Russischer Aufmarsch Moskau warnt vor «Bürgerkrieg», Kiew will türkische Drohnen

Von Philipp Dahm

12.4.2021

Ein Bericht des britischen Senders «Sky News» aus der Region Donbass, die Luhansk und Donezk umfasst.

Russland warnt vor einem möglichen «Bürgerkrieg» in der Ukraine und verstärkt seine Truppen an der Grenze. Kiew bittet nicht nur die USA und Europa um Schützenhilfe, sondern auch Drohnen-Hersteller Türkei.

Von Philipp Dahm

Russland soll an der Grenze zur Ukraine inzwischen die meisten Truppen zusammengezogen haben seit dem Jahr 2014, als Moskau die Krim annektiert hat, hat das Weisse Haus vergangene Woche mitgeteilt. «Die Vereinigten Staaten sind zunehmend besorgt über die jüngsten eskalierenden Aggressionen in der Ost-Ukraine inklusive russischen Truppenbewegungen an der Grenze», sagte Sprecherin Jen Psaki.

Auch die deutsche Bundeskanzlerin ist wegen der Lage in Osteuropa nervös: Angela Merkel rief Wladimir Putin auf, den Truppen-Aufmarsch zurückzufahren. Der Kreml zeigte sich davon gänzlich unbeeindruckt – und hat kurzerhand ein Treffen der OSZE geschwänzt, bei dem am vergangenen Samstag in Wien die Situation in der Ukraine zur Sprache kommen sollte.

Der ukrainische Verteidigungsminister Andrej Taran versicherte dennoch am selben Tag, dass sein Land an einer diplomatischen und friedlichen Lösung des Konflikts interessiert sei. Kremlsprecher Dmitri Peskow konterte am Sonntag im russischen Staatsfernsehen, dass Russland nicht vorhabe, einen Krieg gegen seinen Nachbarn zu führen. Es bestehe aber die Gefahr eines «Bürgerkriegs», fügte er vielsagend an.

Sieben Jahre nach der Annexion: Russland gibt sich harmlos

«Natürlich ist das gefährlich. Sollten wir Massnahmen für unsere Sicherheit ergreifen? Sollten wir!», so Peskow. Zugleich wies er erneut Forderungen zum Abzug russischer Truppen von der Grenze zurück. Das sei Russlands innere Angelegenheit. «Das sollte bei niemandem Besorgnis auslösen. Russland hat niemals für irgendjemanden eine Bedrohung dargestellt», sagte er. Das weckt Erinnerungen an DDR-Staatschef Walter Ulbricht, der 1961 erklärte: «Niemand hat vor, eine Mauer zu errichten.»

Es ist sieben Jahre her, dass Russland die Krim annektiert hat – unter dem Vorwand, dort lebende Russen schützen zu wollen. Nun hat Moskau die Regionen Luhansk und Donezk im Visier, die von russlandtreuen Rebellen kontrolliert werden. Allein in diesen Gebieten sind neu 400'000 russische Pässe ausgestellt worden, meldet die «Deutsche Presse-Agentur». Luhansk ist ein Zentrum des Maschinenbaus, in Donezk ist dank Kohlevorkommen viel Schwerindustrie zu Hause.

Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland hat nach UNO-Schätzungen mindestens 13'000 Tote gefordert. Trotz eines Friedensplans von 2015 gehen die Scharmützel zwischen den Ländern weiter: In diesem Jahr habe es bisher 27 neue Opfer gegeben, schreibt der «Guardian»: Zuletzt sei ein ukrainischer Soldat durch Artilleriefeuer russischer Separatisten ums Leben gekommen.

Inspektion: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht am 9. April die Truppen an der Front im Donbass.
Inspektion: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht am 9. April die Truppen an der Front im Donbass.
KEYSTONE

US-Zerstörer ins Schwarze Meer entsandt

Und die Zeichen stehen weiter auf Konfrontation: «Wenn Russland waghalsig oder aggressiv handelt, wird das Kosten und Konsequenzen haben», warnte US-Aussenminister Antony Blinken gestern im US-TV. Washington stehe deshalb im engen Kontakt mit seinen Partnern, insbesondere mit Berlin und Paris.

Das Weisse Haus hat ausserdem zwei Zerstörer ins Schwarze Meer beordert: Russland wird über den Besuch der USS Donald Cook und USS Roosevelt im eigenen maritimen Hinterhof nicht gerade erfreut sein.

Mehr oder weniger gern gesehene Gäste: Die USS Donald Cook, hier 2014 im Schwarzen Meer bei einem Besuch in Rumänien, und die USS Roosevelt sind Zerstörer der Arleigh-Burke-Klassse.
Mehr oder weniger gern gesehene Gäste: Die USS Donald Cook, hier 2014 im Schwarzen Meer bei einem Besuch in Rumänien, und die USS Roosevelt sind Zerstörer der Arleigh-Burke-Klassse.
KEYSTONE

Der Kreml hat gestern wiederholt, man wolle keinen Krieg, werde aber auch nicht «gleichgültig bleiben», wenn es um das Schicksal der russischen Bevölkerung der Region gehe. Und die Ukraine selbst? Der Präsident fährt offenbar eine zweigleisige Strategie: Wolodymyr Selenskyj schielt zum einen auf eine schnelle Aufnahme in die Nato, um der permanenten Bedrohung aus dem Osten etwas entgegenzusetzen: Kiew hat neue Manöver angekündigt, zu denen die Allianz eingeladen werden soll.

Auf der anderen Seite hat sich Selenskyj mit der Bitte um Hilfe explizit an die Türkei gewendet. «[Ankaras] Unterstützung bei der Wiederherstellung unserer Souveränität und territorialen Integrität ist extrem wichtig», betonte der Ukrainer gestern auf einer Medienkonferenz mit Recep Tayyib Erdogan in Istanbul. Es ist bereits der zweite Besuch Selenskyjs in der Türkei innert sechs Monaten. Der türkische Präsident hatte 2016 kritisiert, das Schwarze Meer drohe zu einem «russischen See» zu werden.

Türkische Drohnen gegen russische Panzer

Bei der Staatsvisite dürfte es auch um den Kauf von Waffen gegangen sein. Kiew hat von Ankara sowohl Korvetten der Milgem-Klasse als auch Drohnen gekauft. Insbesondere die Anschaffung weiterer Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar TB2 ist dabei für die Ukraine von Interesse: Im jüngsten Konflikt mit Armenien haben aserbaidschanische Drohnen aus türkischer Produktion die Rüstungswelt erstaunt, als sie gegnerische Panzer und Flugabwehr-Einheiten aus russischer Produktion scheinbar mühelos ausgeschaltet haben.

Aserbaidschanische Drohnen zerstören armenische Panzer aus russischer Produktion.

Die Türkei, die in Syrien Probleme mit Russland hat, hat bisher sechs TB2 an die Ukraine verkauft, doch Kiew könnte seine Unterlegenheit in der Luft ausgleichen, wenn es noch mehr Drohnen kauft, glauben Experten. Das Land unterhält zwar 125 Kampfflugzeuge, die jedoch so nahe an der russischen Grenze operieren, dass Moskau sie bereits kurz nach dem Abheben abschiessen könnte, schreibt «Forbes».

Zudem sind die Jets hoffnungslos veraltet: Das Budget der ukrainischen Luftwaffe in Höhe von 300 Millionen Dollar reicht für eine Modernisierung nicht aus. Drohnen sind eine Alternative: Natürlich können auch diese abgeschossen werden, doch einerseits sind sie wegen ihrer geringeren Grösse schwerer zu treffen und andererseits geht die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr auf, wenn teure Flugabwehrraketen auf billige Drohnen abgefeuert werden, die im Schwarm angreifen.