Das Pannen-Protokoll der «Bayesian» So konnte das «unsinkbare» Boot innert 32 Minuten untergehen

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26.8.2024

Auf einer Überwachungskamera im Hafen von Porticello wurde der Untergang der «Bayesian» festgehalten.
Auf einer Überwachungskamera im Hafen von Porticello wurde der Untergang der «Bayesian» festgehalten.
Bild: IMAGO/Independent Photo Agency Int.

Eine Woche nach dem Untergang der Superyacht «Bayesian» rätselt die italienische Staatsanwaltschaft weiter über die Hintergründe des Unglücks. Wie kann ein «unsinkbares» Schiff innert 32 Minuten verschwinden?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Luxusjacht «Bayesian» sank am 19. August ungewöhnlich schnell in einer Sturmnacht vor Sizilien.
  • Bei dem Unglück kamen 7 der 22 Personen an Bord ums Leben.
  • Tödliche Fallböe: Die italienische Staatsanwaltschaft geht von einem lokalen Wetter-Phänomen als Ursache des Unglücks aus.
  • Unklar ist weiterhin, wie es dazu kommen konnte, dass Wasser in das Schiff eintrat und weshalb die Crew nicht rechtzeitig reagieren konnte.

Porticello, Sizilien, 19. August 2024

Um kurz nach 4 Uhr morgens bemerkt der lokale Fischer Fabio Cefalù bei strömendem Regen und schlechter Sicht eine Windhose über dem Meer vor dem sonst so idyllischen kleinen Küstendorf im Süden Italiens.

Wie alle anderen entscheidet er sich, an diesem Morgen nicht mit seinem Boot hinauszufahren. Er wartet das Vorüberziehen des Unwetters ab. «Der Sturm dauerte etwa 12 Minuten», wird Cefalù später zahlreichen Journalisten erzählen.

«Dann habe ich die Seenotrakete gesehen.»

Sofort wirft Cefalù den Motor an und eilt aufs Meer hinaus. «Das war um 4.30 Uhr, mehr oder weniger» – rund 300 Meter vor der Küste ist die «Bayesian» in Seenot geraten. Doch als der sizilianische Fischer am Unglücksort ankommt, ist die Superyacht spurlos verschwunden. Nur ein paar Sitzkissen, Holzplanken und andere Utensilien schwimmen im Wasser.

«Wir haben es nicht kommen sehen»

Eine «unsinkare» 40-Millionen-Dollar-Yacht wird innert weniger Minuten vom Meer verschluckt. Wie ist das möglich?

Die Ermittlungsarbeiten der italienischen Staatsanwaltschaft in Porticello laufen seit einer Woche auf Hochtouren. Gemeinsam mit den 15 Überlebenden versuchen die Ermittler zu rekonstruieren, was in den 32 Minuten zwischen der ersten Wasseraufnahme und dem Abfeuern der Seenotrakete auf der «Bayesian» passiert ist.

Bis jetzt kristallisieren sich dabei zwei Dinge heraus: Die Yacht wurde wohl von einem ausserordentlichen, lokalen Wetterereignis getroffen. Und: Etwas scheint passiert zu sein, damit grosse Mengen Wasser in das laut Hersteller «unsinkbare» Schiff eindringen konnten.

Bilder einer Überwachungskamera im Hafen von Porticello zeigen den ungewöhnlich schnellen Untergang der Yacht und geben ebenfalls Einblick in die sturmartige Wetterlage, die zu dem Zeitpunkt herrschte.

«Wir haben es nicht kommen sehen», lautet gemäss italienischen Medien der einzige Satz, den James Cutfield, der neuseeländische Kapitän der Yacht bei seiner Einlieferung in die Notaufnahme unmittelbar nach dem Unglück hervorbrachte.

Seither sind keine zitierten Aussagen des Kapitäns, der Crew oder der überlebenden Gäste bekannt. Sie werden seit dem Unglück vollumfänglich von Journalisten abgeschirmt. Die italienischen Ermittler hingegen haben zahlreiche Fragen.

Zivilschutz warnte vor «Gewittern und starken Windböen»

Kurios ist nämlich, dass dem Kapitän nicht entgangen sein konnte, dass sich die Wetterbedingungen an jenem Sonntagabend rapide verschlechterten: Neben der Warnung des italienischen Zivilschutzes, der «Regenfälle in Form von Schauern oder Gewittern» ankündigte, begleitet von «starkem Regen, häufiger elektrischer Aktivität, lokalem Hagel und starken Windböen», gab es mehrere Meldungen, die das Herannahen einer Wetter-Störung in der Gegend von Porticello bestätigten.

Cutfield, der bisher zweimal vernommen wurde, soll aber darauf bestanden haben, dass die Crew durch den plötzlichen Sturm überrascht wurde. Der Kapitän habe sich trotz des sich abzeichnenden schlechten Wetters «keine Sorgen gemacht», weil es für Porticello keine Sturmwarnung gab.

Laut Ermittlern war im Falle der «Bayesian» ein sogenannter «Downburst», eine Fallböe, für das Unglück verantwortlich. Dieses Phänomen tritt meist bei Gewittern auf und stellt aufgrund stark beschleunigter Abwinde eine Gefahr für Schiffe dar. Die Winde können dabei die Geschwindigkeiten eines Tornados erreichen.

Wurde eine Seitenluke offen gelassen?

Weitere Fragen stellen sich aufgrund der kurzen Zeitspanne, in der das Schiff sank. «Zuerst kippte das Boot auf die Seite und innerhalb weniger Minuten war es gesunken. Es ging alles sehr schnell», schildert Karsten Borner, der deutsche Kapitän eines Schiffs, das sich in der Nähe befand, und das den Überlebenden zu Hilfe kam.

Borner war mit seinem Schiff ebenfalls dem Sturm ausgesetzt, konnte allerdings rechtzeitig reagieren. «Es kamen sehr starke, orkanartige Windböen. Wir versuchten, unser Boot zu stabilisieren, indem wir den Motor starteten und versuchten, nicht gegen die Bucht zu schlagen», erzählt Borner der «Repubblica». «Als sich der Sturm legte, stellten wir fest, dass das Boot hinter uns verschwunden war.»

Luxusjacht kentert vor Küste Siziliens

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Sinken konnte die «Bayesian» wohl nur so schnell, weil sie in kürzester Zeit viel Wasser aufnahm. Denn laut Hersteller ist die Superyacht eigentlich «eines der sichersten Schiffe der Welt».

«Unter extremen Bedingungen kann das Boot so viel rollen, wie es will, aber es geht nicht unter», erklärt Franco Romani, ein Ingenieur, der am Bau der «Bayesian» beteiligt war, dem «Corriere della Sera».

Seine Vermutung: Die Crew hat die Seitenluke offen gelassen, die man benutzt, um mit dem Beiboot hinauszufahren und zu tauchen. «Wenn man alles schliesst, kann das Wasser nicht eindringen. Aber bei der Seitenluke gibt es einen Spielraum von 60 Zentimetern.»

Andere Experten spekulieren, dass möglicherweise ein Schwert am Rumpf, mit dem der Tiefgang des Schiffes reguliert werden kann, falsch eingestellt war. Auch, dass die Yacht durch den Sturm angehoben wurde und sich dadurch Risse in der Hülle bildeten, ist eine Möglichkeit.

Die «Bayesian» kostete ursprünglich rund 40 Millionen Dollar.
Die «Bayesian» kostete ursprünglich rund 40 Millionen Dollar.
IMAGO/ZUMA Press

«Die Opfer waren vermutlich am Schlafen»

Eine weitere Frage, die sich die italienische Staatsanwaltschaft stellen dürfte, ist die Zusammenstellung der Überlebenden. Wie kommt es, dass von den zehn Besatzungsmitgliedern nur eines starb, während von den zwölf Passagieren deren sechs ihr Leben verloren? War die Besatzung bereits an Deck, als der Sturm aufzog, und hat sie jene nicht alarmiert, die noch in ihren Kabinen schliefen?

Laut Raffaele Cammarano, dem Staatsanwalt im Fall der «Bayesian», ein mögliches Szenario. «Die Opfer waren vermutlich am Schlafen, als es passierte», so Cammarano. Weshalb sie nicht geweckt und alarmiert wurden, sei «genau das, was wir versuchen während der Verhöre der Überlebenden, herauszufinden».

Auch dass keine weiteren Schiffe in der Nähe in erhebliche Seenot gerieten, lässt eine Verkettung von Fehlern erahnen, die vor und während der verhängnisvollen 32 Minuten an Bord der «Bayesian» stattfanden.

Gegen Kapitän Cutfield hat die Staatsanwaltschaft mittlerweile ein Verfahren wegen Schiffbruchs und mehrfacher fahrlässiger Tötung eröffnet. Für den Montag und die kommende Woche sind weitere Befragungen vorgesehen. Die Ermittler erhoffen sich zudem neue Erkenntnisse durch Tauchroboter, die das Wrack der «Bayesian» untersuchen.