Vom Gejagten zum JägerUncle Sam schenkt Afghanistans Taliban tonnenweise Material
Von Philipp Dahm
8.7.2021
Das US-Militär verlässt Bagram, ohne es dem neuen Kommandanten zu sagen. Zurück lässt es Material, das nun auch den Taliban in die Hände fällt. Allein im Juni waren es 33 Artillerie-Geschütze und 738 Trucks und Jeeps.
Von Philipp Dahm
08.07.2021, 15:56
08.07.2021, 16:17
Philipp Dahm
Als erst die Briten und dann die Amerikaner vor 20 Jahren den Flughafen von Bagram besetzen, steckt der Einsatz noch in den Kinderschuhen: Von insgesamt nur 4000 US-Soldaten im Land sichern 3000 den Flughafen von Kandahar und 500 den von Bagram.
Doch das ist bloss der Anfang. In den folgenden Jahren wird der Stützpunkt zu seiner eigenen Kleinstadt – mit Läden, Cafés und zuweilen sogar Stau. Die Landebahnen und Kasernen werden ausgebaut, sodass 2009 10'000 Soldaten dort versorgt werden können. Das Gefängnis, das im selben Jahr fertiggestellt wird, hat Platz für bis zu 3000 Feinde.
Auf dem Höhepunkt der Afghanistan-Kampagne sind bis zu 30'000 Soldaten aus aller Nato Länder in Bagram stationiert – eine enorme Aufgabe für die Logistik. Um den Betrieb zu gewährleisten, braucht es nicht nur Kanonen zum Schutz, sondern beispielsweise auch ganz normale Jeeps für die Versorgung.
USA unterrichten neuen Kommandeur nicht vom Abzug
Und heute? Ist das Licht in Bagram aus. Den Stützpunkt nutzt zwar nach wie vor die afghanische Armee, doch die früheren Hausherren haben sich verkrümelt, ohne Lebewohl zu sagen. Nach 20 Jahren haben die letzten US-Soldaten Bagram nachts verlassen und den Strom abgestellt, ohne den neuen lokalen Kommandeur zu informieren, weiss USA Today.
Tonnen von Material lassen Amerikaner und Verbündete dabei zurück, wie Bilder vom ersten Tag zeigen, an dem Bagram unter dem Kommando des afghanischen Generals Mir Asadullah Kohistani steht. Und während Fahrzeuge und Waffen hier in der Hand der Regierungstruppen bleiben, fallen sie anderswo zu Hunderten in die Hand derjenigen, die zuvor gegen sie gekämpft haben.
Bey bye Bagram
Dieser afghanische Soldat in Bagram spielt am 5. Juli 2021 den Blues, nachdem die Amerikaner den Stützpunkt nach 20 Jahren...
Bild: Keystone
... verlassen haben, nachdem zuvor bereits die Sowjets den Flughafen genutzt hatten. Bis zu 30'000 Soldaten hat das Camp einst berherbergt.
Bild: EPA
Mehr als 100'000 US-Soldaten sind über Bagram ins Land - und wieder hinausgekommen: Fortan müssen die Afghanen alleine für die Sicherheit des Stützpunkts sorgen.
Bild: Keystone
«Fun» fact: Die Amerikaner haben dem neuen Kommandeur der Basis nichts davon erzählt, dass sie weg sind. General Mir Asadullah Kohistani (im Bild) und seine Männer bemerkten erst nach rund zwei Stunden, dass die GIs ausgeflogen sind.
Bild: Keystone
Was bleibt, ist tonnenweise Material. Zum einen verbaut in Starbahn und Baracken, aber auch in mobiler Form, wie dieser Fuhrpark zeigt.
Bild: Keystone
Auch Busse, ein Kran nd ein Feuerwehr-Truck bleiben in Afghanistan: Der Rücktransport übersteigt einen Verkaufswert bei Weitem.
Bild: Keystone
«Niemand wird zurückgelassen« – ausser beispielsweise schweres Gerät oder Army-Humvees.
Bild: EPA
Liegengebliebene Mine Resistant Ambush Protection Fahrzeuge, in der Bagram-Basis.
Bild: EPA
Ein afghanischer Soldat sucht nach Brauchbarem in den Hinterlassenschaften der GIs.
Bild: EPA
Vor dem Stützpunkt sucht ein Afghane Schatten hinter schwerem Gerät.
Bild: Keystone
Ein Mann durchsucht den Schrotthaufen nach Verwertbarem.
Bild: EPA
Bey bye Bagram
Dieser afghanische Soldat in Bagram spielt am 5. Juli 2021 den Blues, nachdem die Amerikaner den Stützpunkt nach 20 Jahren...
Bild: Keystone
... verlassen haben, nachdem zuvor bereits die Sowjets den Flughafen genutzt hatten. Bis zu 30'000 Soldaten hat das Camp einst berherbergt.
Bild: EPA
Mehr als 100'000 US-Soldaten sind über Bagram ins Land - und wieder hinausgekommen: Fortan müssen die Afghanen alleine für die Sicherheit des Stützpunkts sorgen.
Bild: Keystone
«Fun» fact: Die Amerikaner haben dem neuen Kommandeur der Basis nichts davon erzählt, dass sie weg sind. General Mir Asadullah Kohistani (im Bild) und seine Männer bemerkten erst nach rund zwei Stunden, dass die GIs ausgeflogen sind.
Bild: Keystone
Was bleibt, ist tonnenweise Material. Zum einen verbaut in Starbahn und Baracken, aber auch in mobiler Form, wie dieser Fuhrpark zeigt.
Bild: Keystone
Auch Busse, ein Kran nd ein Feuerwehr-Truck bleiben in Afghanistan: Der Rücktransport übersteigt einen Verkaufswert bei Weitem.
Bild: Keystone
«Niemand wird zurückgelassen« – ausser beispielsweise schweres Gerät oder Army-Humvees.
Bild: EPA
Liegengebliebene Mine Resistant Ambush Protection Fahrzeuge, in der Bagram-Basis.
Bild: EPA
Ein afghanischer Soldat sucht nach Brauchbarem in den Hinterlassenschaften der GIs.
Bild: EPA
Vor dem Stützpunkt sucht ein Afghane Schatten hinter schwerem Gerät.
Bild: Keystone
Ein Mann durchsucht den Schrotthaufen nach Verwertbarem.
Bild: EPA
Die weissen Pick-up-Trucks und Jeeps sind dabei noch das geringste Problem: Von Handfeuerwaffen über Maschinengewehre bis hin zu grossen Geschützen reicht die Liste der Relikte des US-Militärs, die in den Händen der Taliban landen, kaum dass die GIs abgerückt sind.
738 Fahrzeuge für die Taliban – alleine im Juni
Der von zwei Niederländern betriebene Blog Oryx hat etwa nachgezählt, dass das afghanische Militär 3 Flugabwehr-Kanonen, 33 Artillerie-Geschütze und 738 Trucks und Jeeps an die Taliban verloren hat. Und das allein im Juni 2021!
Und die ungewollte Aufrüstung der Taliban ist immer noch im Gang: Der britische Sender Sky News durfte im Juli den Stützpunkt Sultan Khil in der Provinz Wardak eine Autostunde westlich von Kabul besuchen, den die Islamisten nach zwei Tagen Kampf erobert haben – nicht nur ein Erfolg wegen der strategischen Lage, sondern auch wegen des Materials in der Kaserne.
Stolz zeigen die Taliban entsprechende Container vor: Nach ihren Angaben haben sie 15 Militär-Trucks, 20 Armee-Pick-ups, 30 Humvees, 70 Scharfschützen-Gewehre und 900 weitere Gewehre eingesackt, als sie den Stützpunkt eingenommen haben. Andere Container enthalten Satelliten-Telefone, Computer, Granaten und weitere Munition – markiert mit «Property of US Government».
Nackte Angst
Dank des ungewollten Nachschubs durch die Amerikaner machen sich die Taliban weiter daran, in das Machtvakuum vorzustossen, das deren Abzug hinterlässt: Ein Drittel der afghanischen Provinzen soll bereits wieder in der Hand der Extremisten sein, die ihre militärischen Erfolge auf Social Media psychologisch ausschlachten.
Weil die Regierung in Kabul auch den aktuellen militärischen wie medialen Vorstössen nichts entgegenzusetzen zu haben scheint, hat Foreign Policy bereits verkündet, die Taliban schickten sich an, «den verbalen Krieg zu gewinnen». Die Folge: nackte Angst. Eine ganze «Generation von Fachkräften flieht», weiss das «Wall Street Journal». Frauen sind ganz besonders gefährdet.
Afghanistans Frauen in Sorge
Afghanische Frauen in Sorge: Mit dem Abzug der Amerikaner steigt die Gefahr, dasds die Taliban zurückkommen. Dann wäre ausgeschlossen, dass Zohal Bayat wie hier im September 2020 für die afghanische Bowling-Nationalmannschaft trainiert.
Bild: EPA
Damit ist für Frauen auch die Freiheit bedroht, arbeiten zu können. Inwzischen sind sie sowohl in der Undustrie angestellt wie hier in einer Glace-Fabrik in Herat – oder sie verdienen...
Bild: EPA
... ihr Geld in der Landwirtschaft wie hier bei der Safran-Ernte ebenfalls in Herat. Nicht zuletzt steht es ihnen noch offen,...
Bild: EPA
... dem afghanischen Militär beizutreten. Das alles wird überall dort der Vergangenheit angehören, wo die Taliban einfallen.
Bild: EPA
Afghanische Aktivistinnen wie Mahbouba Seraj warnen schon seit dem Frühjahr vor solchen Szenarien – und haben die Weltgemeinschaft aufgefordert, zu handeln, falls die Taliban erneut Frauen ins Visier nehmen.
Bild: Keystone
Ein Kampfsport-Dojo für Frauen in Kabul: Auch solche Angebot würden auf der Kippe stehen, wenn die Taliban das Sagen hätten.
Bild: AP
Bildungsangebote wie dieses in Herat, in dem Frauen das Schneiderhandwerk erlernen, würde von den Taliban ebenfalls beerdigt werden.
Bild: EPA
Es gibt auch den Wunsch, zurückzuschlagen: Im Norden und im Zentrum des Landes gehen Anfang Juli Frauen mit Waffen auf die Strasse, um ihren Willen zum Widerstand gegen die Islamisten zu demonstrieren.
Bild: AP
Andere versuchen, das Land zu verlassen: Hier sammeln sich Frauen am 30. Juni vor einer Ausgabestelle für Pässe in Kabul.
Afghanistans Frauen in Sorge
Afghanische Frauen in Sorge: Mit dem Abzug der Amerikaner steigt die Gefahr, dasds die Taliban zurückkommen. Dann wäre ausgeschlossen, dass Zohal Bayat wie hier im September 2020 für die afghanische Bowling-Nationalmannschaft trainiert.
Bild: EPA
Damit ist für Frauen auch die Freiheit bedroht, arbeiten zu können. Inwzischen sind sie sowohl in der Undustrie angestellt wie hier in einer Glace-Fabrik in Herat – oder sie verdienen...
Bild: EPA
... ihr Geld in der Landwirtschaft wie hier bei der Safran-Ernte ebenfalls in Herat. Nicht zuletzt steht es ihnen noch offen,...
Bild: EPA
... dem afghanischen Militär beizutreten. Das alles wird überall dort der Vergangenheit angehören, wo die Taliban einfallen.
Bild: EPA
Afghanische Aktivistinnen wie Mahbouba Seraj warnen schon seit dem Frühjahr vor solchen Szenarien – und haben die Weltgemeinschaft aufgefordert, zu handeln, falls die Taliban erneut Frauen ins Visier nehmen.
Bild: Keystone
Ein Kampfsport-Dojo für Frauen in Kabul: Auch solche Angebot würden auf der Kippe stehen, wenn die Taliban das Sagen hätten.
Bild: AP
Bildungsangebote wie dieses in Herat, in dem Frauen das Schneiderhandwerk erlernen, würde von den Taliban ebenfalls beerdigt werden.
Bild: EPA
Es gibt auch den Wunsch, zurückzuschlagen: Im Norden und im Zentrum des Landes gehen Anfang Juli Frauen mit Waffen auf die Strasse, um ihren Willen zum Widerstand gegen die Islamisten zu demonstrieren.
Bild: AP
Andere versuchen, das Land zu verlassen: Hier sammeln sich Frauen am 30. Juni vor einer Ausgabestelle für Pässe in Kabul.
«Sie werden uns abschlachten», sagt ein afghanischer Übersetzer dem US-Sender CBS. Die Taliban hätten seine Familie bewusst aufgesucht und seinen Vater bei der Flucht erschossen. 60'000 bis 70'000 Menschen will Washington deshalb noch evakuieren.
Russland und China alarmiert
Auch aussenpolitisch kommt durch das Taliban-Comeback einiges in Bewegung: Rund 1000 afghanische Soldaten sind vor den Islamisten ins benachbarte Tadschikistan geflohen. Duschanbe hat daraufhin per Teil-Mobilisierung 20'000 Soldaten aufgeboten, die nach dem Kollaps auf der afghanischen Seite die Grenze stabilisieren sollen.
Russland, das in Tadschikistan eine Militärbasis unterhält und keinerlei Interesse daran hat, dass aus dem Süden islamistische Kämpfer eigene muslimische Minderheiten fanatisieren, hat Duschanbe bereits Schützenhilfe versprochen: Gerade erst haben russische Kampfhelikopter Manöver im Gebiet abgehalten, so die Nachrichtenagentur Reuters.
Peking wiederum will nicht, dass Erfolge der Taliban nun der Islamischen Ost-Turkestan-Partei ebenfalls Auftrieb verleihen: Das ist die «Terrorgruppe, die China am meisten fürchtet», ordnet «Asia Times» die Bewegung ein, die Freiheit für Ost-Turkestan alias Xinjiang fordert.
Peking will jegliche Loslösung der Uiguren-Provinz unbedingt verhindern – und soll den Taliban sogar «Frieden gegen Entwicklung» angeboten haben, solange die Afghanen die Muslime in Xinjiang nicht unterstützen.
Doch die Islamisten stellen stattdessen neu erkämpftes Selbstbewusstsein unter Beweis: Alle ausländischen Truppen müssten das Land räumen, fordern sie. So bald wird Afghanistan seinen Ruf, ein Pulverfass zu sein, nicht verlieren.