Forderungen an KantonAbgewiesene Asylsuchende: «Wir fühlen uns ungerecht behandelt»
Von Jennifer Furer
15.7.2020
Abgewiesene Asylsuchende aus dem Kanton Zürich beschweren sich in einem offenen Brief über ihre Lage. Nun fordern sie das Sozialamt zum Handeln auf. Dieses wiegelt aber ab.
«Für uns Abgewiesene ist diese Situation sehr schwierig und schmerzhaft», heisst es in einem offenen Brief, der von abgewiesenen Asylsuchenden der Notunterkünfte des Kantons Zürich stammt. Stossend finden diese besonders «die strenge Unterschriftpflicht».
Täglich müssten abgewiesene Asylsuchende ein- oder zweimal unterschreiben, um das Nothilfegeld von 8.50 Franken pro Tag zu erhalten. Dieses muss für Essen, Hygienemittel, Mobilität und Kommunikation reichen.
Diese regelmässige Abgabe der Unterschrift mache «es sehr schwierig bis unmöglich, Treffpunkte und Deutschkurse zu besuchen und Essen einzukaufen», schreiben die Abgewiesenen weiter.
Verzicht auf tägliche Unterschriftenpflicht
Zudem sei es gefährlich und die Ansteckungsgefahr sei hoch, wenn man zweimal am Tag in einer langen Schlange während einer kurzen Zeit vor den Büros in den Camps warten müsse, so die Abgewiesenen. In anderen Kantonen gebe es eine solch strenge Praxis nicht. «Wir fühlen uns ungerecht behandelt», heisst es im Brief.
Auch sie hätten ein Anrecht auf den Schutz ihrer Gesundheit, «auch wenn wir in Camps wohnen.» Sie fordern im Brief auf den Verzicht der täglichen Unterschriftspflicht. «Wir wünschen uns, dass wir in nicht noch grösseren Schwierigkeiten leben müssen.»
Den Brief und die Forderung, die am 2. Juli eingereicht wurde, unterstützen 919 Personen, darunter auch bekannte Politiker, wie Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli, die Zürcher Kantonsrätin Jasmin Pokerschnig (Grüne) und die Zürcher Kantonsrätin Sibylle Marti (SP). Auch Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft finden sich unter den Unterstützerinnen und Unterstützern – so etwa der Schriftsteller Franz Hohler und die Entwicklungsökonomin Adina Rom.
Nachdem das Kantonale Sozialamt nach einer Woche nichts von sich hören liess, gelangten die Abgewiesenen nochmals an die Behörden. «Wir sind Menschen und wir sind hier», schreiben sie auf einer neu gegründeten Website. Diese und eine Facebookseite sollen dazu dienen, Kontakte herzustellen, Ideen auszutauschen und Rückmeldungen zu ermöglichen, um die Situation von Abgewiesenen zu verbessern.
Diese sei nicht nur wegen der Unterschriftenpflicht prekär, sondern auch wegen der Isolation und der Zustände der Notunterkünfte.
Anzeige gegen Mario Fehr
Während der Coronakrise gipfelte die Situation in einer Anzeige gegen Regierungsrat und Sicherheitsvorsteher Mario Fehr (SP), Mitarbeitende der Sicherheitsdirektion sowie gegen Verantwortliche der Betreuungsfirma ORS Service AG.
Grund: Sie sollen während der Coronapandemie ihre Schutzpflicht verletzt und die Empfehlungen des Bundes nur ungenügend befolgt haben, hiess es in einer Mitteilung der Organisation «Demokratische Juristen Schweiz» und des Vereins «Solidarité sans frontières», welche die Anzeige getätigt haben.
Das Social Distancing sei «verunmöglicht» worden und es seien zu wenige Hygieneartikel vorhanden gewesen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Zürcher Sicherheitsdirektion sprach in einer Mitteilung von «haltlosen Vorwürfen». Diese dienten nur einer politischen Auseinandersetzung. Seife und Desinfektionsmittel seien vorhanden gewesen und es seien Isolierzentren geschaffen worden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Mitteilung Ende Mai seien «gerademal» acht Personen von 600 untergebrachten Personen erkrankt. Alle seien wieder gesund.
Vorwurf von Ärzten
Dass Vorwürfe gegen das Asylwesen im Kanton Zürich erhoben werden, ist nicht neu. Dabei geht es aber meist um eine Grundsatzdiskussion: Wie darf, kann und muss mit Abgewiesenen umgegangen werden?
Fest steht: Die Asylpolitik von Mario Fehr stösst linken Organisationen und Politikerinnen sauer auf. Dieser muss als Sicherheitsdirektor dafür sorgen, dass Abgewiesene das Land verlassen. Das Verwaltungsgericht hat die Vorgehensweise des Kantons mehrmals gestützt. Das widerstrebt vielen Linken und deren politischen Einstellung.
Dass nun erneut eine öffentlichkeitswirksame Diskussion um Abgewiesene entstanden ist, ist auf Markus Fritsche zurückzuführen. Dieser beschwerte sich im «Tages-Anzeiger» über die Situation von Abgewiesenen in den Notunterkünften. Etwa in Adliswil, wo Fritsche selbst als Arzt Menschen behandelte. «Der Kanton reagiert extrem dilettantisch auf die Bedrohung», sagte er mit Blick auf die vorherrschende Coronapandemie.
Kathrin Berg, pensionierte Hausärztin aus Zürich, die ebenfalls über Jahre Bewohnerinnen und Bewohner verschiedener Unterkünfte betreut hat, spricht in der Zeitung von einer «katastrophalen Situation».
Auch der Dietiker Arzt Theo Leutenegger äusserte in der «Limmattaler Zeitung» Kritik und forderte letzte Woche eine Schliessung der unterirdischen Unterkunft in Urdorf.
In einer Medienmitteilung, die nach dem Artikel des «Tages-Anzeigers» verschickt wurde, hiess es, dass der Kanton auch in der ausserordentlichen Lage seine Pflicht erfülle. Es gebe unter anderem Gesundheits- und Pandemiekonzepte, die medizinische Betreuung sei gewährleistet und es gebe Isolationszimmer. «Betriebliche Anpassungen» würden zudem eine bessere Umsetzung der Distanzregeln ermöglichen.