Lagebild Ukraine Die Ukrainer lauern im Wald, die Russen scheitern erneut in Bachmut

Von Philipp Dahm

9.1.2023

Heftige Kämpfe im Osten der Ukraine dauern an

Heftige Kämpfe im Osten der Ukraine dauern an

Im Osten der Ukraine wird weiter heftig gekämpft. Wenige Tage nach dem christlich-orthodoxen Weihnachtsfest meldete die ukrainische Armee am Montag den Rückschlag von zahlreichen russischen Angriffen mit Raketen, Drohnen und Flugzeugen. Insgesamt seien 14 Städte und Ortschaften in der Region Donbass angegriffen worden, teilte der ukrainische Generalstab in einem Lagebericht mit.

09.01.2023

Die ukrainische Armee ist in die Wälder vor Kreminna eingedrungen, doch noch hält Russland die Stadt im Donbas. Eine Zangenbewegung nördlich von Bachmut misslingt Putins Armee jedoch.

Von Philipp Dahm

Für jene russischen Truppen, die in der Tiefe des Donbas' stationiert sind, ist die Regionalstrasse P-66 eine Hauptschlagader, um lebensnotwendigen Nachschub heranzubringen.

Die P-66 führt vom Norden aus Russland parallel zum Fluss Krasna nach Süden. Westlich ist das Gelände erhöht, östlich reihen sich von Süd nach Nord Trojizke, Swatowe und Kreminna an die Fernstrasse.

Nachschubader: Die P-66 führt von Kreminna (rot markiert) südlich nach Swatowe und weiter nach Trojizke (nicht angeschrieben) bis zur russischen Grenze.
Nachschubader: Die P-66 führt von Kreminna (rot markiert) südlich nach Swatowe und weiter nach Trojizke (nicht angeschrieben) bis zur russischen Grenze.
Google Earth

Wie wichtig es dem Kreml ist, dass diese Verbindung nicht unterbrochen wird, zeigt sich in Swatowe. Hier hat Moskau seine modernen T-90M-Panzer platziert, um die Versorgungslinie zu schützen. Vielleicht konzentriert sich die Ukraine auch deshalb auf Kreminna, doch es geht nur langsam voran.

Kreminna: Vortasten durch die Wälder

«Wir hatten einige Erfolge, aber nichts Grosses», sagt Ende Dezember der ukrainische Soldat «Kulak» der «Voice of America». «Der Feind gibt nicht auf. Wir greifen sie jeden Tag an, bei jedem Wetter. Wir attackieren Richtung Kreminna, aber sie sind nicht leicht zu besiegen.»

Das obige Video beschreibt den erbitterten Kampf um das Dorf Novoselivske nordwestlich von Swatowe.

Inzwischen sollen ukrainische Streitkräfte bis an die Stadt herangekommen sein, doch weil das Wetter zu warm war, ist eine grössere Offensive ausgeblieben, die die Verteidigungslinie umgangen wäre und nördlich und südlich über die Flüsse Krasna und Siwerskyj Donez vorgerückt wäre.

Wälder bei Kreminna.
Wälder bei Kreminna.
Google Earth

Stattdessen sollen die Soldaten in die Wälder im Norden und Süden vorgedrungen sein und sich dort blutige Gefechte mit den Russen liefern. Doch derzeit ist Kreminna noch weit davon entfernt, zu fallen – und der ukrainischen Armee einen Vorstoss nach Osten zu erlauben, um die Russen in Rubischne, Sjewjerodonezk und Lyssytschansk von Nachschub und Rückzugsräumen abzuschneiden.

Bachmut: Angriff über die Soledar-Flanke

Moskau hat dagegen weiter Bachmut im Visier – und auch diese Stadt will sich ihren Angreifern nicht ergeben. Nachdem die Gruppe Wagner im Dezember hier noch die Frontalkonfrontation gesucht hat, wird nun über die nördliche Flanke attackiert.

Lagekarte Kreminna und Bachmut.
Lagekarte Kreminna und Bachmut.
MilitaryLand

Das Ziel ist es offenbar, über Soledar nach Westen durchzubrechen, um Bachmut einzukesseln. Das Dorf Bachmutske soll bereits erobert worden sein. Auch aus Soledar, das von drei Seiten eingekreist ist, haben russische Truppen bereits Erfolge gemeldet: Angeblich haben sie die lokalen Salzminen gesichert.

Doch die ukrainischen Verteidiger sind in die Gegenoffensive gegangen und haben den Gegner angeblich sowohl aus den urbanen Siedlungen als auch aus dem Umland gedrängt, wobei Kampfflugzeuge und -helikopter im Einsatz gewesen sein sollen.

Enorme Verluste 

Obwohl die Frontabschnitte statisch sind, erleidet die russische Seite angeblich hohe Verluste. Am 22. Dezember meldet Kiew, es seien mehr als 100'000 Russen in der Ukraine gefallen. 18 Tage später ist von 111'760 Toten die Rede. Man darf die ukrainische Angabe in der Höhe anzweifeln, doch dass derzeit besonders viele Soldaten ihr Leben lassen, könnte zutreffen.

Grabenkämpfe: Ukrainische Soldaten am 31. Dezember 2022 nahe Bachmut.
Grabenkämpfe: Ukrainische Soldaten am 31. Dezember 2022 nahe Bachmut.
EPA

Zu den Zahlen haben ukrainische Attacken wie jene auf Makijiwka beigetragen, wo in der Neujahrsnacht Raketen viele russische Soldaten getötet wurden. 89 sind es laut Kreml, bis zu 300, meldet dagegen Kiew. Moskau konterte vergangene Woche mit einem Raketenangriff auf Kramatorsk im Oblast Donezk.

Dabei wurden 600 ukrainische Soldaten getötet, tönt das russische Verteidigungsministerium. Allein: Ein Team der Nachrichtenagentur Reuters besucht die Ziele, die da getroffen worden sein sollen – und findet in den Hallen örtlicher Schulen nichts. Eine ist vollkommen intakt, bei der zweiten fehlen nur die Fenster.

Waffen-Update

Die Anekdote zeigt, dass Russland derzeit einen hohen Preis zahlt – bei den Menschen wie beim Material. Allein in den letzten 24 Stunden seien laut Kiew drei Helikopter abgeschossen, elf Panzer und 17 gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden. Wladimir Putin braucht dringend Erfolgsmeldungen, hat aber nichts vorzuweisen.

Insgesamt hat Russland seit Kriegsbeginn – wie von den Niederländern von Oryx visuell bestätigt – 1'610 Panzer verloren, wovon der Feind 533 erbeutet hat. Doch eigentlich hofft Kiew weiter darauf, westliche Kampfpanzer zu bekommen – und nach der Zusage der Lieferung von deutschen Marder-Schützenpanzern und ähnlichen Gefährten aus Frankreich (AMX-10) und den USA (Bradley) scheint das nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Dabei hätte der deutsche Leopard 2 gegenüber dem M1 Abrams der US Army den Vorteil, dass die beiden Dieselmotoren sehr viel pflegeleichter sind als die amerikanische Turbine. Finnland kündigt bereits an, der Ukraine den Panzer zu liefern, wenn Deutschland grünes Licht gibt. Auch Polen will um eine Exporterlaubnis bitten. «Nein, ausgeschlossen ist das natürlich nicht», sagt selbst der deutsche Vizekanzler Robert Habeck auf die Frage, ob Berlin nicht selbst Leopard 2 abgeben könnte.

Neben deutschen Schützenpanzern vom Typ Marder, von denen die ersten noch im ersten Quartal des Jahres ausgeliefert werden sollen, steht nun auch fest, welche Variante des Bradley Washington nach Kiew schickt: Es handelt sich um den M2A2 ODS, wobei ODS für Operation Desert Storm steht. Die Fahrzeuge sind nach den Erkenntnissen des Golfkrieges in den 1990er-Jahren modernisiert worden.