Messerattacke in Nizza Macron spricht von «islamistischem Terroranschlag» — Tunesien nimmt Ermittlungen auf

dpa/tsha/toko

29.10.2020

Frankreich hat sich noch nicht von dem Schock über den Mord am Lehrer Samuel Paty erholt – da schlägt schon wieder ein Angreifer auf brutale Weise zu. Bei dem Täter soll es sich um einen 21-Jährigen Tunesier handeln — auch die dortige Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.

Schon wieder Grauen und Entsetzen in Frankreich: Bei einer brutalen Messerattacke in einer Kirche in der südfranzösischen Metropole Nizza sind mindestens drei Menschen getötet worden. Mehrere weitere wurden bei dem Angriff am Donnerstag verletzt, der mutmassliche Täter wurde festgenommen. Frankreich rief die höchste Terrorwarnstufe aus, Präsident Emmanuel Macron sprach von einem «islamistischen Terroranschlag». Frankreich sei angegriffen worden, sagte der Staatschef in Nizza. Es ist die dritte Attacke in Frankreich innerhalb weniger Wochen.

Am Abend meldete die Nachrichtenagentur AFP, dass die Identität des Täters feststehe. Demnach handelt es sich nach Angaben der Ermittler um einen 21-jährigen Tunesier. Der Mann sei Ende September über die italienische Insel Lampedusa in die EU gelangt und anschliessend nach Frankreich gekommen, hiess es am Donnerstag. Der Festgenommene soll Brahim Aoussaoui heissen und kein Asyl in Frankreich beantragt haben. Nach seiner Ankunft auf Lampedusa hatten ihn die italienischen Behörden demnach zunächst in Corona-Quarantäne genommen und ihn dann aufgefordert, das italienische Staatsgebiet zu verlassen.

Tunesien nimmt Ermittlungen auf

Nach ersten Informationen über die Identität des mutmasslichen Angreifers hat die tunesische Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen begonnen, sagte der stellvertretende Staatsanwalt und Gerichtssprecher in Tunis, Mohsen Dali, der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstagabend. Für den Fall, dass die Justizbehörden um Zusammenarbeit bitten, stehe man zur Verfügung.

Das tunesische Antiterrorgesetz schreibe die Strafverfolgung jedes Tunesiers vor, der an einer terroristischen Handlung innerhalb oder ausserhalb des Landes beteiligt war, sagte Dali. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Tap bestätigte er zudem, dass der mutmassliche Angreifer nach ersten Ermittlungskenntnissen ein Tunesier war.

Tunesien verurteile «den terroristischen Vorfall in Nizza» aufs Schärfste, hiess es nach Angaben der Nachrichtenagentur Tap aus dem Aussenministerium. In einer Erklärung bekräftigte das nordafrikanische Land demnach auch seine «völlige Ablehnung aller Formen von Terrorismus, Extremismus und Gewalt» und sprach den Familien der Opfer sein Beileid aus.

Der Angriff ereignete sich laut Medien gegen 9:00 Uhr morgens in der Kirche Notre-Dame mitten in der Einkaufsstrasse von Nizza. Zwei Menschen seien innerhalb der Kirche «auf schreckliche Weise» getötet worden, sagte Nizzas Bürgermeister Christian Estrosi. Die Art und Weise erinnere an den Tod des vor zwei Wochen ermordeten Lehrers Samuel Paty, erklärte Estrosi weiter, ohne Details zu nennen.

Paty war in der Nähe seiner Schule in einem Pariser Vorort enthauptet worden. Ein dritter Mensch habe sich in Nizza noch in eine nahe gelegene Bar flüchten können und sei dort schliesslich gestorben. Medien zufolge soll es sich bei den Opfern um zwei Frauen und einen Mann handeln. Premierminister Jean Castex bestätigte, dass drei Menschen bei der Tat getötet wurden.

«Niederträchtige» und «barbarische» Attacke

Estrosi zufolge rief der Attentäter «Allahu akbar» («Gott ist gross»). Castex sprach von einer «niederträchtigen» und «barbarischen» Attacke und kündigte eine entschlossene Antwort der Regierung an. Es sei die Stufe «Urgence Attentat» des Antiterror-Alarmplans «Vigipirate» ausgerufen worden, sagte er in der Pariser Nationalversammlung. Diese Warnstufe ermöglicht die aussergewöhnliche Mobilisierung von Ressourcen im Kampf gegen den Terror.

Macron kündigte einen verstärkten Schutz von Kirchen und Schulen an. Der schon länger laufende inländische Antiterroreinsatz «Sentinelle» des Militärs solle von bisher 3'000 auf nun 7'000 Soldaten aufgestockt werden. «Heute steht die ganze Nation hinter unseren katholischen Mitbürgern», sagte Macron in der Nähe des Tatorts. Man dürfe nicht dem Geist der Spaltung nachgeben. Der 42-Jährige war am Nachmittag in die südfranzösische Metropole gereist und tauschte sich dort unter anderem mit Sicherkräften aus. In zahlreichen Kirchen im Land läuteten nach der brutalen Attacke am Nachmittag um Punkt 15:00 Uhr die Glocken.

Die Antiterror-Staatsanwaltschaft übernahm in dem Fall die Ermittlungen. Sie ermittelt unter anderem wegen Mords in Verbindung mit einem terroristischen Vorhaben. Es wurde erwartet, dass sich Staatsanwalt Jean-François Ricard später zu den Details der mörderischen Attacke äussern werde.

Erst vor zwei Wochen hatte die brutale Ermordung des Lehrers Paty im ganzen Land riesiges Entsetzen ausgelöst. Das Motiv des 18-jährigen Angreifers war den Ermittlern zufolge, dass Paty in einer Unterrichtsstunde zum Thema Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte.

Zusammenhang mit Mohammed-Karikaturen?

Ende September hatte ein junger Mann vor den ehemaligen Redaktionsräumen des Satireblatts «Charlie Hebdo» zwei Menschen mit einem Messer verletzt. Das Magazin hatte zu Beginn des Prozesses rund um die brutale Terrorserie 2015, bei der auch zahlreiche Zeichner des Blattes ermordet wurden, erneut Mohammed-Karikaturen veröffentlicht. Auch hier gab der Angreifer die Karikaturen als Motiv an.

Macron hatte nach der Attacke gegen Paty die Meinungsfreiheit und die Veröffentlichung auch religionskritischer Karikaturen verteidigt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach daraufhin von einer «Lynchkampagne» gegen Muslime in Europa und rief zum Boykott französischer Waren auf.

In Frankreich kam es noch zu weiteren Vorfällen, ein Zusammenhang zur Attacke in Nizza konnte aber zunächst nicht bestätigt werden. Die Polizei tötete im südfranzösischen Avignon einen mutmasslichen Angreifer, der Passanten mit einer Waffe bedroht haben soll. Es gab Polizeikreisen zufolge vorerst keine Hinweise auf einen Terrorhintergrund. In Lyon wurde ein mit einem Messer bewaffneter Mann festgenommen. Niemand wurde verletzt, der Mann sei Sicherheitskreisen bekannt gewesen.

Die mutmassliche Terrorattacke ereignete sich im Umfeld der Basilika Notre-Dame von Nizza.
Die mutmassliche Terrorattacke ereignete sich im Umfeld der Basilika Notre-Dame von Nizza.
Bild: Keystone

Am französischen Konsulat in Dschidda in Saudi-Arabien wurde ausserdem ein Sicherheitsbeamter angegriffen und leicht verletzt. Der Täter wurde festgenommen. Die genauen Hintergründe der Tat blieben zunächst unklar. Die französische Botschaft in Riad sprach in einer Mitteilung von einer «Messerattacke». Franzosen in Saudi-Arabien wurden zugleich zu «höchster Wachsamkeit» aufgerufen.

Trump: USA stehen Frankreich zur Seite

US-Präsident Donald Trump hat Frankreich nach einer tödlichen Messerattacke in einer Kirche in Nizza die Unterstützung der Vereinigten Staaten zugesagt. Mit Blick auf den mutmasslichen Terrorakt schrieb Trump am Donnerstag auf Twitter: «Diese radikalislamistischen Terrorangriffe müssen sofort aufhören». Die USA stünden Frankreich «in diesem Kampf» zur Seite, schrieb Trump weiter. «Unsere Herzen sind bei den Menschen in Frankreich.»

Weltweite Anteilnahme

Weltweit war die Anteilnahme nach der mörderischen Attacke gross. Saudi-Arabien verurteilte den Angriff der staatlichen Nachrichtenagentur SPA zufolge mit klaren Worten. «Solche extremistischen Taten stehen im Widerspruch zu allen Religionen und allem menschlichen Glauben», teilte das Aussenministerium demnach mit. Zugleich sei wichtig, solche «Verhaltensweisen» abzulehnen, die zu Hass, Gewalt und Extremismus führen, teilte das Ministerium mit, ohne konkreter zu werden.

UN-Generalsekretär António Guterres hat die tödliche Messerattacke in der südfranzösischen Stadt Nizza scharf verurteilt. Der Angriff sei «abscheulich», sagte Guterres laut Mitteilung in New York. Er sprach den Familien der Opfer sein Beileid aus und betonte die Solidarität der Vereinten Nationen mit dem französischen Volk und seiner Regierung.

Die Spitzen der EU-Institutionen sicherten Frankreich ihre Solidarität zu. Ganz Europa sei solidarisch mit dem Land, schrieb EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Twitter. «Ganz Europa ist bei euch», schrieb EU-Ratschef Charles Michel. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin brachte sein «tiefes Mitgefühl» zum Ausdruck. Italiens Regierung drückte Frankreich sein Beileid aus. «Wir sind vereint im Kampf gegen Terror und Hass», erklärte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez. Auch Papst Franziskus bekundete seine Nähe und sein Mitgefühl mit den Trauernden.

Nizza wurde bereits 2016 von einem Terroranschlag erschüttert, dabei starben 86 Menschen. Frankreich wird seit Jahren von einer islamistischen Terrorwelle heimgesucht.

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