Trotz aller Skandale Warum steht die Hälfte der Amerikaner noch hinter Trump?

dpa/tsha

6.11.2020

Für seine Gegner ist Donald Trump der zum Präsidenten gewordene Albtraum. Millionen Amerikaner aber stehen treu zu ihm – aller Kritik an Trump zum Trotz. Woran liegt das?

Als Donald Trump vor vier Jahren zum Präsidenten der USA gewählt wurde, war das für viele Amerikaner ein Experiment: Ein Aussenseiter, der versprach, den «Sumpf» in Washington trockenzulegen. Ein – zumindest nach eigener Darstellung – erfolgreicher Unternehmer, der ausdrücklich damit warb, eben kein Politiker zu sein. Einer, der das Establishment durchrütteln wollte. Vier Jahre später ist Trump kein Experiment mehr. Jeder Amerikaner kennt seine brachiale Art, seine Aggressivität, seine Wut, seine Tweets. Jeder weiss um die politischen und persönlichen Vorwürfe gegen ihn. Trotzdem hat ihm auch dieses Mal fast jeder zweite Wähler seine Stimme gegeben. Das hat nicht nur politische Gründe.

In Europa ist Trump hochgradig unbeliebt. Hätten die Schweizer ein Stimmrecht bei der US-Wahl gehabt, wäre er bei ihnen nach einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Marketagent.com Schweiz gerade einmal auf neun Prozent gekommen. 52 Prozent der Schweizer würden für Herausforderer Biden stimmen, 31 Prozent für keinen der beiden. Neun Prozent der Befragten gaben an, sie wüssten nicht, für wen sie stimmen würden. Anders als die Europäer – die Trump mit Handelskonflikten überzogen hat – haben viele Bürger in den USA von seiner Politik profitiert. In einer Umfrage des Instituts Gallup sagten 56 Prozent der Amerikaner, ihnen und ihren Familien gehe es heute besser als vor vier Jahren.



Dass Trump diese Entwicklung nie in Zustimmungswerte umsetzen konnte, deutet allerdings darauf hin, dass ihn viele Amerikaner nicht wählten, obwohl sich ihre Lage verbessert hat. Nach Berechnungen der Statistikseite FiveThirtyEight kippten diese Zustimmungswerte schon wenige Tage nach Trumps Amtsantritt ins Negative – dort blieben sie bis heute. Zuletzt äusserten sich knapp 53 Prozent negativ über Trump, nur gut 44 Prozent hatten eine positive Meinung. Auch hier zeigt sich aber ähnlich wie bei der Wahl: Eine grosse Zahl der Amerikaner hat Trump selbst in der Pandemie die Treue gehalten, die mehr als 230'000 Menschen in den USA das Leben gekostet hat.

Erfolgreiche erste Amtszeit?

Politisch war Trumps erste Amtszeit aus Sicht seiner Anhänger ein Erfolg: Er konnte gleich drei von neun Richtern am Supreme Court ernennen, womit er das Oberste Gericht auf Jahrzehnte hinweg konservativ geprägt hat, was tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben könnte. Viele Amerikaner trauen Umfragen zufolge eher dem Republikaner Trump als seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden zu, die Wirtschaft nach der Pandemie wieder zum alten Erfolg zurückzuführen. Trump hat eine weitreichende Steuerreform durchgebracht und weitere Senkungen versprochen.

Der Präsident punktet bei seinen Anhängern mit seinem harten Vorgehen gegen Migranten, gegen Widerstände im Kongress hat er den Bau der von ihm versprochenen Mauer an der Grenze zu Mexiko begonnen. Trump steht für das Recht auf Waffenbesitz, für ein starkes Militär, für Religionsfreiheit, für den Abbau von Bürokratie und Regularien. Er präsentiert sich als Verfechter von Recht und Ordnung und als Kämpfer gegen Abtreibung. In der Aussenpolitik feiern ihn seine Anhänger für seine «America First»-Doktrin, die die USA an erste Stelle setzt.



Trump fischt auch am rechten Rand. Immer wieder tut er sich schwer damit, Rechtsradikale eindeutig zu verurteilen. Nachdem in Charlottesville im Bundesstaat Virginia 2017 eine Gegendemonstrantin auf einem Neonazi-Aufmarsch getötet worden war, sagte Trump, es habe auf beiden Seiten «sehr gute Menschen» gegeben. Es dürfte kein Zufall sein, dass Trump in europäischen Staaten Umfragen zufolge besonders unter Rechtspopulisten Zuspruch geniesst.

Unterstützung vor allem von Weissen

Nach einer Statistik des Instituts Pew hat Trump in den Vereinigten Staaten die meisten Unterstützer unter schlecht ausgebildeten männlichen Weissen. Besonders diese Bevölkerungsgruppe ist es, die angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung in den USA befürchten muss, ins Hintertreffen zu geraten. Trumps Horrorszenarien vor einer «Invasion» von Migranten, vor einer Explosion der Kriminalität, vor marodierenden linken Horden, vor einer Zerstörung der Vororte fallen bei ihr auf fruchtbaren Boden.

Trump – für masslose Übertreibungen berüchtigt – warnte im Wahlkampf vor einem Ende der USA in ihrer jetzigen Form, sollte Biden gewinnen. «Ich bin das Einzige, was zwischen dem amerikanischen Traum und totaler Anarchie, Wahnsinn und Chaos steht», sagte er. Zur Wahl stünde «der amerikanische Traum gegen ein sozialistisches Drecksloch». Vor allem auf dem Land verfangen Trumps Warnungen vor einem Sozialismus nach dem Vorbild Venezuelas, sollten die Demokraten an die Macht kommen – auch wenn Biden aus europäischer Sicht wohl eher als gemässigter Sozialdemokrat durchgehen würde.



Das Phänomen Trump hat aber auch eine psychologische Seite. Kritiker vergleichen die Zuneigung von Trumps Hardcore-Anhänger mit einem «Kult». Viele seiner Unterstützer verehren ihn in einem Masse, wie man es eher aus autoritären Staaten kennt. Bei seinen Wahlkampfauftritten skandierten sie nicht nur «four more years» – vier weitere Jahre Trump im Weissen Haus –, sondern auch «we love you», «wir lieben Dich». In einer Umfrage der Universität Monmouth im vergangenen Jahr sagten 62 Prozent der Trump-Anhänger, sie könnten sich nichts vorstellen, was der Präsident tun könne, um ihre Unterstützung zu verlieren. Das entsprach einem guten Viertel aller Befragten.

Trump weiss um die Loyalität seiner Anhänger. Als er sich 2016 um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner bewarb, machte er einen Scherz, der aber einen wahren Kern hatte. «Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschiessen, und ich würde keine Wähler verlieren», sagte er damals. «Es ist einfach unglaublich.»

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