Crew schildert Albtraum auf «Bayesian» «Wir wurden ins Meer katapultiert»

tbz

2.9.2024

Eine der letzten Aufnahmen der «Bayesian» von einer Überwachungskamera während der Sturmnacht in Porticello, Sizilien.
Eine der letzten Aufnahmen der «Bayesian» von einer Überwachungskamera während der Sturmnacht in Porticello, Sizilien.
Bild: IMAGO/Independent Photo Agency Int.

Die Ermittlungsarbeiten der italienischen Staatsanwaltsschaft laufen nach dem Sinken der Luxusjacht Bayesian vor Sizilien seit Wochen auf Hochtouren. Nun melden sich die beschuldigten Crew-Mitglieder zu Wort.

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  • Die Luxusjacht Bayesian sank am 19. August ungewöhnlich schnell in einer Sturmnacht vor Sizilien.
  • Bei dem Unglück kamen 7 der 22 Personen an Bord ums Leben.
  • Neue Aussagen von Crew-Mitgliedern sollen nun Licht ins Dunkel bringen, wie es zu dem Unglück kam.
  • Die italienische Staatsanwaltschaft beschäftigt sich zudem mit weiteren Zeugenaussagen und nimmt Obduktionen der geborgenen Leichen vor.

Seit Wochen rätseln italienische Ermittler, wie die Luxusjacht Bayesian in einer heftigen Sturmnacht vor der sizilianischen Küste ungewöhnlich schnell sinken konnte. Bislang ist klar: Das Schiff muss wohl von einer sogenannten Fallböe getroffen worden sein, einem Wetter-Phänomen, bei dem Winde mit Geschwindigkeiten eines Tornados entstehen können.

Zudem ist eine grosse Menge Wasser in kürzester Zeit in das vom Hersteller als «unsinkbar» bezeichnete Boot eingedrungen. Neue Aussagen der drei beschuldigten Crew-Mitglieder bringen nun Licht ins Dunkel.

Niemand trug eine Schwimmweste

«Matrose Griffiths weckte mich und berichtete von Windgeschwindigkeiten bis 20 Knoten», erinnert sich Unglücks-Kapitän James Cutfield laut dem «Corriere della Sera» an die verheerende Sturmnacht. «Ich überprüfte die Instrumente, und es stimmte. Sofort ging ich hinaus und bat die Crew, alle an Bord zu alarmieren, weil mir die Situation nicht gefiel», erzählt der Neuseeländer.

Trotz des starken Windes sei zu Beginn keine Panik an Bord des Schiffes ausgebrochen. Die Besatzung habe entsprechende Vorkehrungen getroffen, Luken und Fenster geschlossen, Kissen und Pflanzen gesichert. Zu diesem Zeitpunkt habe jedoch niemand an Bord der «Bayesian» eine Schwimmweste getragen.

Dann verschlechtert sich die Situation schlagartig.

Cutfield berichtet, das Schiff habe sich um 45 Grad geneigt und sei dann plötzlich nach rechts gekentert. «Wir wurden ins Meer katapultiert», erinnert sich der Kapitän.

Sie hätten es dann mitten im Sturm irgendwie wieder an Bord geschafft, erzählt Griffiths, und beschreibt den Albtraum, der sich zu diesem Zeitpunkt auf der «Bayesian» abspielte: «Wir kamen irgendwie wieder auf die Brücke und versuchten, eine Menschenkette zu bilden, um diejenigen zu retten, die es vom Unterkunftsdeck aus bis zu dieser Lücke schafften. Sie stapften die Wände hinauf, weil das Boot im Wasser lag», rekonstruiert der Matrose das Geschehen.

«Der erste in der Kette war der Kapitän, der nach unten griff. Er hat allen geholfen, den Frauen, der Mutter mit dem kleinen Mädchen ... aber wir sanken und einige haben es leider nicht geschafft», so Griffith weiter.

«Alles war geschlossen»

Wie in dieser Zeit so viel Wasser ins Schiffsinnere vordringen konnte, kann sich die Crew nicht erklären. Der Technische Offizier Tim Parker Eaton gibt an, alle Generatoren und die Hydraulikpumpen am Ruder aktiviert zu haben. Und es sei auch keine Luke offen gelassen worden, wie italienische Medien und Experten in den vergangenen Wochen immer wieder spekulierten.

Luxusjacht kentert vor Küste Siziliens

Luxusjacht kentert vor Küste Siziliens

Such- und Rettungsmassnahmen dauerten am Montag vor Sizilien an, nachdem laut italienischer Küstenwache ein 56 Meter langes Segelboot, das in Grossbritannien registriert war, mit 22 Personen an Bord kurz vor Sonnenaufgang gesunken war.

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«Alles war geschlossen», so Eaton. Das einzige, das offen blieb, war laut dem Techniker der Zugang zum Maschinenraum. Da sich dieser jedoch auf der gegenüberliegenden Seite des Kenterns befand, konnte das seiner Meinung nach nicht zum Untergang beigetragen haben.

Die Anwälte der drei beschuldigten Crew-Mitglieder erwägen nun, die als «unsinkbar» geltende Jacht auf mögliche technische Mängel untersuchen zu lassen. Zudem könnte ein meteorologisches Gutachten in Auftrag gegeben werden, um die genaue Stärke des Sturms zu ermitteln, der in jener Nacht auf das Schiff niederging, schreibt der «Corriere della Sera».

Segel nicht richtig eingezogen?

Neben den Aussagen der Crew-Mitglieder beschäftigt die italienischen Ermittler aktuell noch eine weitere Zeugenaussage. So soll sich die Besitzerin einer Bootswerft in Porticello, die den Sturm von Land aus miterlebt hatte, sicher sein, die Bayesian hätte ihre Segel während des Sturms nicht richtig eingezogen.

Die «Bayesian» kostete ursprünglich rund 40 Millionen Dollar.
Die «Bayesian» kostete ursprünglich rund 40 Millionen Dollar.
IMAGO/ZUMA Press

«Ich bin mir sicher, dass die Segel flatterten, bevor das Boot unterging», erzählt die Zeugin auch den italienischen Medien. Die Frau, deren Aussagen gemäss «Corriere della Sera» von den Ermittlern als «wichtig» eingestuft wurden, sei von den italienischen Behörden über zwei Stunden lang befragt worden.

Weitere Hinweise erhofft sich die Staatsanwaltschaft durch die Autopsie der aus dem Schiffswrack geborgenen Leichen. Damit soll am Montag begonnen werden.