USA-Experte über Midterms«Wir sind Zeitzeugen einer Erosion»
Von Gil Bieler
9.11.2022
Zwischenwahlen in den USA: Trump-Rivale DeSantis gewinnt in Florida
Der Republikaner Ron DeSantis konnte im US-Bundesstaat Florida einen grossen Erfolg einfahren: Der 44-jährige gewann in dem bevölkerungsreichen Bundesstaat im Südosten des Landes deutlich die Gouverneurswahl – er gilt innerparteilich als grösster Rivale von Ex-Präsident Donald Trump.
09.11.2022
Die Demokraten müssen in den Zwischenwahlen um ihre Mehrheiten im Parlament zittern – doch auch Donald Trump kann nicht zufrieden sein. Welche Folgen diese Ausgangslage haben könnte, erklärt ein USA-Experte.
Von Gil Bieler
09.11.2022, 14:09
09.11.2022, 16:48
Gil Bieler
Herr Braml, die Demokraten haben sich in den Zwischenwahlen besser geschlagen als erwartet. Woran liegt's?
Es liegt an den Erwartungen. Nach einer desaströsen Kriegsniederlage sagte Boris Grushenko, die Hauptfigur in Woody Allens Film «Die letzte Nacht des Boris Gruschenko»: «Zum Glück war Gott auf unserer Seite. Es hätte viel schlimmer laufen können, wenn er es nicht gewesen wäre. Es könnte geregnet haben.» In diesem zynischen Sinne hätte die Wahlniederlage der Demokraten noch schlimmer ausfallen können.
Die Auszählung dauert noch an. Den Demokraten droht, dass sie die Mehrheit in mindestens einer Kammer des Parlaments verlieren. Was würde das für die weitere Amtszeit von Joe Biden bedeuten?
In einer sogenannten «geteilten Regierung» kann die legislative Agenda des demokratischen Präsidenten Biden von einer der beiden Kongresskammern blockiert werden. Die Blockade seiner Gesetzgebungsagenda wird Biden zwingen, mittels exekutiver Anordnungen in Form von Dekreten – also ohne die längerfristige Verbindlichkeit der Gesetzgebung – zu regieren. Solche Massnahmen könnten schliesslich auch vor Bundesgerichten angefochten werden.
Wie würde die Öffentlichkeit reagieren, wenn die Republikaner – wie angedroht – ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden anstrengen?
Zur Person
Bild: zVg
Der Politikwissenschaftler Dr. Josef Braml ist USA-Experte, Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik Trilaterale Kommission und Autor. Sein neuestes Buch trägt den Titel: «Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können».
Zum Zwecke von Trumps Wiederwahl ist ihm und den Seinen wohl weiterhin jedes Mittel recht, auch um den Preis der weiteren Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft, die dann auch die US-Aussenpolitik in Mitleidenschaft ziehen könnte. Schon im vorherigen US-Wahlkampf hatte Trump vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dessen Kooperation gegen seinen Herausforderer Joe Biden und dessen Sohn Hunter Biden gefordert. Ohne belastendes Material, so Trumps unverhohlene Drohung, würden die USA unter seiner Führung die militärische Hilfe an die Ukraine zurückfahren.
Trump wittert nach wie vor eine politische Angriffsfläche: Hunter Biden stand mit 50'000 Dollar pro Monat auf der Gehaltsliste der ukrainischen Gas-Holding Burisma, obwohl sein Vater als Vizepräsident in der Amtszeit von Barack Obama für das Ukraine-Dossier verantwortlich war. Sollten nach den Zwischenwahlen erneut mögliche Ermittlungen auch den Präsidenten persönlich belasten, könnte eine neue republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus zwar ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden einläuten, aber mangels Zwei-Drittel-Mehrheit in der dafür entscheidenden Senatskammer würde das Impeachment-Verfahren, wie seinerzeit schon zwei Mal gegen Trump, abgewendet werden können.
Dutzende der gewählten republikanischen Kandidat*innen verbreiten Trumps Lüge vom Wahlbetrug und erkennen Bidens Wahlsieg nicht an. Wird das zum Problem bei den nächsten Wahlen?
Nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf der Ebene der für die Organisation der nächsten Präsidentschaftswahlen verantwortlichen Einzelstaaten haben sich viele durchgesetzt, die Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl propagieren und beim nächsten Mal fest an seiner Seite stehen dürften.
Beobachter – darunter der politische Comedian Bill Maher – befürchten, dass ein Kipppunkt erreicht wurde, an dem die Institutionen ausgehöhlt werden und sogar die friedliche Machtübergabe gefährdet ist. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Ja, diese Befürchtungen habe ich schon seit Längerem. Amerika ist nicht mehr in einer Krise, denn dafür dauert der demokratische Verfallsprozess schon zu lange. Wir sind Zeitzeugen einer Erosion, die durch eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps noch beschleunigt werden könnte.
Was steht bei diesen Zwischenwahlen für Donald Trump auf dem Spiel?
Donald Trumps Zwischenwahl-Bilanz ist gemischt ausgefallen. Dank seiner Unterstützung konnten viele ihm hörige Kandidatinnen und Kandidaten für das Repräsentantenhaus die Vor- und Hauptwahlen gewinnen. Auch bei den Senatswahlen konnten sich einige der von Trump geförderten politischen Novizen, etwa J. D. Vance in Ohio, durchsetzen – andere hingegen, wie Mehmet Oz in Pennsylvania, scheiterten. Trumps Interventionen könnten die Republikaner letztendlich einmal mehr die Senatsmehrheit gekostet haben.
Doch das für Trumps Ambitionen wichtigste Wahlergebnis ist der grandiose Wahlsieg seines möglichen parteiinternen Konkurrenten Ron DeSantis bei den Gouverneurswahlen in Florida. Bezeichnenderweise hat Trump ihm bereits damit gedroht, dass er als ehemaliger Präsident und damit Eingeweihter in Geheimdienstinformationen sehr viel mehr als andere und vielleicht sogar mehr als dessen Frau über DeSantis wisse und bei Bedarf bekannt geben könne.
DeSantis siegt in Florida – und lässt Trump bangen
Der als künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelte Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, ist wiedergewählt worden. Der rechte Hardliner gilt als aufstrebender Star der Republikaner – und als Konkurrent von Ex-Präsident Donald Trump.
09.11.2022
Wenn Trump – wie erwartet – ins Präsidentschaftsrennen 2024 steigt, ist ihm die Nomination dann sicher?
An ihm kommt keiner vorbei. Selbst wenn DeSantis die besagte Drohung Trumps nicht ernst nähme, dürfte er klug genug sein, auf seine Zeit nach Trump zu warten. Denn Trumps möglicher Bannfluch würde seine aussichtsreiche Karriere jäh beenden. Trump hat weiterhin die Kernwählerschaft der Republikaner fest im Griff, komme was wolle.
Wäre ein Kandidat Trump auch im Sinne des mächtigen Parteistrategen der Republikaner, Mitch McConnell? Könnte McConnell denn Trump überhaupt noch verhindern?
Wir sollten uns klarmachen, dass es in den USA keine Parteien nach unserem Verständnis gibt. Anders als die in parlamentarischen Regierungssystemen allmächtigen Parteiapparate haben Parteien im US-System nur eine untergeordnete Wahlfunktion. Selbst diese Minimalfunktion haben sie dank Urteilssprüchen des Obersten Gerichts zur Wahlkampffinanzierung an vermögende Einzelpersonen wie Trump und seine finanziellen Unterstützer verloren.
Biden ist angetreten, um das Land zu einen. Ist er damit grandios gescheitert?
Selbst der in vielen Belangen dynamischere Barack Obama vermochte es nicht, die schon seit Längerem nicht mehr so Vereinigten Staaten von Amerika zu einen. Um die seit Jahrzehnten angehäuften sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme zu überwinden, braucht es wohl ebenso lange, also mehr als eine Amtszeit. Vielleicht könnte eine weitere Zuspitzung der Probleme durch eine zweite Amtszeit Trumps eine dialektische Gegenbewegung auslösen. Mit oder ohne Trump wäre dies also eine Rückkehr zu einer zivilisierteren demokratischen Kultur, diesem grossartigen Land auch in unserem eigenen Sicherheitsinteresse zu wünschen.
Hinweis zur Transparenz: Josef Braml hat die Fragen aus terminlichen Gründen schriftlich beantwortet.