Wieder keine Präsidentin? Italien und die Frauen in der Politik

dpa/toko

26.1.2022 - 21:08

Maria Elisabetta Casellati, italiensche Politikerin der Forza Italia, bei Beratungen im Quirinalspalast.
Maria Elisabetta Casellati, italiensche Politikerin der Forza Italia, bei Beratungen im Quirinalspalast.
Vincenzo Livieri/LaPresse via ZUMA Press/dpa

In Rom wird um das Amt des Staatspräsidenten gefeilscht. Auch Frauen gehören zu den Kandidatinnen - aber große Chancen werden ihnen mal wieder nicht eingeräumt. Was ist los in dem Land, das noch nie eine weibliche Staats- oder Regierungschefin hatte?

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Maria Elisabetta Casellati sitzt bei der Präsidentenwahl in Italien ganz vorn. Als Vorsitzende des Senats ist sie bei den Abstimmungen dieser Tage so etwas wie die Co-Gastgeberin. Auch sie selbst ist Anwärterin auf das höchste Amt im Staat und könnte die erste Staats- oder Regierungschefin in Italien werden.

Viele Experten aber halten das für unwahrscheinlich. In dem Mittelmeerland ist Macht immer noch vorwiegend männlich. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs waren alle zwölf Staats- und alle 30 Ministerpräsidenten Männer. Sollte es diesmal eine Frau schaffen, wäre es eine Sensation.

Künstlerinnen und Intellektuelle hatte jüngst einen Appell lanciert für eine Frau im Palazzo Quirinale, dem Amtssitz der Präsidenten. Musikerin Gianna Nannini wollte sich selbst bewerben, um ein Zeichen zu setzen für mehr Weiblichkeit in der italienischen Politik.



«Das politische System ist komplett auf Männer ausgerichtet»

Julia Unterberger aber hat wenig Hoffnung auf eine historische Wahl. Sie weiss, dass Italien bei der Geschlechter-Ausgewogenheit in der Politik anderen Ländern – vor allem im nördlicheren Europa – weit hinterher hinkt. Als Rechtsanwältin kämpft die Südtirolerin schon lange für Chancengleichheit, seit 2018 ist sie Senatorin in Rom. «Das politische System ist komplett auf Männer ausgerichtet», sagt sie.

Wie tief verwurzelt patriarchalisch die Politik in der drittgrössten EU-Volkswirtschaft immer noch ist, zeigt ausgerechnet Casellati. Diese hat es zwar als erste Frau bis an die Spitze der Senatskammer geschafft, rein formal das zweithöchste Amt in der Republik. Sie lässt sich aber offiziell als «Signor Presidente», Herr Präsident, anreden. «Das macht mich wütend», sagt Unterberger. Oft habe sie Casellati schon darauf angesprochen, aber nein: Wie die meisten Mitte-Rechts-Politikerinnen beharrt die 75-Jährige aus Silvio Berlusconis Forza Italia auf die männliche Formulierung.

Julia Unterberger, italienische Politikerin der Südtrioler Volkspartei.
Julia Unterberger, italienische Politikerin der Südtrioler Volkspartei.
Andrea Panegrossi/LaPresse via ZUMA Press/dpa

Justizministerin Marta Cartabia – auch eine mögliche Anwärterin auf das Präsidentenamt – werde von vielen Frauen der rechten Parteien mit «Signor Ministro» angesprochen. «Das ist absurd», sagt Unterberger fassungslos. «Im Deutschen streitet man um den gendergerechten Plural – in Italien sind sehr viele noch beim männlichen Singular.»

Diesem Sprach-Kuriosum liege eine grundsätzliche Unterwürfigkeit zugrunde. «Viele Frauen haben verinnerlicht, dass Männer etwas Besseres sind. Sie meinen, sie werten sich auf, wenn sie sich männlich bezeichnen», sagt Unterberger der Deutschen Presse-Agentur.

Problem Sexismus

Politikerinnen lassen sich als Mann ansprechen und sind dennoch nicht gefeit vor Sexismus, der in Italien immer noch ein Problem ist. Die frühere Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini, wurde von Lega-Chef Matteo Salvini vor Jahren öffentlich mit einer Erotik-Gummipuppe verhöhnt. «Wirklich schockiert war bei uns niemand», sagte Boldrini jüngst der «Süddeutschen Zeitung» im Rückblick. «Frauenhass und Sexismus werden bei uns still toleriert, sie laufen noch immer unter der Kategorie Studentenhumor.»

Demgegenüber steht ein anderes Frauenbild, das von Berlusconi «nachhaltig ruiniert» wurde, wie Unterberger sagt. Während der Hochzeiten des Mailänder Populisten in den 90er Jahren waren Frauen hübsches Beiwerk, durften Berlusconi gerade mal das Wasserglas reichen. Politikerinnen, die sich noch heute als Sexualobjekt statt als Abgeordnete inszenieren, sorgten dafür, dass Frauen weder von Männern noch von Wählerinnen ernst genommen werden, analysiert die Anwältin.

Dabei gab es in Italien auch genug sozialdemokratische Politikerinnen mit Eignung für das Präsidentenamt. Die frühere Ministerin, EU-Kommissarin und Senatorin Emma Bonino etwa, die in einem Interview sagte, eine Präsidentin «würde ein wichtiges Signal des Vertrauens an die Welt der Frauen schicken, die mehr als andere unter Covid gelitten haben. Es wäre eine Botschaft, dass dieses Land auch den Frauen gehört». Mit 73 Jahren will sie aber selbst nicht mehr antreten.

Staatspräsidenten waren in Rom immer der verlässliche Gegenpart zu den oft wankelmütigen Regierungen. «In der italienischen Politik ist es wie in einer italienischen Familie: Man streitet sich gerne und oft – und wird dabei auch mal laut. Aber wenn der Grossvater die Stimme erhebt, sind alle ruhig und hören zu», sagt Nino Galetti, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom. Eine Präsidentin im Amtssitz des Quirinalspalastes «würde der italienischen Politik, die viel zu häufig vom Typus des Macho geprägt ist, sicherlich guttun. Und Italien würde fortan auf die Stimme der Grossmutter hören.»