Türkische Provokation Zyprische Geisterstadt öffnet nach 46 Jahren wieder den Strand

Menelaos Hadjicostis und Nedim Enginsoy, AP/tafi

13.10.2020

Der Ort Varosha ist ein Symbol der Teilung Zyperns. Die Griechen fordern eine Rückgabe an die früheren Bewohner, die Türken haben andere Pläne und geben den Strand der ehemaligen Touristenhochburg teilweise frei.

Der Kontrast ist frappierend. Der weisse Sand und das azurblaue Wasser erinnern bis heute an das Urlauberparadies, das Varosha einmal war. Die Gebäude unmittelbar landeinwärts sind jedoch verfallen. Seit Jahrzehnten ist der Vorort der Stadt Famagusta verlassen. Vor wenigen Tagen kehrte überraschend etwas Leben zurück: Die nordzyprische Regierung, die allein von der Türkei anerkannt wird, erlaubte der Öffentlichkeit wieder den Zutritt.

Hunderte Menschen strömten durch einen von der türkisch-zyprischen Polizei kontrollierten Zugang. Auf einem frisch asphaltierten Weg gingen sie zu dem Strand, der einst das wichtigste Touristenziel der Insel war.

Auf beiden Seiten des Weges flatterte Absperrband. Mit diesem sollte verhindert werden, dass die Besucher die fensterlosen, zum Teil zugewucherten Gebäude betreten würden.

«Varosha ist verloren»

Für manche, etwa für eine Frau, die sich während des Spaziergangs in türkische und türkisch-zyprische Fahnen gehüllt hatte, war es eine grosse Freude, Teil dieses «historischen» Moments zu sein.

Für andere, wie den aus Varosha stammenden Kyriakos Charalambides, war es schmerzlich, die Szenen im Fernsehen zu verfolgen. «Obwohl ich es erwartet hatte, schauderte es mich, als ich diese vertrauten Orte sah», sagt der griechisch-zyprische Autor der Nachrichtenagentur AP. Es sei ein Schmerz, für den es keinen Trost gebe. «Varosha ist verloren.»

Die Entscheidung von Ankara und dem abtrünnigen Nordteil der Insel, den umstrittenen Strand wieder zugänglich zu machen, wurde heftig kritisiert – nicht nur von der international anerkannten Regierung Zyperns. Im Jahr 1974 waren die griechisch-zyprischen Bewohner von Varosha vor türkischen Truppen geflohen; nach einem Putsch von Unterstützern eines Anschlusses der Insel an Griechenland hatte Ankara Truppen geschickt und den Norden besetzt. Seitdem war das Gelände unter Kontrolle der türkischen Streitkräfte, abgeriegelt und weitgehend dem Verfall überlassen.

Protest gegen «unzulässige» Aktion

Nun aber fürchten viele griechische Zyprer, dass die Freigabe des Strandes ein erster Schritt hin zu einer vollständigen Übernahme Varoshas durch die Türkei und die von ihr unterstützte Republik im Norden sein könnte.

Zyperns Präsident Nikos Anastasiades verurteilte die Öffnung als einen «eklatanten Verstoss gegen internationales Recht» sowie gegen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, in denen jeder Versuch, Teile von Varosha durch andere Menschen als die ehemaligen Bewohner zu besiedeln, als «unzulässig» bezeichnet werde. In den Resolutionen wird auch dazu aufgerufen, das Gebiet, das von den Türken Maras genannt wird, unter UN-Verwaltung zu stellen.



Anastasiades erklärte in einer Stellungnahme, seine Regierung habe bei den Vereinten Nationen, bei der EU und bei anderen internationalen Organisationen bereits Protest eingereicht. Er betonte, dass die «einseitige» Aktion Versuche zur Wiederaufnahme der ins Stocken geratenen Gespräche über eine Wiedervereinigung der Insel behindern könne.

Der UN-Sicherheitsrat äusserte am Samstag denn auch «tiefe Besorgnis» über die Öffnung des Strandes und warnte vor «einseitigen Aktionen, die die Spannungen auf der Insel erhöhen könnten».

Neue Verhandlungen erschwert

Sowohl UN-Generalsekretär António Guterres als auch der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell zeigten sich besorgt, dass das Vorgehen der türkischen Seite womöglich neue Versuche zur Wiederaufnahme der Verhandlungen erschwere. An einem der Grenzübergänge an der von UN-Friedenstruppen überwachten Pufferzone auf der Insel kamen ehemalige Bewohner von Varosha am Donnerstagabend zu einer Demonstration zusammen.

«Wie könnte jemand nicht aufgebracht sein von dem, was heute zu sehen war», sagte Simos Ioannou, der griechisch-zyprische Bürgermeister von Famagusta, der AP. «Varosha hätte an die rechtmässigen Besitzer übergeben werden sollen.» Vertreter der türkischen und der zyprisch-türkischen Behörden erklärten dagegen, der Schritt sei zum Vorteil aller und Besitzrechte von griechischen Zyprern seien nicht beeinträchtigt, da bisher nur der Strand geöffnet worden sei.

Politische Interessen

Nach Angaben des türkischen Aussenministers Mevlüt Cavusoglu ist eine Bestandsaufnahme bezüglich aller Liegenschaften in Varosha im Gange, um über das weitere Vorgehen entscheiden zu können. Zumindest fürs Erste aber sei es wichtig, dass der Strand und einige von Besitzrechten unberührte Zugänge wieder geöffnet seien, sagte er nach einem Treffen mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Dendias.

Viele Beobachter sehen die Öffnung des Strandes derweil auch in Zusammenhang mit aktuellen politischen Interessen Ankaras. Denn der Schritt erfolgte wenige Tage vor der Wahl eines neuen Präsidenten im nördlichen Teil von Zypern. Nach dem ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag müssen der gemässigte Amtsinhaber Mustafa Akinci und der stramm rechts an der Seite der Schutzmacht Türkei stehende Ersin Tatar in eine Stichwahl gehen. Nach Auszählung aller Stimmen führte Tatar am Sonntag mit 32,35 Prozent und Akinci kam auf 29,84 Prozent.

Wer auch immer gewinnt: Der nächste Präsident wird mit den sogenannten Garantiemächten Griechenland, Türkei und Grossbritannien nach Wegen suchen müssen, die blockierten Friedensgespräche wieder in Gang zu bringen. Leichter geworden ist diese Aufgabe nicht.

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