«Mittelalterliche Schlacht»Ein Jahr nach dem gewalttätigen Sturm aufs US-Kapitol
Von Christiane Jacke, dpa/tpfi
1.1.2022 - 14:02
Aus Washington gingen am 6. Januar 2021 Bilder um die Welt, die man für unvorstellbar gehalten hatte: Ein gewalttätiger Mob stürmte den Sitz des US-Kongresses. Der Tag hinterlässt bleibenden Schaden – für jene, die mittendrin waren, und für das Land als Ganzes.
01.01.2022, 14:02
01.01.2022, 14:31
dpa/tpfi
Aquilino Gonell kämpfte um sein Leben. Der Polizist stand einem wütenden Mob gegenüber und versuchte verzweifelt, die Randalierer zurückzudrängen. Es sei wie in einer «mittelalterlichen Schlacht» gewesen, sagte Gonell später. Seine Kollegen und er hätten sich Zentimeter für Zentimeter gegen den brutalen Mob verteidigen müssen. Sie wurden geschlagen, getreten, mit Hämmern und Stöcken malträtiert, mit Chemikalien besprüht. «Ich hätte sterben können an jenem Tag. Nicht ein Mal, sondern viele Male», so der Beamte der Polizei des US-Kapitols.
Gewalt in Washington: Trumps Mob stürmt das Kapitol
In Washington spielen sich am 6. Januar 2021 beispiellose Szenen ab. Nach einer Wutrede von Donald Trump, in der der Präsident seine Lüge von einem Wahlbetrug wiederholte, ziehen Hunderte seiner Anhänger vor das Kapitol.
Bild: Anadolu Agency/Getty Images
Und sie belassen es nicht beim Protest: Hier dringt der Mob durch eine Tür gewaltsam ins Innere des Kapitolgebäudes ein. (6. Januar 2021)
Bild: AFP/Getty Images
Auch Absperrungen und Sicherheitskräfte können die Meute nicht aufhalten. (6. Januar 2021)
Bild: AP Photo/John Minchillo
Beim Sturm aufs Kapitol kommt es zu tumultartigen Szenen. Ein Mitglied des Kongresses wird hier in Sicherheit gebracht. (6. Januar 2021)
Bild: Getty Images
Politiker und Angestellte des Parlaments suchen Schutz vor den aufgebrachten Angreifern. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/AP Photo/Andrew Harnik
Abgeordnete werden von Sicherheitskräften auf der Tribüne des Repräsentantenhauses in Sicherheit gebracht. Einige tragen Gasmasken, da auch Reizgas eingesetzt wird. (6. Januar 2021)
Bild: Andrew Harnik/AP/dpa
Ein Polizist des United States Capitol Police Department versucht einen durch ein eingeworfenes Fenster eindringenden Mann mit Pfefferspray zurückzudrängen. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Kevin Dietsch/Pool
Mitglieder der Capitol Police bewachen mit gezogener Waffe einen verbarrikadierten Eingang. (6. Januar 2021)
Bild: Andrew Harnik/AP
Die Anhänger des abgewählten Präsidenten posieren nach ihrem gewaltsamen Eindringen neben der Tür zu den Senatskammern. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Das Bild geht um die Welt: Ein Randalierer macht sich im Büro von Nancy Pelosi, der demokratischen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, breit. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Dieser Mann führt die in den USA schon lange umstrittene Südstaatenflagge mit sich. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Die Flagge gilt bis heute als Symbol für Sklaverei und Rassismus. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Ein Jahr später ist die Aufarbeitung der Vorgänge noch immer im Gange. Im Repräsentantenhaus, der grossen Parlamentskammer, ermittelt eine Untersuchungskommission. (14. Dezember 2021)
Bild: Keystone
Im Zentrum steht die Frage: Wie eng waren der damalige US-Präsident Donald Trump und sein Umfeld in die Planung und Durchführung des Sturms involviert?
Bild: Evan Vucci/AP/dpa
Trumps Stabschef Mark Meadows (rechts) kam wohl eine Schlüsselrolle zu: So schrieb ihm unter anderem der Präsidentensohn Donald Trump Jr., sein Vater müsse der Gewalt Einhalt gebieten. (2. Oktober 2021)
Bild: EPA/Oliver Contreras / POOL
Derweil wird vielen der Eindringlinge der Prozess gemacht. Der dank seines Schamanen-Looks bekannt gewordene Jacob Chansley beispielsweise wurde zu 41 Monaten Haft verurteilt. (6. Januar 2021)
Bild: AP Photo/Manuel Balce Ceneta
Gewalt in Washington: Trumps Mob stürmt das Kapitol
In Washington spielen sich am 6. Januar 2021 beispiellose Szenen ab. Nach einer Wutrede von Donald Trump, in der der Präsident seine Lüge von einem Wahlbetrug wiederholte, ziehen Hunderte seiner Anhänger vor das Kapitol.
Bild: Anadolu Agency/Getty Images
Und sie belassen es nicht beim Protest: Hier dringt der Mob durch eine Tür gewaltsam ins Innere des Kapitolgebäudes ein. (6. Januar 2021)
Bild: AFP/Getty Images
Auch Absperrungen und Sicherheitskräfte können die Meute nicht aufhalten. (6. Januar 2021)
Bild: AP Photo/John Minchillo
Beim Sturm aufs Kapitol kommt es zu tumultartigen Szenen. Ein Mitglied des Kongresses wird hier in Sicherheit gebracht. (6. Januar 2021)
Bild: Getty Images
Politiker und Angestellte des Parlaments suchen Schutz vor den aufgebrachten Angreifern. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/AP Photo/Andrew Harnik
Abgeordnete werden von Sicherheitskräften auf der Tribüne des Repräsentantenhauses in Sicherheit gebracht. Einige tragen Gasmasken, da auch Reizgas eingesetzt wird. (6. Januar 2021)
Bild: Andrew Harnik/AP/dpa
Ein Polizist des United States Capitol Police Department versucht einen durch ein eingeworfenes Fenster eindringenden Mann mit Pfefferspray zurückzudrängen. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Kevin Dietsch/Pool
Mitglieder der Capitol Police bewachen mit gezogener Waffe einen verbarrikadierten Eingang. (6. Januar 2021)
Bild: Andrew Harnik/AP
Die Anhänger des abgewählten Präsidenten posieren nach ihrem gewaltsamen Eindringen neben der Tür zu den Senatskammern. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Das Bild geht um die Welt: Ein Randalierer macht sich im Büro von Nancy Pelosi, der demokratischen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, breit. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Dieser Mann führt die in den USA schon lange umstrittene Südstaatenflagge mit sich. (6. Januar 2021)
Bild: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Die Flagge gilt bis heute als Symbol für Sklaverei und Rassismus. (6. Januar 2021)
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Ein Jahr später ist die Aufarbeitung der Vorgänge noch immer im Gange. Im Repräsentantenhaus, der grossen Parlamentskammer, ermittelt eine Untersuchungskommission. (14. Dezember 2021)
Bild: Keystone
Im Zentrum steht die Frage: Wie eng waren der damalige US-Präsident Donald Trump und sein Umfeld in die Planung und Durchführung des Sturms involviert?
Bild: Evan Vucci/AP/dpa
Trumps Stabschef Mark Meadows (rechts) kam wohl eine Schlüsselrolle zu: So schrieb ihm unter anderem der Präsidentensohn Donald Trump Jr., sein Vater müsse der Gewalt Einhalt gebieten. (2. Oktober 2021)
Bild: EPA/Oliver Contreras / POOL
Derweil wird vielen der Eindringlinge der Prozess gemacht. Der dank seines Schamanen-Looks bekannt gewordene Jacob Chansley beispielsweise wurde zu 41 Monaten Haft verurteilt. (6. Januar 2021)
Bild: AP Photo/Manuel Balce Ceneta
Gonell überlebte. Doch er trug Blessuren davon, die noch immer nicht verheilt sind und vielleicht nie verschwinden werden. Das Gleiche gilt für die amerikanische Demokratie. An jenem 6. Januar 2021 geschah, was sich viele nie hätten vorstellen können: Eine fanatische Menschenmenge erstürmte den Sitz des US-Kongresses, angepeitscht von Donald Trump, dem amtierenden Präsidenten. Ein beispielloser Angriff auf das Herzstück der amerikanischen Demokratie. Der unverfrorene Versuch, ein Wahlergebnis zu kippen. Und ein kolossales Versagen des US-Sicherheitsapparates.
Fünf Menschen kamen ums Leben
An jenem Mittwoch war der Kongress in Washington zusammengekommen, um den Erfolg Joe Bidens bei der Präsidentenwahl offiziell zu bestätigen. Eigentlich eine Formalie. Doch Wahlverlierer Trump sah die Zusammenkunft als letzte Chance, sich gegen seine Niederlage aufzulehnen und das Ergebnis umzukehren. Seine über Monate orchestrierte Kampagne, die Wahl als Betrug darzustellen, fand hier ihren vorläufigen Höhepunkt.
Bei einer Rede wiegelte Trump seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschieren und «wie der Teufel» zu kämpfen. Danach sah er vor dem Fernseher im Weissen Haus tatenlos zu, wie seine Unterstützer den Kongresssitz stürmten, Polizisten bis zur Erschöpfung kämpften und Senatoren und Abgeordnete unter Schreibtischen kauernd um ihr Leben bangten. Fünf Menschen kamen ums Leben, darunter ein Polizeibeamter.
Gonell schrieb Monate später mit anderen Polizisten bei einer Anhörung im Kongress unter Tränen, wie er jene Stunden erlebte: die Tritte und Schläge, die Wut der Angreifer, den Schmerz, die Todesangst. Gonell war für das US-Militär im Irak-Krieg. Doch an jenem 6. Januar habe er mehr Angst gehabt als während seines gesamten Irak-Einsatzes. «Die körperliche Gewalt, die wir erlebten, war schrecklich und verheerend.» Und diesmal waren es Amerikaner, Mitbürger, gegen die er kämpfen musste.
Gonell trug Verletzungen davon an beiden Händen, seiner linken Schulter, seinem linken Bein und dem rechten Fuss. Er musste mehrmals operiert werden. Und die Seele? Der Angriff habe bei seinen Kollegen und ihm ein bleibendes Trauma ausgelöst. Einige hätten danach den Dienst quittiert. «Für die meisten Leute hat der 6. Januar ein paar Stunden gedauert», sagte er. «Aber für diejenigen von uns, die mittendrin waren, hat es nie aufgehört.»
Republikaner kuschen vor Trump
Für die amerikanische Demokratie auch nicht. Trump überstand ein Amtsenthebungsverfahren, das im Kongress gegen ihn eingeleitet wurde. Und er setzt seinen besessenen Feldzug gegen das Wahlergebnis fort. Bis heute behauptet er ohne jede Grundlage, er sei durch Betrug um den Sieg gebracht worden. Ihm ist es gelungen, nachhaltiges Misstrauen ins Wahlsystem und demokratische Grundfesten zu säen. In mehreren Umfragen zweifelten erschreckend hohe Zahlen an Bürgern, dass Biden der rechtmässige Gewinner ist. Das heisst: Millionen haben ihr Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse verloren.
Verschwörungstheorien breiten sich weiter aus. Bidens Vorhaben, das Land zu einen, scheint vorerst jenseits des Möglichen. Die politischen Lager stehen einander unversöhnlich gegenüber. Im Repräsentantenhaus tun sich inzwischen einige Republikaner – protegiert von Trump und geduldet von der Fraktionsführung – ungeniert mit extrem rechten und hetzerischen Aussagen hervor.
Die Republikanische Partei hat sich trotz des 6. Januar nicht von Trump losgesagt. Im Gegenteil: Der Ex-Präsident hat die Partei im Griff und spielt mit einer möglichen Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2024. Eine andere Führungsfigur für die Partei ist nicht in Sicht.
Trump scherzte einst: «Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschiessen, und ich würde keine Wähler verlieren.» Diese Aussage von 2016 hallt nach der Kapitol-Attacke auf besondere Weise nach. Wer dachte, dass sich Trump durch den Gewaltausbruch bei seiner Basis für jedes politische Amt disqualifiziert haben müsste, der hat sich geirrt.
«Schandfleck für unsere Geschichte»
Trumps Muster – ein Wahlergebnis im Voraus anzuzweifeln für den Fall eines unliebsamen Resultats – wurde bereits anderswo kopiert, etwa bei einer Abstimmung über das Gouverneursamt in Kalifornien vor einigen Monaten. Ist das die neue amerikanische Realität?
Nach dem Sturm auf das Kapitol gab es Hunderte Ermittlungsverfahren und Anklagen gegen jene, die sich an der Attacke beteiligten. Parallel wurde ein Untersuchungsgremium im Repräsentantenhaus eingerichtet, um die Hintergründe aufzuklären. Der Ausschuss ist Gegenstand politischer und juristischer Kämpfe. Mehrere frühere Mitarbeiter Trumps verweigern dem Gremium Auskünfte. Dennoch kommen nach und nach neue Details rund um die Attacke ans Licht.
Inzwischen ist klar, wie viele Warnungen es vorab gab, wie viele Anzeichen hinter den Kulissen ein Desaster erahnen liessen, ohne dass der hochgerüstete US-Sicherheitsapparat die nötigen Vorkehrungen traf. Inzwischen ist klar, wie viele Trump-Getreue, selbst aus seinem engsten Umfeld, versuchten, den damaligen Präsidenten zu bewegen, einzuschreiten und die Gewalt zu beenden – ohne Erfolg.
Klar ist auch, dass jener Tag das Selbstverständnis der USA angekratzt und ihr Aussenbild beschädigt hat. Gonell formulierte es so: «Es ist ein Schandfleck für unsere Geschichte und unser moralisches Ansehen im In- und Ausland.»