Late Night USA «Warum zieht man mitten im Brand die Feuerwehr ab?» 

Von Philipp Dahm

19.10.2020

«Last Week Tonight»: Donald Trumps Kleinkrieg gegen die WHO im Fokus von John Oliver (rechts).
«Last Week Tonight»: Donald Trumps Kleinkrieg gegen die WHO im Fokus von John Oliver (rechts).
Screenshot: YouTube

Das Budget der WHO entspricht dem eines grossen US-Spitals, doch Donald Trump will der Organisation den Rücken kehren. «Last Week Tonight» nimmt die Argumente des US-Präsidenten auseinander. 

Dass die USA aus der Weltgesundheitsbehörde aussteigen wollen, ist bekannt: Die WHO ist einer der beliebtesten Sündenböcke von Donald Trump, erinnert John Oliver das Publikum von «Last Week Tonight». Mal hat der Präsident gesagt, er sei «nicht glücklich» mit der Organisation, die sich «schämen» müsse und eine «Marionette«, ja, «buchstäblich eine Orgelpfeife von China» sei.

Trump habe mit derart markiger Kritik ein halbes Jahr lang von seiner eigenen Pandemie-Politik ablenken wollen, erläutert der Moderator. Und eigentlich sehen die Statuten der WHO gar nicht vor, dass ein Land austritt. Doch es hat seine Vorteile, wenn man seit gut 100 Jahren die führende Grossmacht des Planeten ist: Die USA haben «vor Jahrzehnten» eine Resolution durchgesetzt, nach der sie als einzige Nation weltweit genau das tun können – mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr. 

«Warum wurde überhaupt je erwogen, das mal zu tun?», fragt Oliver einigermassen ungläubig. Trumps WHO-Austritt wird am 6. Juli 2021 wirksam: Auch deshalb sei der Wahltermin am kommenden 3. November so wichtig.

Über eine Milliarde Haushalte in Indien besucht

Dabei stelle die WHO gar keine Gefahr dar: Sie wird nur aktiv, wenn der entsprechende Staat das auch zulässt und unterstützt. Die UN-Behörde will vor Gefahren warnen, Krankheiten bekämpfen, die Gesundheitspolitik fördern und den Zugang zur Pflege erleichtern, zählt Oliver auf. Sanktionieren könne die WHO aber nicht: «Sie hat keinerlei eigene Macht, ihre Empfehlungen durchzusetzen.»

Das Aus im Juli: Trump gibt die US-Trennung von der WHO bekannt.
Das Aus im Juli: Trump gibt die US-Trennung von der WHO bekannt.
Screenshot: YouTube

Dennoch sei es der Organisation gelungen, Pocken auszurotten: Das Virus habe allein im 20. Jahrhundert 300 Millionen Menschenleben gefordert, sei ab er komplett von der Erde getilgt worden. Um dieses Ziel zu erreichen, habe die WHO auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR vermitteln müssen.

Eindrücklich ist der Clip ab Minute 4:50, wo WHO-Mitarbeiter berichten, wie sie und ihre Kollegen in Indien monatlich 120 Millionen Haushalte besucht haben, um zu impfen – über fast 20 Monate hinweg. 

Die WHO hat ein Budget wie ein US-Spital

Wichtig ist auch das halbjährliche Treffen, auf dem die WHO entscheidet, welche Stämme des Grippevirus in den saisonalen Grippeimpfstoff einfliessen  – oder die Warnung vor Seuchenausbrüchen – neben Covid-19 sind Affenpocken, Gelbfieber und Ebola aktuell. Das Budget für diese Aufgaben liegt bei 2,2 Milliarden Franken. «Das ist derselbe Betrag, den man für den Betrieb eines [grossen] US-Spitals braucht», rechnet Oliver vor.

Was das Problem für das Weisse Haus ist? Trump denkt, Washington zahle zu viel. Es sei jedoch komplizierter, was der US-Präsident bloss nichtig begreifen könne, erläutert der Moderator. «In seiner Welt ist es so: Entweder, du [tötest] jemanden, oder du wirst [getötet]. Und das ist keine so grossartige Perspektive, wenn es darum geht, bei Gesundheitsfragen auf internationalem Level zu kooperieren.»

Mehr geht nicht – sagt Donald Trump: Tatsächlich zahlen die USA im Vergleich zu China mehr als das Zehnfache.
Mehr geht nicht – sagt Donald Trump: Tatsächlich zahlen die USA im Vergleich zu China mehr als das Zehnfache.
Screenshot: YouTube

Tatsächlich haben die USA 2019 der WHO 446,5 Milliarden Dollar überwiesen – und China nur 43 Millionen. Das scheine eine eher ungerechte Lastenteilung zu sein, habe aber historische Gründe, erklärt Oliver – und sei einem republikanischen Präsidenten zu verdanken: In den 80ern hat Ronald Reagan der WHO monetäre Stagnation verordnet.

Der Fehler liegt im System

Sprich: Die Beiträge der WHO sind nominal auf einem Level der frühen 90er-Jahre festgefroren. Das hat zur Folge, dass die Organisation heute nur 17 Prozent ihres Budgets aus den Beiträgen bestreitet – und 80 Prozent aus Spenden der internationalen Staaten, die im Gegenzug bestimmen können, wofür ihre Gelder eingesetzt werden sollen.

Dieses WHO-Budgetkonstrukt verdankt die Welt Ronald Reagan.
Dieses WHO-Budgetkonstrukt verdankt die Welt Ronald Reagan.
Screenshot: YouTube

«Ich würde sagen, dass war die schlimmste Entscheidung [Reagans].  Nicht die Iran-Contra-Affäre, nicht der Krieg gegen Drogen, nicht der Wirtschaftsabschwung oder das Unvermögen, in vier Jahren auch nur einmal öffentlich das Wort Aids in den Mund zu nehmen», ätzt Oliver, um auf den Punkt zu kommen: «Wir zahlen der WHO so viel, weil wir es uns so ausgesucht haben, weil die WHO unterfinanziert ist wegen einer Sache, die wir getan haben.»

Ab Minute 10:36 zeigt «Last Week Tonight» Ausschnitte des TV-Senders «Fox», in denen China als dunkle Macht hinter der WHO beschrieben wird. Aber warum eigentlich? Ja, die WHO habe China zu Beginn der Pandemie für deren Krisenmanagement gelobt – aber die Organisation müsse auch diplomatisch sein, weil sie nur Zutritt zu Ländern bekomme, wenn jene das auch erlaubten.

Im Februar war Trump noch voll des Lobes

Und auch Trump klingt im Februar noch vollkommen anders, wie ein Ausschnitt ab 12:15 zeigt. Da attestiert der 74-Jährige Peking noch, «sehr hart zu arbeiten» und einen guten Job zu machen. Sein Aussenminster Mike Pompeo poltert nun, die USA würden einfach selbst die Aufgaben der WHO übernehmen.

Trump und China: Seine früheren Loblieder sind heute vergessen.
Trump und China: Seine früheren Loblieder sind heute vergessen.
Screenshot: YouTube

Dass US-Ärzte und -Experten bei der Geschichte Amerikas im Ausland gern gesehen würden, kann sich John Oliver nicht vorstellen – und berichtet sogar, dass die CIA Osma bin Laden auch durch fingierte Impfaktionen in Pakistan auf die Schliche gekommen ist. Die Folge: Das Sicherheitsrisiko für echte Ärzte ist gestiegen und die Polio-Impfungen in dem Land sind zurückgegangen.

Late Night USA – Amerika verstehen
blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Was die WHO-Delegierten darüber denken, dass Washington den Bund mitten in einer Pandemie verlassen will, erfährt der Zuschauer ab 15:42. «Es fühlt sich manchmal an wie ein Albtraum und die Mitarbeiter der Organisation sind entgeistert», sagt der Brite David Nabarro. «Kann mir jemand erklären, warum? Warum zieht man mitten im Brand die Feuerwehr ab?»

«Eines der unüberlegtesten, dümmsten Dinge»

Eben, das sei, als würde man Schauspieler Kevin Spacey, der wegen sexueller Übergriffe in Verruf geraten ist, nachträglich in den neuesten Kinderfilm reinschneiden – «die schlechteste Entscheidung zum schlechtesten Zeitpunkt». Dabei sei die WHO kurz davor, ihr Kunststück mit den Pocken auch bei Polio zu wiederholen. Ob sich das Ziel, die Krankheit bis 2023 auszurotten, abhaken lässt, sei nun ungewiss.

Olivers Fazit: Das Ganze «ist nur ein weiteres deprimierendes Beispiel dafür, wie Trump etwas sieht, das gemeinsame Entbehrungen, Kompromisse und Komplexität umfasst und sich dafür entscheiden, alles hochgehen zu lassen. Weil er es nicht versteht, weil es ihm egal ist oder beides. So wie beim Pariser Klimaabkommen oder mit dem Atomabkommen mit dem Iran – und jetzt macht er es mit der WHO.»

Und nochmal ganz deutlich: «Aus der WHO auszutreten ist zu jeder Zeit, aber insbesondere während einer Pandemie, die mehr als 200'000 Amerikaner und eine Million weltweit getötet hat, eines der unüberlegtesten, dümmsten Dinge, die wir überhaupt tun könnten.»

Sehen Sie hier «Last Week Tonight» in voller Länge.

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