Poker um Richter-Posten «Nehmen Sie mich beim Wort» – die Demenz der Republikaner

Von Philipp Dahm

21.9.2020

Als vor vier Jahren ein Bundesrichter starb, pochten führende Republikaner darauf, den Posten erst nach der Wahl neu zu besetzen. Davon wollen diese heute nichts mehr wissen.

In den USA stirbt vor der Wahl zum Präsidenten ein Bundesrichter. Die Neubesetzung wird zum Politikum, denn das Gremium entscheidet in richtungsweisenden Fällen – und deshalb versuchen Demokraten wie Republikaner, möglichst die Mehrheit in der Neuner-Gruppe zu bekommen.

Was aber soll Washington tun, wenn ein Bundesrichter vor einer Wahl das Zeitliche segnet? Einer hat da eine klare Vorstellung: «Die Amerikaner sollten eine Stimme bei der Auswahl ihres nächsten Richters haben. Deshalb darf diese Vakanz nicht besetzt werden, bis wir einen neuen Präsidenten haben.»

Gesagt hat das Mitch McConnell – aber nicht nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg am vergangenen Freitag, sondern vor vier Jahren, nachdem Antonin Scalia gestorben war. Der Republikaner heilt sich nicht mit Kondolenzen auf, sondern kam sofort auf die Nachfolge zu sprechen, kaum dass der 79-Jährige im Schlaf seine letzten Atemzüge getan hat.

«Nehmen Sie mich beim Wort!»

Dabei war Scalia ein Konservativer, doch mit seinem Tod war am Obersten Gericht eine Patt-Situation entstanden: Vier von den Republikanern nominierten Richtern standen vier Liberale gegenüber.

Sprich: Die Besetzung ist das Zünglein an der Waage – und deshalb blockiert die Grand Old Party jedwede Nominierung bis zum Wahltermin, bei dem Donald Trump überraschend das Rennen macht.

Der Nachfolger von Barack Obama installiert am 31. Januar 2017 Neil Gorsuch für den Job, womit die Republikaner wieder mit fünf zu vier die Oberhand haben. Dass die Nominierung bis zur Wahl rausgezögert wurde, hat Lindsey Graham noch 2018 vehement verteidigt. Und sagt sogar: «Wenn es einen offenen Posten am Ende der Amtszeit von Präsident Trump gebe, würden wir bis zur Wahl warten. Nehmen Sie mich beim Wort!»

Tod einer Integrationsfigur

Vier Jahre später das Déjà vu – nur stirbt die auf Lebenszeit ernannte Richterin diesmal nicht siebeneinhalb Monate vor dem Urnengang, sondern fünf Wochen zuvor: Ruth Bader Ginsburg.

Obwohl sie vom Demokraten Bill Clinton ins Amt gehievt worden war, galt sie als ausgleichende Kraft. Sie sagte 2017 in einem Interview, dass der Weisskopfadler für sie nicht das beste Symbol für die USA sei, sondern das Pendel. «Wenn das Pendel zu sehr in eine Richtung ausschlägt, wird es zurückschwingen.»

Und die Leiche der beliebten Richterin ist kaum kalt, da ist auch schon der Streit um ihre Nachfolge entbrannt. Auf der einen Seite sprechen sich Trumps Vorgänger Barack Obama und der Präsidentschaftskandidat Joe Biden nun dafür aus, den Posten erst nach der Wahl am 3. November wieder zu besetzen. Auch die Richterin selbst soll diesen Wunsch vor ihrem Tod geäussert haben, berichtet das «National Public Radio».

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?

Auf der anderen Seite scheinen die Grössen der Republikaner gerade von akuter Demenz befallen zu sein: Frei nach dem Motto «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?» haben sie ihre damaligen Aussagen dezent unter den Tisch fallen lassen und arbeiten nun mit Hochdruck daran, die Nachfolge vor dem Urnengang unter Dach und Fach zu bringen.

Vergessen sind die alten Versprechen: Lindsey Graham und Mitch McConnell.
Vergessen sind die alten Versprechen: Lindsey Graham und Mitch McConnell.
Bild: Keystone

Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im Senat, versucht dort bereits, die Reihen zu schiessen, weiss «Politico». Bisher haben sich zwei Senatorinnen der Republikaner dagegen ausgesprochen: Nur Susan Collins aus Maine und Lisa Murkowski aus Alaska stehen zu ihrem Wort, dass eine solche Neubesetzung kurz vor einer Wahl nicht richtig sei.

Dennoch steht eine Nachfolgerin bereits in den Startlöchern: Amy Coney Barrett. Schon 2019 soll Trump gesagt haben, er «spare» die Richterin für Ginsburg auf. Die Richterin ist erst 48 Jahre alt, überzeugte Katholikin und siebenfache Mutter, die sich gegen das Recht auf Abtreibung ausspricht.

Amy Coney Barrett, hier im Mai 2018, soll Favoritin für die Nachfolge von Ruth Bader Ginsburg sein.
Amy Coney Barrett, hier im Mai 2018, soll Favoritin für die Nachfolge von Ruth Bader Ginsburg sein.
Bild: Keystone

Ob Barrett wirklich ans Oberste Gericht geht, entscheidet nach einer Nominierung durch Trump, der diese «ohne Verzögerung» vorlegen will, der Senat. Dass ihn dabei eine Petition stoppen könnte, die Bürger nun angestossen haben, um diese Nominierung auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben, scheint fraglich, selbst wenn genug Unterschriften zustande kämen.

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