Corona-Impfung BAG will gewissen Kindern den Entscheid selbst überlassen

Von Lia Pescatore

23.5.2021

Sollen Kinder selbst entscheiden dürfen, ob sie sich gegen Corona impfen lassen wollen? Das BAG sagt Ja – unter einer Bedingung.
Sollen Kinder selbst entscheiden dürfen, ob sie sich gegen Corona impfen lassen wollen? Das BAG sagt Ja – unter einer Bedingung.
Keystone/Alessandro della Valle

Für das BAG ist klar: Auch Kinder sollen sich gegen das Coronavirus impfen, sobald ein Impfstoff zugelassen ist. Doch wie geht man mit Fällen um, wo sich Kinder und Eltern bei der Frage «Impfung – ja oder nein» nicht einig sind?

Von Lia Pescatore

Bisher ist die Rolle der Kinder in der Impfdebatte noch kein grosses Thema. Der Moderna-Impfstoff ist erst für Menschen ab 18 Jahre zugelassen, mit den Pfizer/Biontech-Dosen darf man sich schon als 16-Jähriger impfen lassen. Dies soll sich aber bald ändern: Pfizer/Biontech hat ein Zulassungsgesuch für das Impfen ab zwölf Jahren bei Swissmedic eingereicht. 

Die Schweiz will vorwärtsmachen. Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, sagte der NZZ am Sonntag: «Ich hoffe, dass wir nach den Sommerferien mit dem Impfen der 12- bis 15-Jährigen beginnen können.»

Doch mit der Zulassung der Impfung für jüngere Kinder stellt sich die Frage, wer entscheidet, ob sich das Kind impfen lassen soll oder nicht. Das Kind oder die Eltern? 

Das BAG hat das Problem bereits erkannt. In einem Rundschreiben, das unter anderem an Ärzte, Pflegeverbände und Krankenversicherer adressiert ist und in den letzten Tagen in den sozialen Medien kursierte, legt das BAG dar, in welchem Fall das Kind selbst die Entscheidung treffen darf. Ausschlaggebend sei dabei nicht das Alter des Kindes, sondern dessen Urteilsfähigkeit, schreibt das BAG.

Bedingung für die Bejahung der Urteilsfähigkeit sei, dass ein Kind «die Tragweite des Eingriffs für seinen Körper abschätzen» könne. Das BAG stützt sich dabei auf den Artikel 16 ZGB. Eine gewisse Vorbeurteilung nach Alter sei aber möglich: So sei zu vermuten, dass Kinder ab 15 Jahren urteilsfähig seien. Es könne aber auch schon bei Kindern ab 10 Jahren gegeben sein, so könne die Urteilsfähigkeit von 10 bis 15 Jahren nach und nach zugestanden werden.

Mehr Autonomie für die Kinder 

Für Sura Boz, Leiterin Rechtsdienste des Universitätskinderspitals beider Basel (UKBB), folgt die Auslegung des BAG der vorherrschenden Meinung im Schweizer Rechtssystem. Seit einigen Jahren würden sowohl Lehre als auch Rechtsprechung die Autonomie von urteilsfähigen Kindern in medizinischen Fragen betonen, erklärte sie der NZZ

Als wegweisend in dieser Entwicklung weg vom fürsorglichen Modell gilt ein Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2008: Ein Osteopath wurde zu einer Ordnungsbusse verurteilt, weil er die Behandlung eines Kindes durchgezogen hat, obwohl das 13-jährige Mädchen diese abbrechen wollte und vor Schmerzen schrie. Das Gericht begründete seinen Entscheid damit, dass der Osteopath sich in diesem Fall nicht auf die Zustimmung der Mutter hätte stützen dürfen, da das Mädchen bereits urteilsfähig gewesen sei und der Entscheid darum allein ihr zugestanden hätte.

Doch nicht in jeder medizinischen Frage ist die Urteilsfähigkeit gleich zu beurteilen, sagt Regina Aebi-Müller, Jus-Professorin und Mitglied der Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, im Gespräch mit 20 Minuten: «Sind die Neben- oder Auswirkungen einer Behandlung gross oder schwerwiegend, setzt man das Alter, in dem die Urteilsfähigkeit angenommen werden kann, unter Umständen sogar erst bei 16 oder 17 an.» Dies sei zum Beispiel bei onkologischen Behandlungen der Fall. 

Bei einer Impfung wie jener gegen Corona, die nebenwirkungsarm sei, könne die nötige Urteilsfähigkeit sogar schon bei gut informierten Kindern unter 10 Jahren gegeben sein, sagt Aebi-Müller weiter. «In einem solchen Fall kann sich das Kind auch selbstständig bei einer Fachperson, die die Urteilsfähigkeit einschätzen kann – etwa dem Haus- oder Kinderarzt – für eine Impfung anmelden.» So weit geht das BAG hingegen nicht: Im Rundschreiben heisst es, dass «eine echte Zustimmung bis 10 Jahre unmöglich erscheint».

Brisant: Sobald ein Kind urteilsfähig ist, gilt auch das Arztgeheimnis. Eine medizinische Fachperson ist also nicht verpflichtet, den Eltern Auskunft zu geben, ob sich ihr Kind impfen lassen hat oder nicht.

Gericht entscheidet nach Empfehlung der Behörde

Am häufigsten seien aber nicht Kinder und Eltern uneinig, sondern die Eltern untereinander, ob sie das Kind impfen lassen wollen, sagt Sura Boz vom UKBB der NZZ. 

Teilweise gehen Eltern in solchen Streitigkeiten bis vor Gericht. 2020 musste das Bundesgericht über die Masernimpfung mehrerer minderjähriger Kinder entscheiden, weil die Eltern sich in dieser Frage nicht einigen konnten. Es kann also gut sein, dass die Frage «Corona-Impfung – ja oder nein» in gewissen Fällen auch von Gerichten getroffen werden muss. Im Entscheid vom vergangenen Jahr hält das Bundesgericht fest, dass die Empfehlung der Masernimpfung durch des BAG «für den Entscheid der Behörde Richtschnur sein» soll. Das Gericht hat darum im Sinne des impfwilligen Elternteils entschieden. Ob das Gericht bei der Corona-Impfung gleich entscheiden würde, ist hingegen noch unklar.