Todgeweihte in Mariupol Ukraine will auch letzte Kämpfer aus Azovstal-Fabrik holen

AP/tpfi

18.5.2022

Ein verwundeter ukrainischer Soldat sitzt auf einer Liege, von der nur noch das Drahtgestell übrig ist.
Ein verwundeter ukrainischer Soldat sitzt auf einer Liege, von der nur noch das Drahtgestell übrig ist.
Bild: Keystone

Mehr als 260 ukrainische Kämpfer haben sich den Russen ergeben und sollen im Tausch gegen russische Kriegsgefangene wieder freikommen. Auch um ihre restlichen Kameraden aus dem Stahlwerk wird verhandelt. Doch nicht alle sind mit dem Gefangenenaustausch einverstanden.

AP/tpfi

18.5.2022

Nach monatelanger russischer Belagerung ist ein Ende des symbolisch und strategisch wichtigen Kampfes um das Azovstal-Stahlwerk in der ukrainischen Stadt Mariupol näher gerückt. In der Nacht wurden mehr als 260 ukrainische Kämpfer aus dem Werk in russisch-kontrolliertes Gebiet gebracht, wie beide Seiten bestätigten. Moskau sprach von einer Massenkapitulation, während Kiew erklärte, die Soldaten hätten ihren Auftrag erfüllt. Sie sollten gegen russische Kriegsgefangene ausgetauscht werden.

Am Dienstag wurde weiter darüber verhandelt, ob und unter welchen Bedingungen auch die restlichen Kämpfer aus dem Werk freikommen sollen. Wie viele das noch sind, war unklar.

«Die Ukraine braucht ukrainische Helden lebend»

Das weitläufige Azovstal-Gelände war die letzte Bastion des ukrainischen Widerstands in der russisch besetzten Hafenstadt im Süden des Landes. Bringt Moskau es unter seine Kontrolle, wäre das der bisher grösste militärische Erfolg in dem seit fast drei Monaten schleppenden verlaufenden Angriffskrieg in der Ukraine. Ausserdem würden dadurch Truppen frei, die an anderen Fronten eingesetzt werden könnten, wo sie dringend benötigt werden. Die Ukraine wiederum könnte Kämpfer, die in den vergangenen, entbehrungsreichen Monaten zu Helden des Widerstands geworden waren, lebend aus einer ausweglosen Lage herausholen und das ebenso als Erfolg verbuchen.

«Die Ukraine braucht ukrainische Helden lebend», sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner nächtlichen Ansprache. «Das ist unser Prinzip.»

Das von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Bild soll einen Krankenwagen mit verwundeten ukrainischen Soldaten in Mariupol zeigen.
Das von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Bild soll einen Krankenwagen mit verwundeten ukrainischen Soldaten in Mariupol zeigen.
Bild: Alexey Kudenko/Sputnik/dpa

Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar teilte mit, von 264 Kämpfern aus dem Werk seien 53 Schwerverwundete in eine Klinik in der Stadt Nowoasowsk gebracht worden, der Rest über einen humanitären Korridor in das vom russischen Militär besetzte Oleniwka. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sprach von 265 Evakuierten und 51 Schwerverletzten.

Hoffnung auf Gefangenenaustausch

In einem vom Ministerium veröffentlichten Video war zu sehen, wie russische Soldaten die unbewaffneten Ukrainer durchsuchten, bevor diese in Busse stiegen. Einige mussten auf Bahren getragen werden.

Dieses von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt eine Nahaufnahme des östlichen Endes des Stahlwerks Azovstal in Mariupol. 
Dieses von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt eine Nahaufnahme des östlichen Endes des Stahlwerks Azovstal in Mariupol. 
Bild: Uncredited/Maxar Technologies/AP/dpa

Maljar, die ukrainische Vizeverteidigungsministerin, lobte die Verteidiger von Mariupol. Dank ihnen habe die Ukraine enorm wichtige Zeit gewinnen können, um Reserven aufzubauen, Truppen umzugruppieren und sich Hilfe von Partnern zu holen. «Und sie haben all ihre Aufgaben erfüllt.» Mit militärischen Mitteln die Blockade des Azovstal-Werks zu lösen, sei jedoch unmöglich. Man arbeite nun auf einen Gefangenenaustausch hin, damit die ukrainischen Kämpfer nach Hause zurückkehren könnten. Zudem gebe es Bemühungen um eine Rettung der im Werk verbliebenen Verteidiger, ergänzte Maljar.

Der Vorsitzende des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, stellte sich aber gegen einen Austausch aller Kämpfer aus dem Stahlwerk. Einige von ihnen seien Kriegsverbrecher, die vor Gericht gestellt werden müssten, sagte er.