Bundesrat greift zu Notrecht Börsenstreit zwischen EU und Schweiz eskaliert

SDA

30.11.2018 - 19:06

Zum Schutz der Schweizer Börse greift der Bundesrat zu Notrecht. (Archivbild)
Zum Schutz der Schweizer Börse greift der Bundesrat zu Notrecht. (Archivbild)
Source: KEYSTONE/CHRISTIAN BEUTLER

Zum Schutz der Schweizer Börse greift der Bundesrat zu Notrecht: Ab 2019 dürfen in der EU keine Schweizer Aktien mehr gehandelt werden. Damit will der Bundesrat den Aktienhandel in der Schweiz in Gang halten.

Die Schweiz und die EU verhandeln seit bald fünf Jahren über ein institutionelles Rahmenabkommen. Um Druck auf die Schweiz auszuüben, droht die EU, die Schweizer Börsenregulierung nicht als gleichwertig zu anerkennen. Händlern aus der EU wäre dann der Aktienhandel an der Schweizer Börse verboten.

Schon für das laufende Jahr wurde die Gleichwertigkeitsanerkennung nur befristet bewährt. Am Mittwoch war bekannt geworden, dass die EU-Kommission nicht plant, die Anerkennung auch 2019 zu gewähren. Als Grund gab EU-Vizekommissionspräsident Valdis Dombrowskis in einem Brief die fehlenden Fortschritte in den Verhandlungen mit der Schweiz an.

Ziel bleibt die Anerkennung

Noch ist das Jahr nicht vorbei, der Entscheid kann auch noch gegen Ende Dezember fallen. Doch die Märkte wollen wissen, was Sache ist. Deshalb hat der Bundesrat am Freitag entschieden, seinen im Juni skizzierten Plan B zu aktivieren – Plan A bleibt die unbefristete Äquivalenzanerkennung der Schweizer Börsenregulierung.

Da sich das nicht abzeichnet, führt der Bundesrat Anfang 2019 eine neue Anerkennungspflicht für ausländische Handelsplätze ein. Diese wird automatisch erteilt, jedoch nicht für die Handelsplätze in der EU. Heute werden rund ein Drittel der Schweizer Aktien im Ausland gehandelt, der grösste Teil davon in der EU. Das ist künftig nicht mehr erlaubt.

Der Bundesrat betont, dass es sich nicht um eine Vergeltungsmassnahme handelt. Dafür hätte die Schweiz auch zu wenig Gewicht: Schweizer Aktien machen rund 3 Prozent des Handelsvolumens in der EU aus, 2,5 Prozent davon entfallen allein auf Grossbritannien.

EU-Regeln umschifft

Ziel der Anerkennungspflicht ist es vielmehr, den Aktienhandel in der Schweiz in Gang zu halten. Ein grosser Teil davon wird nämlich von Händlern aus der EU getätigt. Ist die Schweizer Börsenregulierung von der EU nicht als gleichwertig anerkannt, dürfen diese grundsätzlich nicht mehr in der Schweiz Aktienhandel betreiben.

Deshalb soll der Schweizer Handel aus der EU abgezogen werden. Wenn Schweizer Aktien nicht «systematisch und regelmässig» an EU-Handelsplätzen gehandelt werden, benötigt die Schweizer Börse gemäss der EU-Finanzmarktverordnung (MiFIR) keine Gleichwertigkeitsanerkennung. Die EU-Händler könnten weiterhin an der Schweizer Börse Handel treiben.

Feuerprobe steht noch bevor

Der Mechanismus ist unerprobt. Hinzu kommt, dass es sich bei der Verweigerung der Äquivalenzanerkennung durch die EU um einen politischen Akt handelt, mit dem entsprechenden Mass an Unberechenbarkeit. Zur Bekräftigung ihres Standpunkts können die Schweizer Behörden jedoch eine ganze Reihe schriftlicher Stellungnahmen der EU-Kommission und der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA anführen.

Die Belege sind in erster Linie an die Handelsteilnehmer aus der EU gerichtet. Diese müssen überzeugt werden, dass sie nicht gegen EU-Recht verstossen, wenn sie weiterhin auf Schweizer Handelsplätzen aktiv sind.

Die Schweizer Börse Six hat sich bereits im Vorfeld positiv zur neuen Anerkennungspflicht geäussert. Sondierungsgespräche der zuständigen Bundesbehörden haben ergeben, dass auch die betroffenen Schweizer Unternehmen lieber einen Plan B haben als gar keinen Plan.

Die Auswirkungen auf den Schweizer Aktienhandel ohne Massnahmen lassen sich allerdings schwer beziffern. Finanzminister Ueli Maurer warnte im Juni vor einem Einbruch von 70 bis 80 Prozent des Handelsvolumens. Inzwischen sind die Behörden etwas vorsichtiger geworden, weil sich die Abgrenzungen als schwierig erwiesen haben. Sicher ist, dass die Verluste gross wären, mit entsprechenden negativen Auswirkungen für die betroffenen Unternehmen.

Ausserordentliche Lage

Die «Verordnung über die Anerkennung ausländischer Handelsplätze für den Handel mit Beteiligungspapieren von Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz» stützt sich direkt auf die Verfassung. Diese Möglichkeit hat der Bundesrat in ausserordentlichen Lagen. Frühere Beispiele sind die UBS-Affäre, das Swissair-Grounding oder der Fall Tinner.

Die Verordnung tritt am Freitagabend in Kraft und ist auf drei Jahre befristet. Der Bundesrat hofft, bis dahin eine Lösung mit der EU gefunden zu haben. Sollte die EU vor Ende Jahr die Schweizer Börsenregulierung doch noch als gleichwertig anerkennen, bleibt die Verordnung in Kraft. Der Bundesrat würde den EU-Handelsplätzen dann einfach die Anerkennung gewähren, womit die Verordnung faktisch keine Wirkung hätte.

Einen Verstoss gegen die neue Schweizer Anerkennungspflicht könnte die Schweiz nur indirekt ahnden. Die Verordnung verweist auf das Finanzmarktgesetz, das Bussen oder Freiheitsstrafen auch für die verantwortlichen Organe von fehlbaren Unternehmen vorsieht. Die Schweizer Behörden hoffen, dass das den Schweizer Regeln Nachachtung verschafft.

Entscheid zum Rahmenabkommen

Möglicherweise wird das ganze Konstrukt schon nächste Woche obsolet. Dann nämlich will der Bundesrat entscheiden, wie es mit dem Rahmenabkommen weitergeht. Das sagte Bundesratssprecher André Simonazzi vor den Bundeshausmedien.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Bundesrat dem Verhandlungsergebnis zustimmt, auch wenn dieses offenbar alles andere als befriedigend ist. Dann wäre die Gleichwertigkeitsanerkennung der Schweizer Börsenregulierung vermutlich nur eine Formsache.

Die EU-Kommission nahm von dem Entscheid Kenntnis, wie sie am Abend mitteilte. Sie werde die Situation prüfen, «einschliesslich der Äquivalenz und der Gegenmassnahmen, und in den kommenden Tagen und Wochen mögliche Schritte im Hinblick auf das Institutionelle Rahmenabkommen diskutieren».

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