Dammbruch vorhergesagt Warum Kiews Geheimdienst vor einer Explosion im AKW warnt

Von Philipp Dahm

22.6.2023

Kyrylo Budanow hat eine Explosion im Kachowka-Damm prophezeit. Nun warnt der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, dass Russland die Kühl-Anlage des Kernkraftwerks Saporischschja sprengen könnte.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Kyrylo Budanow, Chef des Militärgeheimdienstes in Kiew, hat im Oktober vor einer Sprengung des Kakochwka-Staudamms gewarnt.
  • Nun warnt Budanow, Moskau habe die Kühlanlage des Kernkraftwerks Saporischschja vermint.
  • Wolodymyr Selenskyj bestätigt, dass eine «terroristische Attacke» Russlands erwartet wird.
  • Durch den Dammbruch ist der Stausee trocken gefallen und bietet der ukrainischen Armee nun die Chance, von Westen her den russischen Verteidigern in Saporischschja in die Flanke zu fallen.

Kyrylo Budanow ist nicht zu fassen. Vor allem nicht für Russland: Gerade hat Moskau noch die Mär verbreitet, der Chef des ukrainischen Militär-Geheimdienstes sei getötet worden. 

Generalmajor Kyrylo Budanow am 24. Februar 2023 in Kiew.
Generalmajor Kyrylo Budanow am 24. Februar 2023 in Kiew.
Bild: AP

Laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti soll der erst 37 Jahre alte Generalmajor bei einem Raketen-Angriff auf Kiew verletzt worden sein. Weiter wird das deutsche Magazin «Stern» zitiert, nach dem Budanow mit einer schweren Kopfverletzung in einem deutschen Spital im Koma liege. Der «Stern» habe sogar mit seinen Ärzten gesprochen, behauptet der Kreml-Propagandist Wladimir Solowjow auf Telegram.

Doch nicht nur das Hamburger Magazin dementiert, denn einen solchen Artikel habe es nie gegeben. Auch Budanow zeigt sich plötzlich – recht lebendig – an der Seite der Seite des japanischen Botschafters und der stellvertretenden Aussenministerin Emine Dschaparowa, die auf Facebook das entsprechende Foto veröffentlicht.

«Das ist kein Dummy», schreibt sie dazu. «Alle Teilnehmer des Treffens erfreuen sind am Leben und erfreuen sich guter Gesundheit.» Und während der Kreml in diesem Krieg weiter auf Desinformation setzt, bemüht sich Budanow um Aufklärung. Es ist ja immerhin auch sein Job, zu wissen, was passiert, bevor es passiert.

Budanow hat Dammbruch prophezeit

Und darin ist der Kiewer anscheinend ganz gut. Beispiel gefällig? Am 24. Oktober 2022 gibt Budanow der «Ukrainska Prawda» ein Interview, das im Nachhinein aufhorchen lässt. Darin warnt er wie Wolodymyr Selenskyj vier Tage vor ihm, dass Russland Teile des Kachowka-Dammes vermint hätte. Der Kreml wolle «den Damm teilweise zerstören».

«Um ein Bauwerk dieser Grössenordnung zu zerstören, braucht man Dutzende Tonnen Sprengstoff, die richtig platziert werden müssen», warnt Budanow. Gleichzeitig prophezeit er eine Umweltkatastrophe durch die folgenden Überschwemmungen. «Und natürlich werden sie es uns für eine gewisse Zeit schwer machen, voranzukommen», ergänzt er mit Block aufs Militär. «Es ist übrigens kein sehr langer Zeitraum – etwa zwei Wochen.»

Widerstandfähig: Bauarbeiten am Kachowka-Staudamm 1954.
Widerstandfähig: Bauarbeiten am Kachowka-Staudamm 1954.
Bild: Ukrhydroenergo

Zwar bezweifelt Budanow damals, dass Russland den Damm gänzlich sprengen will, doch das passt zur Spekulation, dass tatsächlich nur ein Teil zerstört werden sollte, und dieses Unterfangen schiefgelaufen ist. Experten sind sich laut «New York Times» inzwischen sicher, dass Moskau dahinter steckt, weil nur eine interne Explosion die Sprengkraft hätte, den Damm zu brechen.

Budanow warnt nun vor Sprengsätzen im Kernkraftwerk

Und nun wagt dieser Budanow eine neue Prognose: Es könnte einen Atom-Unfall im Süden des Landes geben. «Das Schlimmste ist, dass das Kernkraftwerk Saporischschja ebenfalls vermint worden ist», sagt er im ukrainischen TV. Demnach hätten Russen Sprengsätze am Kühlsystem installiert. «Wenn sie den hochjagen, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es signifikante Probleme geben wird.»

Der Meiler ist durch den Dammbruch ohnehin schon betroffen, weil die Kühlwasserbecken nicht leerlaufen dürfen. Nun gebe es «eine echte Bedrohung», will Budanow wissen. Schon Ende Mai hat sein Geheimdienst gewarnt, Russland führe in dem Kraftwerk etwas im Schilde, doch «in den nächsten Stunden» passierte dann entgegen der Ankündigung nichts.

Dieses Satellitenbild Planet Labs PBC zeigt das trocken fallende Kachowka-Reservoir vom 13. Juni. Das Kühlbecken des Kernkraftwerks rechts unten im Bild wird rudimentär mit Wasser versorgt.
Dieses Satellitenbild Planet Labs PBC zeigt das trocken fallende Kachowka-Reservoir vom 13. Juni. Das Kühlbecken des Kernkraftwerks rechts unten im Bild wird rudimentär mit Wasser versorgt.
Bild: AP

Wolodymyr Selenskyj hat in seiner heutigen Videobotschaft diese Warnung wiederholt: «Der Geheimdienst hat Informationen erhalten, dass Russland das Szenario einer terroristischen Attacke auf Kernkraftwerk Saporischschja erwägt», sagt der Präsident. «Ein terroristischer Akt, bei dem Strahlung freigesetzt wird. Sie haben alles dafür vorbereitet.»

Was für Budanows These spricht

Der 45-Jährige warnt Wladimir Putin, dass Radioaktivität keine Grenzen kenne und der Wind eine solche Aktion zu einem Bumerang werden lassen könnte. Moskau kontert, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sei gerade erst vor Ort gewesen: Der Vorwurf sei eine Lüge, heisst es aus dem Kreml.

Dieses Bild des russischen Verteidigungsministeriums zeigt die Experten der IAEA am 15. Juni 2023 beim Inspizieren das Kernkraftwerks Saporischschja.
Dieses Bild des russischen Verteidigungsministeriums zeigt die Experten der IAEA am 15. Juni 2023 beim Inspizieren das Kernkraftwerks Saporischschja.
Bild: EPA

Auch wenn die Vorwürfe nicht überprüft werden können, ist der Gedanke, dass der Kreml nach dem Damm auch im Atommeiler etwas vorhat, nicht von der Hand zu weisen. Es ist, wie Budanow es prophezeit hat: Zwei Wochen nach dem Dammbruch ergeben sich für die Ukraine neue Möglichkeiten, weil das Reservoir austrocknet.

Das heisst, dass es für Kiews Kräfte bald einfach wird, den Dnjepr zu überqueren und Chaos an der Flanke der Besatzungstruppen zu stiften. Ein Blick auf die Karte von Deep State, die auch die russischen Befestigungen ausweist, genügt, um zu sehen, dass die ukrainische Armee mit einem Angriff von Westen her die starken russischen Verteidigungslinien umgehen könnte.

In Enerhodar (links im Bild), wo das Kernkraftwerk steht, gibt es kaum Befestigungen – ganz im Gegensatz zu dem Gebiet weiter östlich, wo ukrainische Truppen von Norden her angreifen.
In Enerhodar (links im Bild), wo das Kernkraftwerk steht, gibt es kaum Befestigungen – ganz im Gegensatz zu dem Gebiet weiter östlich, wo ukrainische Truppen von Norden her angreifen.
Bild: DeepStateMap

Sollte es ukrainischen Streitkräften tatsächlich gelingen, der russischen Verteidigung in die Flanke zu fahren, könnte vielleicht ein Durchbruch an der Front gelingen. Ob Wladimir Putin in so einem Fall zum Äussersten greifen würde, erscheint nicht ausgeschlossen. Man muss deshalb hoffen, dass Budanow sich diesmal doch irrt.