Polit-Analyst über Handshake-Foto«Cassis ist Lawrow in die Falle gegangen»
Von Stefan Michel
22.9.2022
Das Foto des lächelnden Ignazio Cassis mit dem russischen Aussenminister Lawrow beschäftigt die Schweiz. Polit-Analyst Mark Balsiger erklärt, wieso Bilder so stark sind und was der Bundespräsident hätte anderes machen müssen.
Von Stefan Michel
22.09.2022, 20:05
Stefan Michel
Ignazio Cassis muss erneut Kritik einstecken. Grund ist das Foto, das ihn lächelnd beim Handshake mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow zeigt – am Tag, an dem Russland die Teilmobilmachung erklärt hat.
Und während Medien und Öffentlichkeit den Bundespräsidenten mit Vorwürfen eindecken, zeigt auch Russland wieder seine aggressive Seite und fordert die Schweiz auf, zur Neutralität zurückzukehren.
Polit-Analyst Mark Balsiger ordnet das unglückliche Bild ein und blickt voraus, welche Wirkung es entfalten könnte.
Bundespräsident Cassis muss nach seinem Handshake-Foto mit dem russischen Aussenminister massiv Kritik einstecken. Zu Recht?
Das hätte ihm nicht passieren dürfen. Mit dem Bewusstsein für die Risiken dieses Treffens und im Wissen darum, dass während kurzer Zeit Fotografen erlaubt sind, hätte die Schweizer Delegation im Voraus klarmachen müssen, wo die Grenzen liegen.
Hätte die Schweizer Delegation das Händeschütteln im Voraus ausschliessen können, ohne die diplomatische Etikette zu verletzen?
Das wäre ein Affront gewesen. Aber in solchen Situationen zeigt sich, wie detailliert die Vorbereitungen waren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Cassis’ grosser Stab dies nicht diskutiert und einen Plan definiert hat.
Heisst das, nicht die Delegation war unvorbereitet, sondern Cassis hat ihn nicht umgesetzt?
Er wurde überrascht. Lawrow hat ihm unvermittelt die Hand hingestreckt. Es ist nur natürlich, dass man in der Situation seine Hand auch reicht. Bundespräsident Cassis hätte sich etwas zurechtlegen müssen, um dem zu entgehen. Er hätte einen Hustenanfall simulieren können. Nun ist er Lawrow in die Falle gegangen. Dass Russland dieses Bild ausschlachtet, ist klar.
Die #Suggestivkraft des Bildes. Ein anderes Beispiel: Wir erinnern uns nicht mehr, was Bundesrätin Leuthard 2016 bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels sagte. Aber viele können noch abrufen, was für ein Kleid sie trug. https://t.co/7VprzpFjjC#Cassis#Lawrow#Handshake
Die Suggestivkraft von Bildern ist enorm. Sie prägen sich uns viel stärker ein als Worte. Die Macht der Bilder wird systematisch genutzt, um die eigene Sache zu stärken. Aber es kann auch das Gegenteil passieren.
Was passiert denn nun mit Bundespräsident Cassis?
Er hat eine bemerkenswerte Rede vor der UNO-Vollversammlung gehalten. Aber sie verblasst nun völlig wegen dieses Bildes. Wir werden uns nur noch an dieses Bild von ihm mit Lawrow erinnern.