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USA ändern ihre Strategie Russland soll sich verausgaben – ein riskanter Plan
Von Uz Rieger
26.4.2022
Die USA glauben an einen Sieg der Ukraine gegen die russische Armee. Dabei soll Moskau so weit geschwächt werden, dass weitere Aggressionen verunmöglicht werden. Das könnte funktionieren, glaubt ein Experte.
Beim Besuch einer hochrangigen US-Delegation in Kiew haben die USA ihren Ton gegenüber Moskau deutlich verschärft. Ein ukrainischer Sieg im seit zwei Monaten andauernden Krieg sei möglich, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Montag nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: «Sie können gewinnen, wenn sie die richtige Ausrüstung und die richtige Unterstützung haben.»
Dann äusserte Austin noch einen entscheidenden Satz, als er das Ziel der US-Regierung erklärte: Moskau in die Schranken zu weisen. «Wir wollen», so der Verteidigungsminister, «Russland in dem Ausmass geschwächt sehen, dass es die Art von Dingen, die es mit dem Einmarsch in die Ukraine getan hat, nicht mehr machen kann.»
Russland hat sich teilweise übernommen
Niklas Masuhr, Sicherheitsforscher am Center for Security Studies der ETH Zürich, hält es für denkbar, dass sich die russische Kriegsmaschinerie in der Ukraine so stark verausgabt, dass künftige Angriffskriege nicht mehr machbar sind. Zu einem gewissen Grad sei das sogar bereits passiert, erklärt der Experte auf Nachfrage von blue News.
Schliesslich hätten schon einige von Russlands nominell besten Einheiten, darunter die Luftlandetruppen, sehr hohe Verluste erlitten. «Der Verlust erfahrener Kader schmerzt natürlich besonders, im Zweifel sogar mehr als verlorenes Material, da sie nur sehr schwer zu ersetzen sind», gibt Masuhr zu bedenken.
Der Ukraine wiederum sei in der derzeitigen Phase des Krieges mit Panzer- und Flugabwehrwaffen aus dem Westen wohl nur mässig gedient, findet Masuhr. Mit Russlands Offensive im Osten könnten sich die Ukrainer nämlich nicht mehr darauf beschränken, urbanes Gebiet zu verteidigen.
Die aktuelle Situation erfordere «gepanzerte Verbände, um mobile Reserven zu bilden oder lokale Gegenangriffe zu führen», so der Forscher. Auch sei damit zu rechnen, dass russische Artillerie nun effektiver eingesetzt werden könne. Deshalb müsse auch «die Ukraine ihre effektive Reichweite erhalten».
Klare Ansagen aus Washington
Lloyd Austin und der mitgereiste US-Aussenminister Antony Blinken kündigten bei ihrem Besuch in Kiew bereits weitere Militärhilfen für die Ukraine und andere Länder in der Region in Höhe von 713 Millionen Dollar an. Die Aussagen der Toppolitiker aus Washington werden gemeinhin als Strategiebeschreibung gegenüber Russland gedeutet. Zumal sie kurz vor einem Treffen mit den Verteidigungsministern von Nato-Partnern und Verbündeten auf dem US-Militärstützpunkt im deutschen Ramstein gemacht wurden.
Wie der US-Sender CNN berichtet, seien die von Austin skizzierten Ideen innerhalb der Biden-Administration nicht ganz neu. Allerdings habe sich bislang niemand getraut, klar zu formulieren, dass die USA die militärischen Fähigkeiten Russlands langfristig beschneiden wollen. Mit dem Strategiewechsel gehen die USA nun auch ein höheres Risiko ein, indem sie Kiew schwerere Waffen liefere.
USA verfolgen neue Strategie
Die Justierung der Russland-Politik Washingtons hat gemäss CNN in den vergangenen Wochen stattgefunden. Ausschlaggebend dafür sei die Erkenntnis gewesen, dass sich Putin nicht mit der Eroberung von einigen Teilen der Ukraine zufriedengeben werde. Die Massaker an Zivilisten in Butscha und andernorts taten ihr Übriges.
In den USA und anderen westlichen Ländern seien Entscheidungsträger dadurch zu dem Schluss gekommen, dass man Russland militärisch und wirtschaftlich so stark schwächen müsse, dass künftige Aggressionen nicht mehr möglich seien. Dieses Ziel wird von der US-Regierung inzwischen als sehr realistisch betrachtet, wie Quellen aus der Biden-Administration gegenüber CNN bestätigten.
Man erwarte demnach, dass die Ukraine mit kontinuierlicher Unterstützung des Westens Russland so schwere Schläge versetzen könne, dass die militärischen Fähigkeiten Moskaus langfristig beeinträchtigt seien. Dies würde den USA strategisch zugutekommen.
«Balanceakt» mit ungewissem Ausgang
Die Strategie gegenüber Russland sei aber weiterhin mit Risiken behaftet, wie die Quellen CNN darlegten. Neben Kollateralschäden – etwa negativen Folgen für die Weltwirtschaft – sei zu befürchten, dass Putin übermässig hart zurückschlage, wenn er zu sehr in die Ecke gedrängt werde.
Bei dem anstehenden «Balanceakt» rechnet man in der US-Regierung indes damit, dass sich Putins rote Linie für einen Atomwaffeneinsatz nicht verschoben habe. Ein entscheidender Faktor sei demnach Regimestabilität. Putin dürfe nicht das Gefühl bekommen, seine Herrschaft werde ernsthaft bedroht.
Moskau wiederum bleibt unberechenbar. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow warnte am Dienstag in einem Interview im russischen Fernsehen, die Gefahr eines atomaren Konflikts solle «nicht unterschätzt werden». Man dürfe «auf keinen Fall einen Dritten Weltkrieg zulassen». Die Verantwortung schob er der ukrainischen Regierung zu. Diese provoziere Russland, indem sie die Nato bitte, in den Konflikt einzutreten.