UmweltverschmutzungSo stoppt ein Müllrad Plastik auf dem Weg ins Meer
Von Janet McConnaughey, AP
18.6.2022 - 00:00
Jedes Jahr gelangen Millionen Tonnen Plastikmüll in die Meere, eine Gefahr für Pflanzen und Tiere. Auch nur einen kleinen Teil wieder herauszufischen, ist mühsam und kostspielig. Aber was tun?
18.06.2022, 00:00
dpa
Schwimmende Zäune in Indien. Skurrile Fliessbänder mit grossen tellerrunden Augen in den USA. Wasserdrohnen und eine Luftbläschenbarriere in den Niederlanden. Das sind einige der modernen und zugleich einfachen Erfindungen, die benutzt werden, um Plastikmüll in Flüssen und Strömen zu stoppen, bevor er die Ozeane verschmutzen kann.
Es ist ein schwerwiegendes Umweltproblem, das auch im wahrsten Sinne des Wortes. Schätzungsweise acht Millionen Tonnen Plastik gelangen jedes Jahr in die Meere. Dort beschädigt oder zerstört es Pflanzen und verstümmelt oder tötet Tiere wie Wale, Delfine und Seevögel.
Müllfallen in Flüssen können das Problem nicht lösen, aber helfen, es zu verringern, wie etwa Experten der US-Wetter-und Ozeanografiebehörde NOAA sagen, die ein Programm zur Erforschung und Bekämpfung der Meeresmüllbelastung betreibt. «Es ist einfach schwer, in unsere grossen, offenen Meere zu gehen und den Abfall dort einzusammeln, sagt dessen Leiterin Nancy Wallace. «Wir würden den Müll viel lieber näher an der Küste sammeln.» Das sei nicht nur leichter, sondern koste auch weniger – und das Plastik gelange erst gar nicht in die Ozeane.
Abfall wird fast überall in Wasserwege geweht, geschwemmt oder geworfen. Gullys nehmen Abfälle auf, die auf den Strassen landen, und an Orten ohne organisierte Müllabfuhr sind Flüsse für die Menschen ein einfacher Weg, ihren Abfall loszuwerden.
Die Wissenschaft der Plastik-Umweltverschmutzung ist noch relativ jung, fast so im Flusse wie die Gewässer, die sie erforscht. Ein Wissenschaftler berichtete beispielsweise 2017, dass Flüsse jährlich zwischen 410 000 und vier Millionen Tonnen Plastik ins Meer tragen könnten. 2021 nahm er an einer Studie teil, die die Spannbreite deutlich verengte, mit einer Obergrenze von etwa 2,7 Millionen Tonnen.
«Im Vergleich zu anderen Umweltschadstoffen sind verfügbare Daten über Plastik weiter spärlich», sagt Christian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.
Räder mit 1,5 Meter grossen Augen
D.C. Sekhar im indischen Bengaluru hat eine technisch einfache Müllfalle für Flüsse im Land entworfen, nachdem er in seiner früheren Tätigkeit als Öltanker-Kapitän um die Welt gereist war. Dort sah er Gewässer, «die ziemlich sauber waren», während Abfälle jene in Indien verschmutzen. Er wollte etwas, das man zusammensetzen kann, preisgünstig, leicht zu pflegen und widerstandsfähig gegen den Monsun. So entschied er sich für schwimmende Maschenzäune aus rostfreiem Stahl mit jeweils 1,2 Meter langen Segmenten, die miteinander verbunden sind.
Sekhars Firma AlphaMERS hat solche Barrieren auf Flüssen in acht südlichen Städten von Hyderabad bis Tuticorin installiert. Sie alle sind etwas angewinkelt, um den Müll auf ein Flussufer zu leiten, wo er dann auf Lastwagen verladen wird. Acht solcher Zäune auf dem Fluss Cooum in Chennai zum Kostenpunkt von umgerechnet etwa 114'000 Euro haben Sekhar zufolge 2018, dem ersten Jahr ihres Einsatzes, etwa 2200 Tonnen Plastik und 19 800 Tonnen anderen Mülls abgefangen.
Aber das System mit der grössten Anhängerschaft ist wahrscheinlich Trash Wheels (Müll-Räder) an der Mündung von vier Wasserscheiden in Baltimore (US-Staat Maryland). Die Anlagen funktionieren nicht nur, sondern sind auch witzig: Man hat sie bewusst etwas vermenschlicht.
So sind sie mit «Augen» im Durchmesser von 1,5 Metern versehen und tragen die Namen Mr. Trash Wheel, Professor Trash Wheel, Captain Trash Wheel und Gwyneth the Good Wheel of the West. Alle haben ein ein eigenes Persönlichkeitsprofil im Web, und Mr. Wheel verfügt sogar über einen aktiven Twitter-Account.
Hey, hey humans Gwynnda the Good Wheel of the West here! 💜After last night’s storm I’m ready to eat! Breakfast is gourmet plastic bottles topped with…you guessed it…more plastic bottles! 😋 #yumpic.twitter.com/i4K2MrxSMF
Die Müllräder inspirieren Follower zum Müllsammeln
Die Systeme benutzen alte und moderne Technologien, um Harken und jeweils ein Fliessband zu betreiben, die Müll in Abfallcontainer auf Lastkähnen leiten. Die Strömung, die Wasserflaschen oder auch Zigarettenstummel trägt, treibt gewöhnlich auch ein Wasserrad für Strom an. Verlangsamt sie sich, sorgt eine solarbetriebene Wasserpumpe dafür, dass sich das Rad dreht.
Zusammen haben die vier Systeme mehr als 1800 Tonnen Müll eingesammelt, darunter 12,6 Millionen Zigarettenstummel und fast 1,5 Millionen Plastikflaschen. Sie werden nur während und nach heftigeren Regenfällen eingeschaltet, dann, wenn sich grosse Mengen von Abfällen zeigen.
Aber ihr Erfolg reicht weiter. Die Trash-Wheel-Familie hat insgesamt 100'000 Follower auf mehreren grösseren Social-Media-Plattformen. Insbesondere Mr. Trash Wheel soll Fans inspiriert haben, selbst zu recyceln oder sich an Müll-Einsammelaktionen zu beteiligen, wie Adam Lindquist von der Gesellschaft Waterfront Partnership of Baltimore schildert, die drei der Anlagen besitzt.
Das Ausmass der von Mr. Trash Wheel aus dem Wasser beförderten Abfälle habe zudem dazu beigetragen, den Stadtrat von Baltimore zu einem – seit Oktober 2019 geltenden – Verbot von Wegwerf-Essensbehältern aus Schaumstoff zu bewegen.
Drohnen und Bläschen helfen Abfall abzufangen
In Amsterdam pumpt Bubble Barrier Amsterdam Druckluft in eine perforierte Vorrichtung im Wasser, um mit Hilfe der freigesetzten Bläschen Müll aus den Kanälen abzufangen und in eine Sammelanlage zu leiten. Ebenfalls in den Niederlanden wurde auch eine etwa 1,6 Meter lange, wiederaufladbare Wasserdrohne entwickelt, die 160 Liter an Raum für Müll, treibende Pflanzen und Algen bietet, wie der Hersteller RanMarine Technology schildert.
Aber bei all den Bemühungen um eine Verringerung des Plastikmülls in den Meeren wird es letztendlich auf die Bereitschaft zu einem fundamentalen Wandel ankommen, wie MayLee Haughwout sagt, im April geschäftsführende Direktorin des Programms zur Erforschung und Bekämpfung der Meeresmüllbelastung der Behörde NOAA.
Dazu zähle es, weniger Plastik herzustellen und weniger zu benutzen, insbesondere Gegenstände zum Einmalgebrauch wie Strohhalme und Bestecke, zu recyceln und alles wiederzuverwenden, was sich wiederverwenden lasse.
Es gelte auch, das Bewusstsein für das Problem zu schärfen, betont die Expertin. «Ich glaube, dass Leute nicht verstehen, wie sie (dazu) beitragen.»
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