Kriegsdienst wider WillenUkrainisches Kommando macht Jagd auf wehrpflichtige Männer
Jenny Keller
26.7.2024
Während der Krieg im Osten der Ukraine unvermindert wütet, wächst der Druck auf ukrainische Männer im wehrfähigen Alter. Die Rekrutierungsbehörden wollen die Reihen der Streitkräfte auffüllen.
Jenny Keller
26.07.2024, 23:38
Jenny Keller
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Rekrutierungsbehörden in Kiew rekrutieren Männer im wehrfähigen Alter für den Krieg im Osten der Ukraine.
Viele Männer erhalten Vorladungen und stehen unter erheblichem Druck, sich im Rekrutierungszentrum zu melden.
Kriegsverweigerer führen religiöse und persönliche Gründe gegen die Dienst an.
Trotz der notwendigen Massnahmen zur Verteidigung bleibt die Frage, ob und wann Militarisierung zu einem dauerhaften Frieden führen kann.
Da die «Ressource Mensch» aufgrund vieler Verluste im Krieg gegen russische Truppen langsam knapp wird, sucht die ukrainische Rekrutierungsbehörde intensiv nach Verstärkung für die Kämpfe in der Ostukraine.
Ein Reporterteam von «Spiegel TV» begleitete eine Streife der Rekrutierungsbehörde bei ihrer Arbeit in Kiew. Unterstützt von der Polizei, suchen die Beamt*innen gezielt nach Kriegsverweigerern.
«Wir sind vom Rekrutierungszentrum. Zeigen Sie uns bitte Ihren Militärausweis», fordert einer der Beamten einen Passanten auf. Der Mann erklärt, dass er seinen Militärausweis nicht bei sich habe. «Ich habe eine andere Militärbescheinigung», erklärt er. Diese ist jedoch abgelaufen.
Fahndung nach Kriegsverweigerern
«Sie müssen in das Rekrutierungszentrum gehen und das aktualisieren lassen», wird ihm mitgeteilt. Der Druck auf Männer im wehrfähigen Alter ist gross. Viele von ihnen wurden zuletzt vor Jahren oder sogar Jahrzehnten registriert, ihre Papiere sind veraltet.
Ukrainische Rekrutierungsbehörde sucht in Kiew Männer im wehrfähigen Alter
Ein Beamter der Rekrutierungsbehörde hält einen Passanten an und fordert ihn auf, seinen Militärausweis vorzuzeigen. Der Mann hat keinen gültigen Ausweis, erhält deshalb eine Vorladung für die Rekrutierungsbehörde und wird gewarnt, dass er auf die Fahndungsliste gesetzt wird, falls er sich nicht meldet.
Quelle: Spiegel TV
26.07.2024
«Den Empfang müssen Sie quittieren. Wenn Sie die Vorladung ablehnen, werden Sie auf die Fahndungsliste gesetzt», erklärt der Beamte weiter. Der Mann, der zuletzt 2005 vom Militär registriert wurde, erhält eine Vorladung ins Rekrutierungszentrum.
Noch gibt es in der Ukraine keine Generalmobilmachung, aber alle Männer im Alter zwischen 25 und 60 Jahren können theoretisch für den Dienst an der Front herangezogen werden.
«Guten Tag, wie alt sind Sie?», fragt ein Beamter einen weiteren Passanten. «52», antwortet dieser und zeigt seine Papiere. «Sie werden von uns eine Vorladung ins Rekrutierungszentrum bekommen, damit Sie sich registrieren können.» Nicht alle Männer zeigen sich kooperativ. Der Mann sagt, er sei Mitglied der Zeugen Jehovas, verweigere aus religiösen Gründen den Dienst an der Waffe.
«Wer zu den Waffen greift, wird sterben»
«Wie Jesus Christus sagte: Wer zu den Waffen greift, wird durch sie sterben», erklärt er. «Aber wie kann ich gegen meine Brüder in den Krieg ziehen, die vielleicht auch Zeugen Jehovas sind?» Ob er freigestellt oder eingezogen wird, entscheidet letztlich die Behörde.
Im Rekrutierungsbüro der dritten Sturmbrigade in Kiew ist der Krieg allgegenwärtig. Hier melden sich täglich etwa 30 Freiwillige. «Unsere Brigade ist ständig in Kampfhandlungen verwickelt», erklärt Kommandeur und Rekrutierer Rusin.
«Unsere Leute werden verwundet, verstümmelt oder sterben. Deshalb müssen wir unsere Reihen immer wieder auffüllen.» Die Soldaten, die hier die Freiwilligen registrieren, haben selbst im Kampf Arme oder Beine verloren und helfen nun am PC.
Über zehn Prozent Frauen unter den Freiwilligen
Die Brigade hat einen legendären Ruf, was viele Interessenten anzieht. «Was würdest du gerne machen?», fragt ein Kommandant einen jungen Freiwilligen. «Drohnenpilot», antwortet dieser. «Weil ich seit meiner Kindheit Computerspiele spiele.» Er erklärt, dass in den zweieinhalb Jahren Krieg seine Angst viel grösser war als jetzt, wo er aktiv «etwas tun kann», statt abzuwarten.
Unter den Freiwilligen sind nicht nur Männer, etwa 10 bis 15% sind Frauen. Eine von ihnen ist die 20-jährige Irina. «Ich habe einen Abschluss als Köchin und denke, das ist eine gute Fähigkeit, um zu helfen», sagt sie.
Währenddessen setzen die Rekrutierungsbehörden ihre Suche nach Kriegsverweigerern fort. «Ich habe keine Dokumente dabei, alles ist zu Hause», behauptet ein weiterer Passant, der sich der Überprüfung auf einer Strasse in Kiew entziehen will.
Kritik an der erzwungenen Beteiligung
«Das ist eine erzwungene Beteiligung am Krieg», findet er. «Ich habe nicht gedient, ich habe keinen Militärausweis, ausserdem bin ich vorbestraft.» Doch am Ende unterschreibt auch dieser Mann die Vorladung, möglicherweise aus Angst vor weiteren Schwierigkeiten.
Die Arbeit der Rekrutierungsbehörden sei notwendig, damit die Ukraine diesen Krieg nicht verliere. Und trotzdem hoffen viele, dass Diplomatie und Verhandlungen bald den Kampf ersetzen, um weiteren menschlichen Verlusten vorzubeugen.
Mehr Videos zum Thema
Militärbeobachter: Russen rücken in der Ukraine weiter vor
Rückschlag für die Ukraine im Verteidigungskampf gegen Russland: Im Osten des Landes machen die russischen Streitkräfte laut Militärbeobachtern Geländegewinne – aber nicht nur dort sind sie auf dem Vormarsch. Auch in der Stadt Kupjansk im nordöstlichen Gebiet Charkiw stehen die Verteidiger unter Druck. Der ukrainische Generalstab bestätigt einen russischen Vorstoss. Noch kann der Angriff aber in grossen Teilen abgewehrt werden. Das Gebiet war im Herbst 2022 im Zuge einer ukrainischen Gegenoffensive nach gut fünf Monaten Besatzung befreit worden.
Die ukrainische Flugabwehr berichtet am Donnerstag zudem von 59 nächtlichen Drohnenangriffen aus der russischen Grenzregion Kursk.
14.11.2024
Russische Raketenangriffe auf Kiew
STORY: Luftalarm in der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Mittwochmorgen. Die Stadt ist erstmals seit August wieder mit Raketen beschossen worden. Die Behörden riefen die Bevölkerung auf, Schutzräume aufzusuchen. Die Stadtverwaltung warnte die Bürgerinnen und Bürger vor Explosionen im Stadtgebiet. Dem Raketenangriff sei ein Angriff mit Drohnen vorausgegangen, hiess es. Viele Menschen in Kiew suchten in einer U-Bahn-Station Schutz. «Es ist furchtbar, jedesmal, wenn es hier einen Raketenangriff gibt. Wir haben uns an die Drohnenangriffe gewöhnt, wenn das überhaupt möglich ist. Aber sie fliegen jede Nacht. Die Region Kiew leidet immer. Kinder können nicht zur Schule gehen, wenn Drohnen fliegen. Und wenn es Raketenangriffe gibt, suchen wir Schutz.» Die ukrainische Luftwaffe teilte mit, dass die Luftverteidigung zwei ankommende Marschflugkörper, zwei ballistische Raketen und 37 Drohnen im ganzen Land abgefangen habe. In Kiew wurden keine Opfer oder grösseren Schäden gemeldet. Unterdessen traf sich US-Aussenminister Antony Blinken in Büssel mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Es wird erwartet, dass Blinken in Brüssel darüber sprechen wird, wie die Verbündeten der USA eine wichtigere Rolle bei der Unterstützung der Ukraine übernehmen können. Der designierte US-Präsident Donald Trump hatte die künftige militärische Unterstützung der Ukraine infrage gestellt.
14.11.2024
Militärischer Beistand: Nordkorea ratifiziert Abkommen mit Russland
STORY: Nach Russland hat auch Nordkorea ein strategisches Verteidigungsabkommen beider Länder ratifiziert. Das meldet die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA. Das Abkommen verpflichtete beide Länder, sich im Falle eines Angriffs einer dritten Partei gegenseitig militärische Hilfe zu leisten. Der Pakt trete in Kraft, wenn beide Seite die Ratifizierungsurkunden austauschen würden, meldete das staatliche koreanische Fernsehen. Der russische Präsident Wladimir Putin und Nordkoreas Machthabe Kim Jong Un hatten das Abkommen im Juni auf den Weg gebracht. Kim sprach damals von einem Schritt, der die bilateralen Beziehungen zu einer Art «Allianz» aufwerte. Hintergrund dürfte auch der russische Angriffskrieg in der Ukraine sein. Nordkorea hat nach westlichen Geheimdienstangaben bereits 10.000 Soldaten nach Russland entsandt. Sie könnten Teil einer Offensive in der russischen Region Kursk werden. Das ukrainische Militär hat dort nach einem Vorstoss im Spätsommer Gebiete unter seine Kontrolle gebracht.
13.11.2024
Militärbeobachter: Russen rücken in der Ukraine weiter vor
Russische Raketenangriffe auf Kiew
Militärischer Beistand: Nordkorea ratifiziert Abkommen mit Russland