Schwächelnde Weltwirtschaft «Prognosen sind dummerweise meist falsch»

mmi

11.4.2023

IWF senkt Wachstumsprognose für Weltwirtschaft

IWF senkt Wachstumsprognose für Weltwirtschaft

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht die Weltwirtschaft in schwierigem Fahrwasser: Er senkte seine Prognose leicht und rechnet für dieses Jahr nun mit einem globalen Wachstum von lediglich 2,8 Prozent.

11.04.2023

Der Internationale Währungsfonds prognostiziert, dass sich die Weltwirtschaft nur langsam erholen wird. Wirtschaftshistoriker Daniel Speich erklärt, warum das kein Grund zur Panik ist.

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  • Anlässlich seiner jährlichen Frühjahrstagung hat der Internationale Währungsfonds (IWF) am Dienstagnachmittag seine Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft gesenkt.
  • 2023 soll die globale Wirtschaft um nur 2,8 Prozent wachsen. Das sind 0,6 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr.
  • Für Wirtschaftshistoriker Daniel Speich, sind die getrübten Prognosen nicht schlimm, denn die würden sich in der Regel nicht bewahrheiten.

Die globale Wirtschaft wächst 2023 langsamer als im Vorjahr (Rückgang von 3,4 auf 2,8 Prozent) – und zwar um 0,6 Prozentpunkte. So stellte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Prognosen am Dienstag anlässlich seiner jährlichen Frühjahrstagung in Washington vor. 

«Wir treten in eine riskante Phase ein, in der das Wirtschaftswachstum im historischen Vergleich niedrig bleibt und die finanziellen Risiken zugenommen haben, ohne dass die Inflation bereits eine entscheidende Wende genommen hat», schrieb IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas.

Auch wenn die Prognosen weniger Wachstum versprechen, müsse man nicht in Panik verfallen, sagt Daniel Speich, Wirtschaftshistoriker an der Universität Luzern. «Mit Prognosen will man sich die Zukunft vorstellen, dummerweise sind die meistens falsch», sagt Speich. 

Damit meint der promovierte Wirtschaftshistoriker, dass diese Ausblicke in die Zukunft an Modelle der Wirtschaftstheorie gebunden sind. Die seien zwar hervorragend, aber gleichzeitig auch starr, erklärt Speich und führt den Krieg in der Ukraine oder die drohende Eskalation zwischen China und Taiwan an. «Welche Konsequenzen dies für die Weltwirtschaft hat oder haben wird, kann man in keinem Modell berechnen», sagt Speich.

«Die Kraft, die jetzige Realität zu beeinflussen.»

Der Wert solcher Prognosen wie jene des IWF seien nicht die Zukunftsaussichten. Vielmehr hätten sie realwirtschaftliche Konsequenzen – also die Kraft, die Wahrnehmung der jetzigen Realität zu beeinflussen, erklärt der Wirtschaftsexperte weiter.

Bester Indikator für die weltwirtschaftliche Entwicklung seien nach wie vor die Unternehmer, niemand kenne die jeweiligen Märkte so gut wie die Teilnehmer selbst, sagt Speich und meint: «Investieren Unternehmen, dann dürfte sich dies auch meist in einer positiven Wirtschaftsentwicklung zeigen.»

Mühsamer Kampf gegen die Teuerung

Der IWF wertete demnach als positiv, dass sich die Wirtschaft langsam von dem russischen Einmarsch in die Ukraine erhole und auch die Folgen der Pandemie überwinde. Zentral dafür seien der Rückgang der «kriegsbedingten Verwerfungen» auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt und das Ende von Chinas Corona-Abschottung.

«Unter der Oberfläche jedoch bauen sich Turbulenzen auf, und die Situation ist fragil, wie uns die jüngste Instabilität im Bankensektor vor Augen geführt hat», heisst es in dem Bericht. Der Kampf gegen die Inflation sei ausserdem deutlich zäher als noch vor einigen Monaten erwartet. Der Bericht sieht erhebliche Risiken, die eine wirtschaftliche Erholung gefährdeten.

Noch im Januar war der IWF von einem weltweiten Wachstum von 2,9 Prozent ausgegangen – diese Vorhersage wurde nun leicht um 0,1 Prozentpunkte nach unten korrigiert. Erst im kommenden Jahr soll es dann wieder etwas aufwärtsgehen – das Bruttoinlandprodukt (BIP) soll dann um 3 Prozent wachsen.

Die Ökonominnen und Ökonomen des IWF hoffen, dass die Talsohle in diesem Jahr erreicht ist. Bemerkenswert sei, dass die Wirtschaft besonders in den Industrienationen nur langsam wachse. Der IWF hat für dieses Jahr 1,3 Prozent auf dem Zettel. In den Schwellenländern sieht es mit 3,9 Prozent hingegen deutlich besser aus.

Für die Schweiz hatte der IWF vergangene Woche für 2023 ein BIP-Wachstum von 0,8 Prozent in Aussicht gestellt, nach einer ursprünglichen Schätzung von klar höheren 2,2 Prozent. Im kommenden Jahr werde die Schweizer Wirtschaft mit 1,8 Prozent wieder schneller wachsen, hiess es.

Rezession dürfte ausbleiben

Weltweit sei es eine Gratwanderung, zum einen Preisstabilität wiederherzustellen und zum anderen ein Abrutschen in eine Rezession zu vermeiden, heisst es in der am Dienstag veröffentlichten Prognose weiter. Der IWF geht aber momentan nicht von einem weltweiten Abschwung aus.

Besorgniserregend sei aber, dass die Inflation weniger deutlich zurückgehe als zunächst vorhergesagt. Für 2023 rechnet der IWF weltweit mit einer Teuerungsrate von im Schnitt 7 Prozent – das sind 0,4 Prozentpunkte mehr als noch im Januar prognostiziert.

Im kommenden Jahr soll sie dann bei 4,9 Prozent liegen (plus 0,6 Prozentpunkte). Für die Industrienationen rechnet der IWF in diesem Jahr mit einer Inflationsrate von 4,7 Prozent. Diese Werte sind von der Zielmarke von 2 Prozent noch deutlich entfernt.

Werden bald weniger Frachtschiffe im Hamburger Hafen einlaufen? Laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds dürfte dies der Fall sein – denn die Wirtschaft soll 2023 weniger schnell wachsen als angenommen.
Werden bald weniger Frachtschiffe im Hamburger Hafen einlaufen? Laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds dürfte dies der Fall sein – denn die Wirtschaft soll 2023 weniger schnell wachsen als angenommen.
Keystone

Offene Fragen zur Bankenkrise

Zwar trage die strenge Geldpolitik der Zentralbanken langsam Früchte, so der Bericht. Aber nun dürften die Notenbanken im Kampf gegen die hohen Konsumentenpreise nicht nachlassen. Die Zinsanhebungen bergen allerdings die Gefahr, die Wirtschaft auszubremsen.

Und so zeichnet der IWF auch ein «plausibles Alternativszenario»: Sollte etwa der Stress im Finanzsektor anhalten, könnte das weltweite Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 2,5 Prozent fallen – das wäre dem IWF zufolge das schwächste Wachstum seit dem globalen Abschwung 2001 – mit Ausnahme des Beginns der Corona-Pandemie und der Finanzkrise 2009. In diesem Szenario würde das Wachstum in den Industrienationen bei unter 1 Prozent liegen.

Doch der IWF hat auch gute Nachrichten: Zum einen gebe es aktuell keine Anhaltspunkte für eine unkontrollierte Lohn-Preis-Spirale – also den Effekt, dass zu stark steigende Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation die Preise weiter nach oben treiben.

Ein «Silberstreif am Horizont» sei auch, dass die Turbulenzen im Bankensektor dazu beitragen könnten, die Nachfrage auszubremsen – und so einen ähnlichen Effekt wie Zinserhöhungen hätten. Damit könnten sie beim Senken der Inflationsrate helfen.

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA