Expertin erklärt Darum wird trotz Wohnungsnot zu wenig gebaut

Von Sven Ziegler

10.2.2024

Neue Immobilien entstehen auf dem Land: doch eigentlich wird in der Schweiz zu wenig gebaut (Symbolbild).
Neue Immobilien entstehen auf dem Land: doch eigentlich wird in der Schweiz zu wenig gebaut (Symbolbild).
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Immer weniger leere Wohnungen für immer mehr Menschen: Die Knappheit an freiem Wohnraum in der Schweiz verschärft sich. Eine Expertin erklärt mögliche Auswege – und Hindernisse. 

Von Sven Ziegler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Bevölkerung wächst immer mehr, trotzdem wird kaum gebaut.
  • Eine Expertin erklärt, dass veraltete Gesetze und strenge Schutzauslegungen dafür verantwortlich sind.
  • Sie sagt: «Es gibt keine Lösung, die allen passt – aber wir müssen Kompromisse finden.»

Die Wohnungsknappheit in der Schweiz verschärft sich immer weiter. Nur noch rund 50'000 Mietwohnungen sind aktuell zur Miete ausgeschrieben – Tendenz sinkend. Derzeit ist so wenig Wohnraum auf dem Markt wie seit zehn Jahren nicht mehr.

«Vor allem in den Städten haben wir ein grosses Problem», analysiert Ursina Kubli, Leiterin Immobilien Research der ZKB, im Gespräch mit blue News. Die Expertin kennt die Situation auf dem Markt genau. «Die Leerwohnungsziffer sinkt, aktuell leerstehende Wohnungen füllen sich. Das zeigt auf: Der Wohnraum wird immer knapper.»

Die Bevölkerung wachse stetig, gleichzeitig könne die Bautätigkeit nicht mithalten, sagt Kubli. «Jahr für Jahr gibt es weniger leerstehende Wohnungen. Die Schlangen von Interessenten bei begehrten Mietobjekten dürften in den kommenden Jahren also länger werden.»

Nur auf dem Land zu bauen ist auch keine Lösung

Doch weshalb wird nicht einfach mehr gebaut? Kubli sagt, das habe mehrere Gründe. Seit der Revision der Raumplanung solle das Wachstum insbesondere in den Städten und nicht mehr auf grüner Wiese erfolgen. Damit solle eine weitere Zersiedelung weitestgehend verhindert und sparsam mit dem immer knapper werdenden Boden umgegangen werden. Doch Bauen in der Stadt sei um einiges komplexer als auf dem Land.

«Dieser Weg lohnt sich aber», ist Kubli überzeugt. Denn Grünflächen auf dem Land würden für die Erholung benötigt. «Es ist meiner Ansicht nach also schon richtig, dass sich der Ausbau auf die Städte fokussiert», sagt die Expertin.

Ursina Kubli
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ZKB

Ursina Kubli ist Leiterin des Bereichs Immobilienresearch bei der Zürcher Kantonalbank.

Kubli sieht denn auch vor allem anderswo Handlungsbedarf: Bei den gesetzlichen Bestimmungen. «Wir haben in der Schweiz sehr strenge Lärmschutz-Gesetzgebungen, die nicht der heutigen Zeit angepasst sind», erklärt sie. So sei beispielsweise nicht zu verhindern, dass beim Wohnbau in den Städten auch eine gewisse Lärmthematik bestehe. «Die seit dem Bundesgericht 2016 strikte Umsetzung der Lärmschutzbestimmungen beisst sich mit dem Ziel, in den Städten zu wachsen», sagt Kubli. 

Lärm-Messungen für Wohnraum würden vom Bundesgericht etwa «viel pragmatischer gehandhabt», sagt die Expertin. Habe man früher beispielsweise eine 3-Zimmer-Wohnung an einer lauten Strasse beurteilt und sei ein Zimmer von der Strasse weg in den Innenhof gerichtet gewesen, sei die Wohnung eher als wohntauglich eingestuft worden. «Mit der sogenannten «Lüftungsfensterpraxis» musste die Lärmschutzschwelle nicht bei jedem Fenster eingehalten sein. Es genügte, wenn bei jedem lärmempfindlichen Raum ein Fenster geöffnet werden kann, ohne dass im jeweiligen Raum eine über der Grenze liegende Belästigung eintritt.» 

Im Gesetz stehe aber klar, dass die Fenster heute bei Messungen alle geöffnet sein müssen – das werde nun viel strenger durchgesetzt. «Dass die heutigen Gebäude aufgrund einer besseren Schallisolation besser vor Lärm geschützt werden können, spielt dabei keine Rolle.  Auch das zeigt: die Gesetzgebung ist den heutigen Umständen überhaupt nicht angepasst.»

«Thema wird nicht verschwinden»

Schliesslich sei der Lärmschutz auch ein Problem bei Einsprachen. «Heute sind Lärmschutz-Einsprachen bei Baugesuchen zu einfach», sagt Ursina Kubli. «Diese haben meist grossen Erfolg – obwohl die Angst, dass die zukünftigen Nachbarn zu hohem Lärm ausgesetzt sind, wohl eher sekundär ist. Vielmehr geht es bei den Einsprachen um den Verlust der schönen Aussicht oder andere Dinge – weil dies aber kein Argument ist, wird stattdessen der Lärmschutz vorgeschoben. Das müssen wir ändern, hier braucht es Anpassungen.» Es gehe nicht darum, Einsprachen generell zu verbieten, sondern darum, die Hürden zu erhöhen, betont die Expertin.

Am Ende werde man nicht darum herumkommen, mehr zu bauen. «Der Appetit bei Investoren ist nach wie vor da. Nun muss man das nur noch zulassen. Die Probleme auf dem Wohnungsmarkt werden sich weiter verschärfen, das weiss auch die Politik. Die Diskussionen zu möglichen Lösungen werden heiss geführt. Klar ist: Es gibt keine Lösung, die allen passt – aber wir müssen Kompromisse finden. Denn das Thema wird nicht verschwinden.»