Proteste gegen Massentourismus Was der Unmut an Ferienzielen für Schweizer Reisende bedeutet

Dominik Müller

23.4.2024

Auf der Kanarischen Insel Gran Canaria protestieren am Samstag Tausende Menschen gegen den unregulierten Massentourismus.
Auf der Kanarischen Insel Gran Canaria protestieren am Samstag Tausende Menschen gegen den unregulierten Massentourismus.
Europa Press Canarias/Europa Press/dpa

Auf den Kanaren protestierten am Wochenende Tausende gegen unregulierten Massentourismus. An anderen Orten gibt es ähnliche Entwicklungen. Was hat das für Auswirkungen auf Schweizer Feriengäste? Tourismusexperte Jürg Stettler schätzt für blue News ein.

Dominik Müller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Insgesamt 55'000 Menschen gingen am Samstag auf den Kanarischen Inseln auf die Strasse, um gegen Massentourismus zu protestieren.
  • Tourismusexperte Jürg Stettler von der Hochschule Luzern erläutert im Interview die Ursachen für die Unzufriedenheit bei der lokalen Bevölkerung ein.
  • Zudem schätzt er die Folgen für Schweizer Reisende ein.

Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig der Kanaren. Warum demonstrieren dennoch so viele Menschen dagegen?

Es gibt viele ausländische Investoren, die ihre touristischen Infrastrukturen und Angebote möglichst profitabel betreiben und anbieten wollen. Das führt dazu, dass vor allem diejenigen davon profitieren, die im Tourismus arbeiten, weil sie im Vergleich zu den übrigen Beschäftigungsmöglichkeiten auf den Inseln mehr verdienen können. Die übrigen Bewohner*innen leiden aber unter den Nachteilen des zunehmenden Tourismus.

Zur Person
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Hochschule Luzern

Prof. Dr. Jürg Stettler leitet das Institut für Tourismus und Mobilität der Hochschule Luzern und setzt sich mit Destinationsmanagement und der nachhaltigen Entwicklung im Tourismus auseinander.

Was sind das für Nachteile?

Beispielsweise die Problematik des Wasserverbrauchs. Hotels und andere touristische Anlagen haben einen so hohen Wasserverbrauch, dass es teilweise für die lokale Bevölkerung nicht mehr reicht. Ein anderes Beispiel sind die grossen Abfallmengen. Oftmals verfügen die lokalen Infrastrukturen nicht über ausreichende Kapazitäten. Das führt dazu, dass der Tourismus die ökologischen und infrastrukturellen Kapazitätsgrenzen überschreitet. Dadurch sinkt auch die Akzeptanz des Tourismus bei der Bevölkerung. Overtourism ist immer mit einer subjektiven Wahrnehmung verbunden. Wird die Kosten-Nutzen-Verteilung nicht als gerecht wahrgenommen, führt das als Folge davon zu Widerstand in der Bevölkerung.

Mit Massentourismus kämpfen auch andere Destinationen. Handelt es sich bei Overtourism um ein globales Phänomen?

Wachstumsprognosen gehen davon aus, dass die Anzahl der jährlichen internationalen Ankünfte von heute rund 1,2 Milliarden bis 2032 auf etwa 2,2 Milliarden steigen wird. Das führt dazu, dass viel bereiste Orte auf der ganzen Welt zunehmend Schwierigkeiten haben, weil die Zahl der Touristen heute und in absehbarer Zukunft schlicht zu gross wird.

In Barcelona haben Einheimische schon mehrmals protestiert. Venedig führt am Donnerstag eine Eintrittsgebühr pro Tagestourist ein. In Amsterdam gilt eine Obergrenze für Übernachtungen. Auch Bali und Hawaii haben ähnliche Massnahmen eingeführt oder geplant.

Das sind Versuche, wenn möglich, die Zahl der Touristen zu beeinflussen. Amsterdam hat schon vor längerer Zeit die Marketingaktivitäten deutlich eingeschränkt und jetzt gemerkt, dass das alleine nicht reicht. Und in Venedig wird es spannend zu beobachten sein, wie gut die kostenpflichtige Zutrittsregelung funktionieren wird. Ich gehe davon aus, dass bei erfolgreicher Einführung diese Regelung ausgebaut wird und die Preise schrittweise erhöht werden.

Was haben Proteste wie auf den Kanaren für Auswirkungen auf Schweizer Tourist*innen? Braucht man ein schlechtes Gewissen haben, wenn man an solchen Orten Ferien macht?

Es kommt sicher darauf an, welche Art von Ferien man macht. Wenn man in eine Ferienanlage geht, die mehr oder weniger abgeschottet ist, und nicht im Land herumreist, kann es gut sein, dass man vom Unmut in der Bevölkerung gar nichts mitbekommt. Wenn jemand aber den Austausch mit der lokalen Bevölkerung sucht, ist klar, dass das Reiseerlebnis nicht mehr gleich ist, wenn die Grundstimmung gegenüber dem Tourismus negativ ist. Warum reisen wir überhaupt rund um die Welt? In den meisten Fällen sind es die schöne Natur und die Menschen und deren Kulturen, die einen dazu animieren. Und wenn die Menschen im Zielland das nicht mehr gut finden, geht natürlich ein wesentliches Motivelement verloren.

Gibt es Destinationen, die man aktuell besser nicht bereist, weil Touristen nicht willkommen sind?

Das kann man nicht verallgemeinern. Ich war in den letzten Jahren mehrmals in Barcelona oder Venedig. Es fängt damit an, wann ich reise. Im Februar ist Barcelona beispielsweise eine wunderbare Stadt ohne jegliche Probleme. In der Hochsaison kommt es hingegen darauf an, in welchem Viertel der Stadt ich mich befinde. Es gibt sehr viele Destinationen, die Probleme haben mit Massentourismus und dennoch sehr gut bereisbar sind.

Gibt es Prognosen, wo es nach den Kanaren als Nächstes brodeln könnte?

Ich kann keine Prognosen machen. Diese Liste deckt sich wahrscheinlich mit einer Google-Suche nach den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Welt. An beliebten und viel bereisten Orten ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass es zunehmend zu Overtourism-Problemen und als Folge davon zu Demonstrationen kommt. Ein lokaler Protest kann aus einer Befindlichkeit entstehen und immer stärker werden.

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