Mit der Berufung von Amy Coney Barret hätten die Konservativen eine zwei Drittel Mehrheit am Obersten US-Gericht. Ausgerechnet eine junge Religiöse soll die verstorbene Richterin Ruth Bader Ginsburg ersetzen.
«Es wird eine lange, strittige Woche», sagt Lindsey Graham zum Auftakt der Anhörungen. Der Vorsitzende des Justizausschusses des republikanisch dominierten Senats weiss, dass ein Sitzungsmarathon ansteht – um die Lücke am Obersten Gericht zu füllen, die der Tod von Ruth Bader-Ginsburg hinterlassen hat.
Neben der von Joe Biden designierten Vizepräsidentin Kamala Harris sitzen auch die früheren demokratischen Präsidentschaftskandidaten Amy Klobuchar und Cory Booker im Justizausschuss. Die Mehrheit der Mitglieder aber sind Republikanerinnen und Republikaner.
Wer ist jene Amy Coney Barret, die Donald Trump kurz vor der Wahl für das Richteramt – und aller Kritik am Zeitpunkt zum Trotz – nominiert hat?
Eins steht fest: Ihre Ernennung, die angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Senat nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, würde wohl langfristige Auswirkungen haben: Weil die Richterinnen und Richter am Obersten Gericht auf Lebenszeit ernannt werden könnte die 48-Jährige dort potenziell lange wirken.
Religion in die Wiege gelegt
Die Juristin hat eine christlich-konservative Bilderbuch-Karriere hingelegt. Geboren wird sie als Amy Vivian Coney am 28. Januar 1972 in New Orleans im US-Bundesstaat Louisiana. Mutter Linda ist Französischlehrerin an einer Highschool, Papa Michael Anwalt beim Öl-Giganten Shell, der in der Stadt am Golf von Mexiko schwer aktiv ist. Amy bekommt im Laufe der Jahre sechs Geschwister: fünf Schwestern und einen Bruder.
Die Kirche spielt von Beginn an eines grosses Rolle im Leben des Mädchens. Als Amy zehn Jahre alt ist, wird ihr Vater Diakon. Sie besucht dann auch eine katholische Highschool und das kirchlich geprägte Rhodes College in Memphis, Tennessee, und schliesst 1994 ihren Bachelor in Englischer Literatur mit magna cum laude ab – natürlich nicht ohne einflussreichen Studentenverbindungen wie Omicron Delta Kappa und Phi Beta Kappa beigetreten zu sein.
Erst jetzt wendet sich die damals 22-Jährige dem Recht zu: Per Stipendium absolviert sie an der katholisch geprägte Privatuniversität Notre Dame bei Southbend, Indiana, ihr Jus-Studium – und besteht ihre Doktorprüfung summa cum laude. Mit ihr schliesst 1997 Kommilitone Jesse Barrett ab, den Amy Coney zwei Jahre später vor den Traualtar führen wird.
Sieben Kinder – magna cum laude
Ehemann Jesse ist Teilhaber einer Kanzlei in Southbend und wird wie seine Frau an die Notre Dame Law School zurückkehren, um dort zu lehren. Das Paar bekommt vier Babys, doch die Kinderschar wächst 2005 und 2010 auf sechs heran: Die Coney Barrets adoptieren jeweils nach schweren Erdbeben ein Kind auf Haiti. Das fünfte und letzte Baby kommt mit Downsyndrom zur Welt.
Dass Amy Coney Barrett bei diesem Familienprogramm auch ihre berufliche Karriere derart konsequent verfolgen kann, ist alles andere als selbstverständlich: Nach dem Abschluss 1997 hospitiert sie für einen Richter und arbeitet von 1998 bis 1999 für Antonin Scalin – einem konservativen Richter und hochgeschätzten Gegenspieler von Ruth Bader-Ginsburg.
Nach Abstechern in Kanzleien in Washington DC und Houston, Texas, übernimmt die Juristin an der George Washington University Law School erstmals eine Lehrtätigkeit, bevor sie 2002 an ihre alte alma mater zurückkehrt. 2006, 2016 und 2018 zeichnet ihre Universität die Professorin mit einem Preis aus, die von Donald Trump 2017 zudem an das Berufungsgericht für Illinois, Indiana und Wisconsin berufen wird.
«Meine Überzeugungen werden keine Rolle spielen»
Warum bereitet diese Frau den Demokraten solche Kopfzerbrechen? Zum einen natürlich, weil sie beim Obersten Gericht den Vorsprung der konservativen Richter auf sechs zu drei ausbauen würde. Zum anderen wird befürchtet, ihre religiösen Ansichten könnten in der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten enden.
Zum Beispiel bei Themen wie das Recht auf Abtreibungen oder der gleichgeschlechtlichen Ehe, deren Überprüfungen zur Entscheidung anstehen. «Ich sehe keinen Widerspruch zwischen einem aufrichtigen Glauben und meinen Pflichten als Richterin», sagte Barrett 2017, als sie für das Berufungsgericht nominiert wird.
«Ich würde meine persönlichen Überzeugungen nie dem Gesetz aufzwingen», betonte sie vor die Kandidatin vor drei Jahren. Sie werde sich immer nur von dem Gesetz leiten lassen, versprach sie. «In Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehen werden meine Überzeugungen überhaupt keine Rolle spielen.»
Skepsis gegenüber Sozial-Urteilen
Wichtig ist der 48-Jährigen die Trennung von Legislative und Judikative. Sprich: Der Bürger dürfe nicht vom Gericht einfordern, dass es die Rolle des Gesetzgebers übernimmt, wenn jener – nach Geschmack des Klägers – zu schwerfällig agiert. Das gelte gerade für die Sozialgesetzgebung, liess Amy Coney Barrett bisher durchblicken.
«Politische Entscheidungen und Werturteile über die Regierung müssen von den politischen Gewalten vorgenommen werden, die das Volk gewählt hat und die dem Volk gegenüber verantwortlich sind», sagt sie bei ihrer Anhörung im Justizausschuss. «Die Öffentlichkeit sollte dies nicht von den Gerichten erwarten und die Gerichte sollten es nicht versuchen.»
Von Obamacare über das Adoptivrecht bis hin zur Gleichstellung der LGBTQ-Gemeinde: Während die Demokraten die Anhörung nutzen, um Angst vor den Entscheidungen zu machen, die das Oberste Gericht in kommender Zeit fällen muss, versichert Coney Barrett, sich an den Verfassungstext halten zu wollen. Was dran ist, werden wir erst nach dieser «langen, strittigen Woche» wirklich erfahren.
Im Video: Kamala Harris' Statement im Justizausschuss am 12. Oktober.