Corona und Versammlungsfreiheit«Das Virus gibt den Takt vor, nicht die Polizei»
Von Tobias Bühlmann und Anna Kappeler
30.3.2021
Wie halten es die Kantone mit der Versammlungsfreiheit? Manche lassen Demonstrationen zu, andere verbieten sie – und können die Regeln im Einzelfall dann doch nicht durchsetzen, wie sich am Sonntag in Moutier gezeigt hat.
Von Tobias Bühlmann und Anna Kappeler
30.03.2021, 06:52
30.03.2021, 10:20
Tobias Bühlmann und Anna Kappeler
Tausende haben sich in Moutier am Sonntagabend versammelt, um das Ja zum Kantonswechsel zu feiern. Dabei wäre die Ansage vom Kanton Bern klar gewesen: Ansammlungen von mehr als 15 Personen sind – im Gegensatz zu anderen Kantonen – nicht erlaubt. Auch nicht für politische Zwecke, auch nicht mit Schutzkonzept.
Darüber setzten sich die Feiernden in Moutier ebenso hinweg wie über die Maskenpflicht. In dem Städtchen herrschte am Sonntagabend Volkfsfest-Stimmung, im Zentrum lief laute Musik, die Restaurants schenkten Getränke zum Mitnehmen aus, und die Anwesenden feierten ausgelassen bis in die Nacht hinein. Abstandhalten war aufgrund der Menschenmassen nicht möglich, nur wenige trugen Hygienemasken.
Die Polizei liess die Massen gewähren, in der Nähe der Feiernden waren keine Uniformierten zu sehen.
«Viel Fingerspitzengefühl abverlangt»
Weshalb liess man die Verstösse zu? Dass die Berner Kantonspolizei nicht eingegriffen hat, liegt an der Risikoabwägung, sagt Sprecher Christoph Gnägi. Denn in der Abstimmung am Sonntag fand der 40 Jahre dauernde Jura-Konflikt seinen Endpunkt. Und die Kantonspolizei ist als Institution der verhassten Berner Staatsmacht ein rotes Tuch für die Pro-Jurassier.
Das sieht auch Fredy Fässler so. Der St. Galler Sicherheitsdirektor ist Chef der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD): «Nach jahrzehntelangem Kampf für einen Kantonswechsel ist die Freude in Moutier gross. Das hat sich am Sonntagabend im Volksfest gezeigt. Wenn in einem solchen Jubel-Moment die ‹falsche› Polizei – nämlich die bernische statt der jurassischen – eingegriffen hätte, wäre es ganz sicher nicht beim friedlichen Volksfest geblieben.» Der Entscheid, die Feier trotz Verstössen zu tolerieren, sei darum nachvollziehbar.
«Die Situation hat unseren Polizistinnen und Polizisten sehr viel Fingerspitzengefühl abverlangt», sagt auch Polizeisprecher Gnägi. Der Auftrag der Kantonspolizei in Moutier sei es gewesen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Ein Einsatz der Polizei gegen die Feiernden hätte die Stimmung in Anbetracht der jahrzehntelangen, teils auch von Gewalt geprägten Vorgeschichte in der Jurafrage leicht kippen lassen können, weshalb man sich zurückgehalten habe. Man prüfe derzeit aber, ob man wegen der Verstösse Leute anzeigen wolle.
Die Regeln sind nicht überall gleich
KKJPD-Präsident Fässler wird grundsätzlich: Derzeit sei die Arbeit für die Polizei sehr anspruchsvoll: «Unabhängig davon, was die Polizei macht, es ist für viele Leute einfach falsch», sagt Fässler. Dabei gehe die Polizei derzeit sehr besonnen vor, findet der SP-Politiker.
Fässler nimmt nicht wahr, dass die Aggressionsbereitschaft in der Bevölkerung derzeit generell steige. Trotzdem: «Alle sind coronamüde, ich auch.» Er streite nicht ab, dass die Lage im Moment angespannt sei. «Aber: Das Virus gibt den Takt vor, nicht die Polizei.»
Jeder Kanton regelt das Demonstrationsverbot selber
Wie genau man mit der Versammlungsfreiheit umgehen soll angesichts der Bedrohung durch die Pandemie, muss die Politik entscheiden. Und weil die Polizei-Hoheit bei den Kantonen liegt, sind die Regeln derzeit nicht einheitlich. Etliche erlauben Demonstrationen mit Schutzkonzept, doch die beiden bevölkerungsstärksten Kantone Zürich und Bern haben generelle Verbote erlassen. Alle Versammlungen über 15 Personen sind dort verboten.
Würde hier eine einheitliche Regelung Sinn machen? Bei der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten KKPKS winkt man ab. Zwar hatte die KKPKS letzte Woche ein virtuelles Arbeitstreffen, in dem es auch um Corona ging. Aber: «Es gibt keine interkantonalen Leitlinien und auch keine Empfehlungen vonseiten KKPKS», sagt Sprecher Adrian Gaugler. Aufgabe der Polizei sei es, dafür zu sorgen, dass bewilligte Veranstaltungen ruhig und sicher durchgeführt werden könnten. «Und, dass nicht bewilligte Veranstaltung nicht stattfinden.»
Eine einheitliche Regelung plant auch die KKJPD derzeit nicht, wie Fässler sagt. «Bis jetzt gibt es keine interkantonale Absprache innerhalb der KKJPD dazu, wie mit Kundgebungen umgegangen wird.» Er sei aber im Kontakt mit dem Stadtpräsidenten von Rapperswil-Jona, wo Coroana-Gegner am 24. April demonstrieren wollen; die Bewilligung dafür ist hängig.
Gnägi von der Berner Kantonspolizei betont, dass die Vorgaben in Bern klar seien, was Demonstrationen angeht. Und die Polizei sei nicht für deren Inhalt, sondern nur für die Umsetzung verantwortlich. Dabei richte sie ihr Vorgehen auf die jeweiligen Umstände aus.
Moutier stimmt für den Wechsel zum Kanton Jura
Die Freude ist gross bei den Pro-Jurassiern: Moutier hat Ja gestimmt zum Kantonswechsel.
Bild: Keystone/Anthony Anex
Den Sieg klar markieren: Die Gewinner der Abstimmung haben am Rathaus von Moutier eine riesige Jura-Flagge angebracht-
Bild: Keystone/Anthony Anex
Feiernde erklimmen den Brunnen vor dem Rathaus: In Moutier wird bis in die Nacht gefeiert – ohne Rücksicht auf die eigentlich geltenden Massnahmen gegen das Corona-Virus.
Bild: Keystone/Anthony Anex
Die Pro-Jurassier jubeln auf dem Place de la Gare, als um 18 Uhr das Resultat bekannt wird.
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott
Viele der Pro-Jurassier, die nun obsiegt haben, zeigen ihre Freude mit Feuerwerk.
Bild: Keystone/Anthony Anex
Vor dem Bahnhof von Moutier versammelten sich bereits am Nachmittag die Pro-Jurassier, um gemeinsam auf das Resultat zu warten.
Bild: blue
Auf dem Platz hat sich um 16 Uhr schon eine grössere Menschenmenge zusammengefunden.
Bild: blue
Am Sonntag kurz vor 11 Uhr treffen die versiegelten Wahlurnen mit den Briefstimmen aus Bern ein. Wer auf dem Postweg abstimmen wollte, musste seine Unterlagen nach Bern ans Bundesamt für Justiz schicken.
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott
Bern oder Jura? Diese Frage mussten die Einwohner*innen von Moutier beantworten. Am Freitag zur Öffnung der Urne hat sich vor der «Sociét'halle» in eigens abgesperrten Bahnen eine Schlange gebildet.
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott
Das Stimmlokal wird während den Öffnungszeiten von der Kantonspolizei überwacht, Medien haben keinen Zutritt.
Bild: blue
Das Sonnenbrillen-Emoji ist das Symbol, mit dem das Bündnis «Moutier Plus» für ein Nein zum Kantonswechsel wirbt. Aktivisten haben ein Transparent mit dem Symbol gut sichtbar am östlichen Ende der Stadt an eine Feldwand gehängt.
Bild: Keystone/Jean-CHristophe Bott
An der anderen Seite der Klus von Moutier hängt die Jura-Flagge, mit der «Moutier ville jurassienne» für einen Kantonswechsel wirbt.
Bild: Keystone/Jean-CHristophe Bott
Der Briefkasten beim Stadthaus von Moutier ist bis nach der Abstimmung verschlossen, damit dort sicher niemand sein Abstimmungscouvert einwirft
Bild: blue
Moutier stimmt für den Wechsel zum Kanton Jura
Die Freude ist gross bei den Pro-Jurassiern: Moutier hat Ja gestimmt zum Kantonswechsel.
Bild: Keystone/Anthony Anex
Den Sieg klar markieren: Die Gewinner der Abstimmung haben am Rathaus von Moutier eine riesige Jura-Flagge angebracht-
Bild: Keystone/Anthony Anex
Feiernde erklimmen den Brunnen vor dem Rathaus: In Moutier wird bis in die Nacht gefeiert – ohne Rücksicht auf die eigentlich geltenden Massnahmen gegen das Corona-Virus.
Bild: Keystone/Anthony Anex
Die Pro-Jurassier jubeln auf dem Place de la Gare, als um 18 Uhr das Resultat bekannt wird.
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott
Viele der Pro-Jurassier, die nun obsiegt haben, zeigen ihre Freude mit Feuerwerk.
Bild: Keystone/Anthony Anex
Vor dem Bahnhof von Moutier versammelten sich bereits am Nachmittag die Pro-Jurassier, um gemeinsam auf das Resultat zu warten.
Bild: blue
Auf dem Platz hat sich um 16 Uhr schon eine grössere Menschenmenge zusammengefunden.
Bild: blue
Am Sonntag kurz vor 11 Uhr treffen die versiegelten Wahlurnen mit den Briefstimmen aus Bern ein. Wer auf dem Postweg abstimmen wollte, musste seine Unterlagen nach Bern ans Bundesamt für Justiz schicken.
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott
Bern oder Jura? Diese Frage mussten die Einwohner*innen von Moutier beantworten. Am Freitag zur Öffnung der Urne hat sich vor der «Sociét'halle» in eigens abgesperrten Bahnen eine Schlange gebildet.
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott
Das Stimmlokal wird während den Öffnungszeiten von der Kantonspolizei überwacht, Medien haben keinen Zutritt.
Bild: blue
Das Sonnenbrillen-Emoji ist das Symbol, mit dem das Bündnis «Moutier Plus» für ein Nein zum Kantonswechsel wirbt. Aktivisten haben ein Transparent mit dem Symbol gut sichtbar am östlichen Ende der Stadt an eine Feldwand gehängt.
Bild: Keystone/Jean-CHristophe Bott
An der anderen Seite der Klus von Moutier hängt die Jura-Flagge, mit der «Moutier ville jurassienne» für einen Kantonswechsel wirbt.
Bild: Keystone/Jean-CHristophe Bott
Der Briefkasten beim Stadthaus von Moutier ist bis nach der Abstimmung verschlossen, damit dort sicher niemand sein Abstimmungscouvert einwirft