Korruption, Menschenrechte und ein Bischt: Der WM-Rückblick
blue Sport Moderator Manuel Rothmund blickt auf die Weltmeisterschaft 2022 zurück.
19.12.2022
Sie gilt als die sportlich erfolgreichste Fussball-WM aller Zeiten. Was sonst noch bleibt von dem meistdiskutierten Turnier der Fussballgeschichte, hat blue News bei Experte Roland Rino Büchel nachgefragt.
Kaum eine Fussball-WM hat so polarisiert wie die 22. Turnierausgabe in Katar. Besonders in Westeuropa ist das Gastgeberland im Vorfeld harsch kritisiert worden: Korruption, Menschenrechtsverletzungen und die homophobe Einstellung der WM-Verantwortlichen lösten Proteste aus. Die Boykottaufrufe waren laut.
Doch je länger das Turnier dauerte, desto leiser wurden die kritischen Stimmen, die politischen Botschaften auf dem Feld seltener: Vielleicht erinnerst du dich noch an das Mannschaftsfoto der deutschen Nationalelf, die sich vor ihrem ersten Spiel beim Mannschaftsfoto den Mund zuhielt? Oder an das iranische Team, welches ebenfalls beim ersten Gruppenspiel die Nationalhymne nicht mitsang, um die Protestierenden zu Hause zu unterstützen, gegen die das eigene Regime seit Wochen mit tödlicher Gewalt durchgreift?
Am Sonntagabend ist sie nun zu Ende gegangen – nach 27 Tagen, 64 Spielen und 172 Toren – so viele wie noch nie an einer WM zuvor. Das Spiel zwischen Argentinien und Frankreich hat einen denkwürdigen Schlusspunkt gesetzt. Rund um die Welt wird von der fussballerisch besten WM aller Zeiten gesprochen.
Was bleibt nebst dem Sport von diesem Turnier in Katar?
blue News hat Roland Rino Büchel, Nationalrat (SVP/SG), Aussenpolitiker, und Sportmarketing-Experte, um eine Einschätzung gebeten.
Welches Ziel hat Katar mit der WM verfolgt – und hat es dies erreicht?
Laut Büchel würde gar viel reininterpretiert, welche Ziele Katar mit der Austragung der WM verfolgte. Für ihn ist jedoch klar, dass sich der Emir als grosser Sportfan sich damit einen Wunsch erfüllen wollte.
Ausserdem habe der kleine Golfstaat die Aufmerksamkeit auf sich lenken und in der Welt bekanntmachen wollen, so Büchel. Das sei wohl auch sicherheitspolitisch motiviert gewesen.
Denn für die grossen Mächte in der Region, wie Saudi-Arabien oder den Iran sei es schwieriger, sich ein global bekanntes Katar anzueignen, als wenn man das Land mit seinen 2,7 Millionen Einwohnern (davon sind lediglich rund 10 Prozent Kataris) kaum kenne.
Wird die Kritik aus dem Westen etwas ändern?
In den letzten Jahren habe Katar Zugeständnisse und Fortschritte hinsichtlich Menschenrechte, Gleichberechtigung und Demokratie gemacht, so der Sportmarketing-Experte.
Ob die Versprechen nun tatsächlich eingehalten würden, gelte es zu beobachten, sagt Büchel. Er sei jetzt vor allem an jenen, denen diese Themen im Vorfeld ein grosses Anliegen waren, genau hinzuschauen und dran zu bleiben. Zudem müssten die Kritiker präziser werden. Es genüge nicht, wie im Falle von Amnesty International, irgendwelche Rundumschläge anzubringen, so Büchel.
Was passiert jetzt mit den Gastarbeitern?
Das sei noch zu früh, um Schlüsse zu ziehen, resümiert Büchel. Klar sei, dass nun ein grosser Teil von Katars neuer Infrastruktur fertig gebaut sei und viele Gastarbeiter eine neue Beschäftigung bräuchten. Zu hoffen sei, dass sich die Katar weiter in Richtung Dienstleistungsgesellschaft entwickeln könne und Menschen aus aller Welt in jenem Sektor Arbeit finden würden, so Büchel.
Was passiert mit den Stadien und der Infrastrutkur?
Über 200 Milliarden liess sich der Emir die neu errichtete Infrastruktur kosten: Eine neue Metro sowie acht neue Stadien.
Pläne, was insbesondere mit den Sportstadien passieren soll in einem Land ohne Fussballkultur, sind bis dato nicht bekannt.
Die Kritik an fehlender Nachhaltigkeit ist laut Büchel verständlich und richtig. Es sei auch an anderen Austragungsorten von sportlichen Grossanlässen zu viel an neuer Infrastruktur errichtet worden, die danach ungenutzt blieb. Etwa auch während der Fussball-WM 2014 in Brasilien, wo in Manaus ein Hochglanz-Stadion für fast 45'000 Zuschauer gebaut wurde, das nach und nach zu verfallen droht.
Wie hat die WM sonst noch Einfluss gehabt?
Katar ist aufgrund seiner Grösse auf gute Beziehungen mit dem Ausland angewiesen. Doch in den vergangenen Jahren rumpelte es mächtig zwischen den Staaten am Persischen Golf – bis 2021 blockierten die Nachbarstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, Katar wirtschaftlich und politisch.
Es sei immer gut, wenn Leute miteinander sprechen, sagt Büchel. Deshalb sei es ein positives Zeichen, sind die Machthaber von Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten nach Katar gereist, um gemeinsam die Fussball-WM zu schauen. Doch dass dieses Turnier nun ein Gamechanger in der Politik gewesen sei, bezweifelt der Experte. Bis jetzt sei die Euphorie nach ähnlichen Verbrüderungen an Sportanlässen jeweils allzu rasch verflogen.
Ausserdem habe man die anhaltende Kritik aus dem Westen am Gastgeberland nicht nur in Katar, sondern in der ganzen arabischen Welt zunehmend als überheblich aufgefasst. «Spätestens der starke Auftritt Marokkos hat die arabischen Nationen geeint und der Region zumindest sportlich neues Selbstvertrauen gegeben», sagt Büchel.