, St. Gallen und sogar Zug sind vor Ort. Viele erscheinen auch zu Fuss. Das Volk ist bunt gemischt. Von kleinen Kindern bis zu Menschen im hohen Alter, die von ihren Töchtern und Söhnen beim Gehen gestützt werden, finden sie sich an dieser Lichtung im Oberaargau ein. Nicht wenige stellen ein Beobachtungsfernrohr auf. Jetzt warten sie gespannt.

Naturspektakel hat sich herumgesprochen

Um 16 Uhr wird ein Spektakel erwartet. Über eine Million Bergfinken haben sich die besagte Waldlichtung in diesem Winter als Schlafplatz ausgesucht. Während sie tagsüber in kleineren Trupps unterwegs auf Nahrungssuche sind, versammeln sich gegen Abend alle gemeinsam, bevor sie in den Tannen übernachten.

Vermehrte Medienberichte, die Verbreitung im Internet und Mundpropaganda haben dazu geführt, dass heute besonders viele Zuschauer am Einschlaf-Ritual der Vögel teilhaben wollen. Auch der Präsident des lokalen Vogelschutzvereins Ueli Marti ist vor Ort und staunt: «Das ist verrückt. Ich hätte nie erwartet, dass so viele Leute kommen würden.»

Gefundenes Fressen für Sperber und Wanderfalke

Der Himmel ist klar und die Sonne scheint. Marti meint, dass sich die Finken bei schönem Wetter etwas verspäten könnten. «Aber wir sind nicht die einzigen, die warten», sagt der Ornithologe und zeigt über die Baumwipfel. Ein Sperber in typischer Manier mit kurzen Flügelschlägen, unterbrochen von kurzen Gleitphasen, zieht weite Kreise. Und noch einer. Und noch einer. Diese Greifvögel jagen gerne kleine Vögel im Flug.

Um 16.07 ertönt ein Ruf aus der Menge: «Da sind sie!» Eine Gruppe von ungefähr 20 Bergfinken flattert von hinten über die Menge. Das ist der Auftakt. Hinter der Lichtung sammeln sich immer mehr schwarze Punkte am Himmel, die sich zu einer dichten Wolke formen. Jetzt kommen sie von vorne und fliegen über die Köpfe. In diesem Moment schiesst ein Greifvogel in Krähengrösse in vollem Tempo in den Finkenschwarm. «Ein Wanderfalke», erklärt Ueli Marti. Ob der Räuber einen Bergfinken erwischt hat, ist nicht zu erkennen.

Gäste aus dem hohen Norden

Alle paar Jahre kommt es vor, dass Bergfinken in so riesigen Mengen in der Schweiz überwintern. Das passiert immer dann, wenn im Norden Europas die Temperaturen zu tief und die Schneemengen zu hoch sind. Das erschwert die Nahrungssuche. Die Bergfinken ernähren sich hauptsächlich von Buchennüsschen. Aufgrund der sogenannten Buchenmast finden sie davon im Moment im Schweizer Mittelland zur Genüge. Den Übernachtungsplatz in Langenthal suchen sie allerdings in diesem Jahr zum ersten Mal auf. Wenn die Bedingungen so gut bleiben, könnten die Bergfinken den ganzen Winter hier verbringen.

Das Naturspektakel auf der Lichtung dauert ungefähr eine Stunde. Immer wieder fliegen riesige Schwärme hin und her und hoch und runter. Richtige Formationen und Figuren entstehen in der Luft. Zwischendurch bieten Kinder eines benachbarten Bauernhofs Tee und Brötchen zum Verkauf an. Ueli Marti lehnt dankend ab. Andere Gäste greifen beherzt zu.

Gegen 17 Uhr wird es immer dunkler und die Vögel in der Luft werden weniger. Sie verschwinden in den dichten Tannen, bis keine mehr zu sehen sind. Auch die Zuschauenden verlassen den Ort des Geschehens und so leert sich der Platz. Als die Dunkelheit hereinbricht, ist nur noch das sanfte Gezwitscher aus einer Million Schnäbeln zu hören.