PropagandaWie das russische Staats-TV den Krieg umdeutet
AP/toko
13.3.2022 - 00:00
Unabhängige Berichterstattung ist unter Androhung von harten Strafen verboten. Viele Russen sehen somit nur noch das, was der Kreml zeigen lässt. Bislang scheint die Propaganda zu verfangen. Doch je länger der Krieg dauert, desto grösser dürften die Zweifel werden.
13.03.2022, 00:00
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Nach Darstellung des Staats-TVs sind russische Soldaten in der Ukraine, um die Bevölkerung des Nachbarlandes vor «Neo-Nazis» zu retten. Zugleich wird suggeriert, dass es in Russland enorme öffentliche Unterstützung für die «militärische Spezialoperation» gebe: Bilder zeigen Autokonvois, bei denen russische Fahnen geschwenkt werden sowie Menschen, die sich zu dem Buchstaben «Z» formieren, der zu einem Symbol für die eigenen Streitkräfte geworden ist.
Ein Nachrichtensprecher in dem vom Kreml kontrollierten Sender Rossija 24 rasselt die Namen der Städte herunter, in denen es Demonstrationen gegeben haben soll. «Petropawlowsk-Kamtschatski, Tscheljabinsk, Jekaterinburg, Stawropol, Tula – in diesen und vielen weiteren Städten im ganzen Land gab es Massenkundgebungen zur Unterstützung der Spezialoperation», sagt er.
In einem anderen Bericht ist der Tenor ähnlich: «Fahrer klebten die Buchstaben Z und V, die auf russischen Militärfahrzeugen zu sehen sind, auf ihre Autos und trafen sich zu einem spontanen Flashmob, der in absolut allen Städten unseres Landes als Zeichen der Solidarität, des Beistands und des Stolzes auf den Mut der russischen Soldaten begrüsst wurde», heisst es.
Nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar dauerte es zunächst mehrere Tage, bis die Medien-Kampagne Moskaus Fahrt aufnahm. Inzwischen wird auf allen Kanälen der Eindruck vermittelt, dass die Bevölkerung Russlands voll und ganz hinter dem Kurs des Kremls stehe – und damit hinter dem Angriffskrieg, bei dem bereits Tausende Soldaten und Zivilpersonen getötet worden sind und der mehr als zwei Millionen Ukrainer in die Flucht getrieben hat.
Die Bilder und Geschichten von Russen, die sich mit den eigenen Truppen solidarisieren, dürften vor allem darauf abzielen, die zunehmende Antikriegsstimmung an der Heimatfront zu dämpfen. In Moskau, Sankt Petersburg und anderswo hatten viele Tausend Menschen gegen die von Russland gestartete Invasion protestiert. Mehr als eine Million haben eine Petition unterschrieben, in der ein Ende der Gewalt gefordert wird.
Experten zufolge ist es durchaus so, dass sich viele Russen derzeit «um die Flagge versammeln». Die Frage ist allerdings, wie lange die nationalistische Stimmung angesichts der durch westliche Sanktionen schwieriger werdenden Lebensbedingungen anhalten kann. Ob die Stimmung zu einer breiteren Unterstützung von Präsident Wladimir Putin führen wird, bleibt ebenfalls abzuwarten.
«Eine beträchtliche Zahl von Russen sieht die Lage so, dass Russland vor einer schwierigen Herausforderung steht, und dass man sich in dieser Situation nicht gegen die Behörden auflehnen sollte», sagt Tatjana Stanowaja, Gründerin des Instituts R.Politik, der Nachrichtenagentur AP.
Anders als die von der Bevölkerung ausgehenden Proteste gegen den Krieg, inklusive Dutzenden offenen Briefen von Vertretern verschiedener Berufsgruppen, ging die «öffentliche» Unterstützung der Invasion von den staatlichen Medien aus. Erleichtert wird die Kampagne dadurch, dass es in Russland spätestens seit Kriegsbeginn fast keinen unabhängigen Journalismus mehr gibt. Kritische Sender und Zeitungen wurden geschlossen. Wer eine von der Kreml-Linie abweichende Meinung äussert, muss mit Strafverfolgung und Gefängnis rechnen. Das gilt schon dann, wenn der aktuelle Konflikt als «Krieg» oder «Invasion» bezeichnet wird.
So berichten nun regionale Behörden von örtlichen Autokonvois. Die Jugendorganisation der Regierungspartei Einiges Russland veröffentlicht patriotische Videos, in denen junge Menschen in die Kamera schauen und die russischen Streitkräfte rühmen. Der vom russischen Staat finanzierte Sender RT kündigte auf seinen Social-Media-Kanälen den Verkauf von T-Shirts und Pullovern mit Aufdruck des Buchstabens «Z» an.
Von der Kampagne der Staatsmedien angestossen, traten mit einiger Verzögerung auch Anzeichen für echte öffentliche Unterstützung in Erscheinung. Der Buchstabe «Z» tauchte auf Bussen, Autos und Bürofenstern auf, mit Farbe gemalt oder mit Klebeband geklebt. Der russische Turner Ivan Kuliak sorgte kürzlich bei einem Weltcup in Katar für einen Eklat, als er mit einem «Z» auf seinem Turnanzug auftrat – und zwar während er neben einem Athleten aus der Ukraine stand.
Vertreter der russischen Regierung und das Staatsfernsehen beharren darauf, dass die Streitkräfte des Landes in der Ukraine nur militärische Ziele ins Visier nähmen. Sämtliche Angriffe auf zivile Einrichtungen sind nach der von ihnen verbreiteten Darstellung auf «Neo-Nazis» innerhalb der Regierung in Kiew zurückzuführen – ungeachtet der Tatsache, dass die Ukraine 2019 zum ersten Land neben Israel wurde, in dem sowohl das Staatsoberhaupt als auch der Regierungschef jüdisch waren; der Grossvater von Präsident Wolodymyr Selenskyj kämpfte einst gegen Nazi-Deutschland, mehrere seiner Angehörigen wurden während des Holocausts ermordet.
«Opfer» der Saktionen
Ähnlich wie nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 bemüht sich der Kreml auch jetzt wieder, sich als Opfer einer feindlichen Belagerung darzustellen und bezeichnet die westlichen Sanktionen als «beispiellosen Wirtschaftskrieg». Für viele Russen sei eine solche Version der Dinge ein «psychologischer Trost», sagt der Russland-Experte Nikolai Petrov vom Londoner Institut Chatham House. «Sie wollen nicht glauben, dass ihr Anführer ein Krimineller ist und dass er Kriegsverbrechen begeht. Sie fühlen sich wohler in dem Glauben, dass ihre Streitkräfte irgendjemanden vor dem Nazismus retten werden.»
Laut Andrei Kolesnikov vom Carnegie Moscow Center ist die tendenziell positive Haltung zum Krieg in der Ukraine aber keineswegs mit der öffentlichen Euphorie nach der Annexion der Krim zu vergleichen. «Die Russen unterstützen Putin. Aber wegen des Ernstes der Lage gibt es nicht so eine unglaubliche Mobilisierung wie 2014», sagt er.
Und Petrov geht davon aus, dass auch die aktuell zu erkennende Unterstützung schwinden könnte, wenn sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtern sollte und der Alltag der Menschen noch härter würde. «Es ist klar und unvermeidlich, dass sich die Stimmung ändern wird», sagt der Experte. «Insofern denke ich, dass es für Putin nur ein ziemlich begrenztes Zeitfenster gibt, um einen Sieg zu verkünden und die Streitkräfte zurückzuholen.»