«Der Zeuge» in russischen Kinos Putins erster Propaganda-Streifen über den Krieg droht zu floppen

AP/toko

30.8.2023 - 10:43

Ein Ticketautomat mit Plakaten des Films «Der Zeuge» in einem Einkaufszentrum in Moskau.
Ein Ticketautomat mit Plakaten des Films «Der Zeuge» in einem Einkaufszentrum in Moskau.
Alexander Zemlianichenko/AP/Keystone

Der Krieg in der Ukraine läuft nicht so, wie es sich die russischen Angreifer erhofft hatten. Umso wichtiger ist es für Moskau, ihn zu glorifizieren und zu rechtfertigen. Ein neuer Kinofilm tut genau das.

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  • Mit «Der Zeuge» kommt ein neuer Film in die russischen Kinos, der den Angriffskrieg in der Ukraine rechtfertig und sogar glorifiziert.
  • Ukrainische Soldaten werden in dem Film als gewalttätige Neonazis dargestellt, die ihre eigenen Landsleute foltern und töten.
  • Kontrolle über die Bildersprache ist ein gewöhnliches Vorgehen von Diktaturen. Ähnliche andere in der Vergangenheit waren jedoch Kinokassen-Flops

Der Film dreht sich um einen Violinisten aus Belgien, der zu einer Aufführung nach Kiew reist. Es ist Februar 2022, und sein Aufenthalt wird völlig durcheinander gebracht, als Russland damit beginnt, die Ukraine zu bombardieren. Der Künstler überlebt eine Serie «inhumaner Verbrechen und blutiger Provokationen seitens ukrainischer Nationalisten», und nun will er der Welt erzählen, «wie es wirklich war».

«Der Zeuge» – ein vom Staat gesponsertes Drama, das in Russland am 17. August Premiere hatte – ist der erste Spielfilm über die nunmehr schon 18 Monate dauernde Invasion, der landesweit in den Kinos anläuft. Er stellt ukrainische Soldaten als gewalttätige Neonazis dar, die ihre eigenen Landsleute foltern und töten. Und zu den Hauptfiguren im Film zählt ein junger Sohn, der fragt: «Ist die Ukraine nicht Russland?» Es ist das Narrativ, das der Kreml seit den ersten Tagen des Krieges vorantreibt – jetzt alles verpackt in einem Kinofilm.

Weiterer Flop droht an den Kinokassen

Das Anlaufen des Leinwanddramas folgt einem Plan, die Produktion von Filmen zu fördern, die das Moskauer Vorgehen in der Ukraine glorifizieren. Aber in einer Zeit des Instant-Messagings und der Desinformation lautet die grosse Frage, ob solche Filme Zuschauer anziehen. Ähnliche andere in der Vergangenheit waren Kinokassen-Flops. Hinzu kommt, wie Soziologen sagen, dass das öffentliche Interesse am Verfolgen des Krieges stark nachgelassen hat, Leute wollten in diesen Tagen hauptsächlich all den düsteren Nachrichten um den Krieg herum entkommen. 

«Wir hören regelmässig, dass es ein grosser Stress, ein grosses Leid ist», schildert Denis Wolkow, Direktor des Lewada-Zentrums, Russlands grösstem Meinungsforschungsunternehmen. Einige Russen sagten, dass sie konsequent keine Nachrichten über die Ukraine anschauten oder anhörten und auch nicht über sie diskutierten.

Kontrolle über die Bildersprache ist ein gewöhnliches Vorgehen von Diktaturen. Propagandafilme wurden in der Sowjetunion produziert, in Nazideutschland, in Italien unter Benito Mussolini, in Nordkorea und im Nahen Osten. Im heutigen Russland sprechen Offizielle offen über ihre Absicht, den Ukrainekrieg – das heisst, das russische Narrativ darüber – auf die grosse Leinwand zu bringen.

«Heroismus und Selbstlosigkeit russischer Krieger»

Der russische Präsident Wladimir Putin hat das Kulturministerium angewiesen sicherzustellen, dass Dokumentationen über die «spezielle Militäroperation» in der Ukraine, wie der Kreml seinen Angriffskrieg bezeichnet, in die Kinos kommen.

Das Ministerium hat bei der Bereitstellung von Geldern für Filme auch bestimmten Themen Vorrang gegeben, etwa der Darstellung von «Heroismus und Selbstlosigkeit russischer Krieger» in der Ukraine und «dem Kampf gegen moderne Manifestationen der Nazi- und faschistischen Ideologie» – eine falsche Anschuldigung, die Putin gegen die Führung in Kiew erhebt.

Der Umfang der staatlichen Mittel, auf die russische Filmemacher in diesem Jahr zurückgreifen können, ist höher denn je: 30 Milliarden Rubel (etwa 295 Millionen Euro). Das ist eine Menge Geld für die heutige Branche, die sich seit Jahren stark auf staatliche Finanzspritzen gestützt hat. Der russische Filmkritiker Anton Dolin nennt es ein «übles System, wenn der Staat der hauptsächliche und reichste Produzent im Land ist». Dolin weist darauf hin, dass alle Filme eine Vorführungslizenz vom Kulturministerium benötigten, und somit seien auch Jene, die kein Geld von der Regierung nähmen,  «Zensur-Mechanismen» ausgesetzt.

Das bedeutet jedoch nicht, dass russische Filmemacher, die Staatsgelder erhalten, stets Propaganda produzieren. Es gebe auch ein «sehr anständiges Kino», wie der Kritiker und Kulturexperte Juri Saprykin es formuliert. So haben einige Oscar-Kandidaten aus Russland staatliche Mittel erhalten, und es gab insgesamt eine Reihe einheimischer Hits: historische Dramen, Science-Fiction-Blockbuster und Porträts legendärer sowjetischer Athleten.

Kreml verschiebt Start von Hollywood-Blockbustern

Nach der illegalen Annexion der Krim begannen die Kreml-Narrative in die Kinos einzufliessen. Staatsmedien machten starke Werbung für zwei mit Regierungsgeldern finanzierte Streifen. Der Film «Krim» (2017) rechtfertigte die Moskauer Besitzergreifung der Halbinsel, zeigte Ukrainer, die angeblich ihre Landsleute schlugen und töteten. Eine romantische Komödie im Jahr 2018 konzentrierte sich auf ein Lieblingsprojekt Putins, eine Brücke, die die Krim mit dem Festland verbindet, und schilderte ein florierendes Leben örtlicher Einwohner unter Russlands Herrschaft. Beide Streifen fielen am Ende in den Kinos durch.

Zur damaligen Zeit hatten die Russen eine Alternative – Hollywood-Blockbuster, die stets viel erfolgreicher waren. So sehr, dass Russlands Behörden irgendwann damit begannen, das Anlaufen von Hollywood-Hits in den Kinos zu verschieben, wenn sie sich mit einheimischen Filmen überschnitten, die nicht mit ihnen hätten Schritt halten können. 

Insgesamt hat die russische Filmbranche im Laufe der Jahre wenig Interesse an der Produktion von Propaganda-Filmen über Russlands Konflikt in der Ukraine gezeigt: Von Hunderten Streifen, die jedes Jahr in Russland herausgebracht wurden, hätten sich seit 2014 nur ungefähr ein Dutzend mit dem Thema beschäftigt, sagt Iwan Philippow, Kreativchef von AR Content, dem Unternehmen des bekannten Filmproduzenten Alexander Rodnyanski. Er erwartet aber, dass die Zahl wächst und verweist auf zwei weitere Filme, die in Arbeit seien. Einer folgt einem Moskauer Künstler, der sich dafür entscheidet, sich den vom Kreml gestützten Separatisten in der Ostukraine anzuschliessen. Der andere dreht sich um russische Soldaten, die versuchen, eine Gruppe indischer Studenten zu retten, die während der russischen «speziellen Militäroperation» in einer ukrainischen Stadt von «Nationalisten» eingeschlossen sind.

Aber ist der bisherige Erfolg des Filmes «Der Zeuge» ein Signal, dann werden auch diese Streifen wohl kaum ein Renner. An seinem ersten Wochenende brachte «Der Zeuge» gerade einmal 6,7 Millionen Rubel in die Kassen – umgerechnet etwa 63'000 Franken.

AP/toko