AbstimmungsvorlageEin Schuss ins eigene Bein? Jäger streiten über das neue Jagdgesetz
Von Gil Bieler
2.9.2020
Der Wolf und das revidierte Jagdgesetz: An diesen Themen scheiden sich auch bei Jägerinnen und Jägern die Geister. Ein Komitee kritisiert eine Aufweichung des Artenschutzes, der Dachverband dagegen wirbt für ein Ja.
Dass Tier- und Umweltschützer das revidierte Jagdgesetz als missraten ablehnen, liegt auf der Hand: Schliesslich haben sie das Referendum dagegen ergriffen. Dass aber auch ein Komitee aus über 100 Jägerinnen und Jägern Nein sagt, kommt eher überraschend: Denn damit stellen sie sich gegen die Parole von JagdSchweiz, dem Dachverband der Jäger.
«Jäger sind eine sehr heterogene Gruppe», erklärt David Gerke vom Komitee, das für ein Nein am 27. September kämpft, auf Anfrage von «Bluewin». «Man findet bei uns alles, von den grössten Wolfsbefürwortern bis hin zu den grössten Wolfsgegnern.»
Dass es mit dem revidierten Gesetz erleichtert werde, die Wolfspopulation zu regulieren, sei primär ein Anliegen der Landwirte gewesen. «Für die Jägerinnen und Jäger dagegen ändert sich im Alltag nichts Substanzielles», sagt er. Gleichwohl werde der Artenschutz aufgeweicht, in einer – wie Gerke findet – inakzeptablen Weise.
«Wir Jäger haben seit Jahrzehnten gesagt, dass Jagd mehr ist als nur Schiessen, nämlich auch Hege und Artenschutz.» Mit dem Ja zum Jagdgesetz widerspreche der Jägerverband dieser Argumentation und mache sich unglaubwürdig.
Auf seiner Website fasst das Komitee seine Überzeugungen wie folgt zusammenfasst: «Wir lieben die Natur und ihre Flora und Fauna. Verantwortungsbewusste Jäger setzen sich nicht nur für jagdbare, sondern auch für geschützte Wildtiere ein. Eine Schwächung des Artenschutzes ist nicht in unserem Sinne.»
«Man darf den Wolf nicht romantisieren»
Wenn der Jägerverband nun für ein Ja zum neuen Gesetz werbe, könnte das am Ende gar der Ruf der Jäger schaden, glaubt Gerke. «In der Öffentlichkeit entsteht oft der falsche Eindruck, dass es ein Triumph für die Jäger wäre, wenn ein Wolf erlegt wird – dabei erfolgt dies in aller Regel durch einen Wildhüter.» Dieses Bild des Jägers, der dem Wolf an den Kragen wolle, werde durch die Ja-Parole nur verstärkt.
Gerke selbst geht in den Kantonen Solothurn und Bern auf die Jagd. Als Präsident der Gruppe Wolf Schweiz engagiert er sich gleichzeitig dafür, ein Zusammenleben zwischen Mensch und Grossraubtieren zu ermöglichen. Eine Kombination, die nicht nur auf Verständnis stösst – bei Jägern wie bei Tierschützern.
«Ich sage immer: Man darf den Wolf nicht romantisieren. Er reisst Nutztiere, das gibt Konflikte, ganz klar», erklärt Gerke seine Haltung. Eine Regulation sei daher auch beim Wolf für ihn kein Tabu – doch sei diese schon mit dem bestehenden Jagdgesetz möglich.
Busse bis zu 20'000 Franken
Bei JagdSchweiz weist man die Kritik aus den eigenen Reihen zurück: «Die Behauptung, für Jäger würde sich nichts ändern, ist schlicht falsch», hält Präsident Anton Merkle auf Anfrage fest.
So würde beispielsweise die Nachsuche neu in das Gesetz aufgenommen. Darunter versteht man die Verpflichtung für Jäger, ein durch sie verletztes Tier aufzuspüren und nötigenfalls von seinem Leid zu erlösen. Wer dagegen verstösst, muss mit einer Busse von bis zu 20'000 Franken rechnen. Man begrüsse diese Verschärfungen, sagt Merkle. Sie entsprächen dem Gedanken des Tierschutzes.
Auch glaubt er nicht, dass der Ruf der Jäger unter einem Ja zum Jagdgesetz leiden könnte: «Es sind ja nicht die Jäger, die einen Wolf abschiessen, sondern die Wildhut.» Der Wolf habe, genau wie Biber oder Luchs, seine Daseinsberechtigung in der Schweiz. «Wir wollen den Wolf nicht ausrotten. Aber es muss Möglichkeiten geben, bei Bedrohungen der Wild- und Nutztiere die Bestände zu regulieren.»
Umfrage
Wie stehen Sie zum revidierten Jagdgesetz?
JagdSchweiz sieht im revidierten Jagdgesetz «eine ausgewogene Rechtsgrundlage und den bestmöglichen Kompromiss, der vom Parlament nach achtjährigen zähen Verhandlungen im September 2019 endlich abgesegnet werden konnte».
«Von einem ‹Abschuss-Gesetz› kann keine Rede sein», findet Merkle. Er verweist darauf, dass trotz aller Gesetzesänderungen für die Kantone klare Vorgaben gelten, wann ein Wolf zum Abschuss freigegeben werden darf.
«Solche Regulierungen dürfen den Bestand der Population nicht gefährden», heisst es im entsprechenden Gesetzestext. Sie müssten zudem erforderlich sein, um Lebensräume oder die Artenvielfalt zu schützen, um Schaden oder einer «konkreten Gefährdung von Menschen» vorzubeugen – oder um regional angemessene Wildbestände zu erhalten.
Öffentlicher Druck auf die Jagd wird wachsen
Auch wenn die Meinungen in der Jägerschaft zum Jagdgesetz also weit auseinandergehen: David Gerke legt Wert auf die Feststellung, dass ein Nein zum Gesetz kein Nein zur Jagd an sich sei. Jäger erfüllen aus seiner Sicht primär eine ökologische Funktion, indem sie die Schalenwild-Population regulieren. Zu grosse Wildbestände würden die Vegetation in den Wäldern schädigen. So trage die Jagd auch zum Naturschutz bei.
Den Wolf, der die Reh- und Hirschbestände ebenfalls reduziert, sieht er dabei als einen natürlich Verbündeten – nicht als Konkurrenten.
Dass diese Sichtweise nicht alle Jäger teilen, zeigt sich schon daran, dass in der Schweiz bereits mehrere Wölfe gewildert wurden. «Das ist leider so», sagt dazu Jagdverbands-Präsident Merkle. Wilderei sei eine kriminelle Tat, die immer strafrechtlich geahndet werden müsse.
Viele Jäger würden sich für das neue Jagdgesetz einsetzen, weil sie «Angst vor einem noch schlechteren Gesetz» hätten, glaubt Gerke. Sprich: Wenn das Gesetz bei einem Nein nochmals überarbeitet würde, könnte das Resultat für die Jäger deutlich schlechter ausfallen.
Denn, dass die Jagd Gegner hat, ist unbestritten. Der öffentliche Widerstand gegen gewisse Jagdpraktiken werde nur noch wachsen – namentlich gegen die Niederjagd, auf Tiere wie Hasen oder Birkhühner. Doch: «Es ist eine Illusion, zu glauben, mit dem neuen Jagdgesetz wäre diese Diskussion erledigt. Wir werden diese so oder so führen müssen.»