US-Konservative pilgern zu Orban Darum sendet der Fox-News-Star plötzlich aus Ungarn

Von Philipp Dahm

6.8.2021

Tucker Carlson lässt sich Anfang August die ungarische Grenze zu Serbien zeigen.
Tucker Carlson lässt sich Anfang August die ungarische Grenze zu Serbien zeigen.
Screenshot: Youtube

Fox-News-Star Tucker Carlson sendet aus Ungarn. Morgen soll er eine Rede bei einer ominösen Stiftung halten, der Victor Orban gerade 1,5 Milliarden Franken zugeschustert hat, um eine nationalistische Elite zu züchten, wie Kritiker befürchten.

Von Philipp Dahm

Tucker Carlson ist das Aushängeschild des konservativen Senders Fox News: Er sorgt einerseits für die besten Quoten – und andererseits immer wieder für Kontroversen. Etwa wenn er gegen die Corona-Impfung wettert, den Sturm aufs Kapitol verharmlost und den Klimawandel leugnet. Der erste Fakt wäre ohne letzteren aber wohl nicht möglich.

In dieser Woche sendet der 52-Jährige aber nicht wie gewohnt aus Washington, sondern aus Europa – genauer gesagt aus Budapest. Der Grund: Der Amerikaner hat Ungarns populistischen Premier Victor Orban getroffen, moderiert Tucker Carlson Tonight von der Hauptstadt aus und wird am Wochenende bei einem Treffen sprechen – über The World According to Tucker Carlson.

Die Veranstaltung wird vom Mathias Corvinus Collegium (MCC) organisiert: Wer auf der deutschen Wikipedia-Seite über die ungarische Organisation nachliest, erfährt, dass es sich um ein Fachkollegium handelt, das «kostenfreie und für die ganze Gesellschaft nützliche Bildungsmöglichkeiten für besonders begabte Schüler, Studenten und Akademiker anbietet».

Das MCC sei eine «angesehene interdisziplinäre Denkfabrik» und Teil der «europäischen Wissenschaftslandschaft», heisst es weiter.  Auf der Website des MCC Feszt tönt es ähnlich himmlisch: «MCC fängt da an, wo die traditionelle Bildung endet: Unsere Programme gehen über das konventionelle Schulsystem hinaus und vermitteln Wissen, die unsere Studenten in ihren eigenen Bildungsinstitutionen nutzen können.»

Übergross: Fox-News-Aushängeschild Tucker Carlson auf einem Plakat vor dem Sender in New York. 
Übergross: Fox-News-Aushängeschild Tucker Carlson auf einem Plakat vor dem Sender in New York. 
Archivbild: EPA

Ein erstes Indiz, dass das MCC mehr ist als nur ein hehres Projekt zur geistlichen Erziehung, findet sich kurz darauf: Das Institut bietet in 14 Städten in Ungarn seine Programme an. In der Pannonischen Tiefebene ist das MCC sogar in 23 Städten vertreten, «was in den nächsten fünf Jahren auf 35 von Ungarn bewohnte Städte im Karpatenbecken ausgedehnt werden wird».

Nationale Agenda

Sprich: Das Engagement geht über die Grenzen hinaus. Zum Beispiel in der zweitgrössten Stadt Rumäniens, in der 19 Prozent der Bürger ungarischer Abstammung sind: Der neue Kurs dort habe eine Rekordzahl von Bewerbern, freute sich kürzlich die Organisation. Das wirft die Frage auf: Hat das MCC eigentlich auch eine nationale Agenda?

Ein grösseres Ungarn – in hellgrün die Pannonische Tiefebene alias Karpatenbecken. Im Osten von Ungarn in Siebenbürgen liegt Cluj-Napoca.
Ein grösseres Ungarn – in hellgrün die Pannonische Tiefebene alias Karpatenbecken. Im Osten von Ungarn in Siebenbürgen liegt Cluj-Napoca.
Karte: Google Maps

Sie ist zumindest auf dem Weg dorthin, mahnen Kritiker. Der Grund: Dank Victor Orbans Partei Fidesz hat das MCC gerade eine Finanzspritze bekommen, die sich sehen lassen kann: Der Organisation wurden staatliche Vermögenswerte in Höhe gut 1,5 Milliarden Franken überschrieben – mehr als das gesamte Bildungsbudget des Landes.

Die Summe entspricht rund 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – und fungiert als «Lebensversicherung» für Orban und Co, befürchtet die Oppositionelle Bernadett Szel. Staatsgelder würden in «ideologisch orientierte Kreise» transferiert, warnt sie in der «New York Times»: «Sie tun so, als sei das im öffentlichen Interesse, aber tatsächlich stehlen sie.»

Orban-Fan Tucker Carlson

Zumindest ist nun klar, woher das Geld kommt, um einen Redner wie Tucker Carlson zu bezahlen, der ein ordentliches Sümmchen für seinen Besuch einstreichen dürfte. Andererseits liegt der Sohn aus gutem Hause ganz auf der Linie von Ungarn Orban: Oft genug hat der Amerikaner die Politik des Premiers in den höchsten Tönen gelobt.

So lobte Carlson schon früher die teilweise rigorosen Massnahmen in Budapest, die von einer Gleichschaltung der Presse und vom Besetzen wichtiger Posten mit treuen Gefolgsleuten bis hin zur nationalistischen Agenda gehen, die die Fidesz installiert hat.

«Vorbild für den Westen»: Carlson zum «Chaos» an der mexikanischen Grenze – und dem Gegenteil in Ungarn, wie es der Moderator ausdrückt.

Zum Beispiel lobte Carlson schon vor Jahren die Familienpolitik Ungarns, die kinderreichen Familien grosszügige Boni gewährt, während Fremde kriminalisiert werden, wie an einem Grenzzaun und der milizartigen Bewachung zu erkennen ist.

Wer ist hier demokratisch?

Für Carlson ist das alles vorbildlich für seine Heimat, wie er unter der Woche wieder gezeigt hat. Was er sehe, sei das Gegenteil vom «Chaos an der mexikanischen Grenze», postuliert der zweifache Buchautor. Dabei habe Ungarn viel weniger Mittel: «Alles, was es braucht, ist der Wille, es zu tun.»

«Man muss ein Land verteidigen»: Carlson im Gespräch mit Premier Victor Orban.

Auch die Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, gefällt dem Gast. «‹Es ist autoritär, sie sind faschistisch ...› Es gibt viele Lügen, die gerade erzählt werden, aber das könnte die grösste von allen sein.» Die amerikanische Elite habe sich gegen das eigene Volk gestellt – während Orban «für die Demokratie kämpft», findet der Fox-News-Frontmann. Was unter den Tisch fällt: Das neue Grenz-Regime hat Budapest bisher 1,36 Milliarden Franken gekostet.

In Ungarn selbst ist die Begeisterung für den Landesvater mittlerweile Ernüchterung gewichen. Auch frühere Weggefährten haben sich abgewendet – und so wie es aussieht, wird die Fidesz ihre absolute Mehrheit bei den Wahlen 2022 nicht halten können. Deshalb auch der Geldregen für das MCC, glauben Orbans Kritiker.

Ungarn als Vorbild für amerikanische Rechtsaussen

Das MCC ist nur eine von 32 konservativen Stiftungen und Denkfabriken, die im vergangenen Jahr mit Staatsgeldern von 3,18 Milliarden Franken ausgestattet worden sind, schreibt die «New York Times». An deren Spitze werden jeweils Getreue Orbans gesetzt: Eine Frau ist nicht darunter. Das MCC soll nun eine neue rechtskonservative Elite von Intellektuellen ausbilden, befürchten Unabhängige.

Orban, hier am 13. Mai 2019 mit Donald Trump in Washington, rechnet mit einer Einmischung der «internationalen Linken» in die Parlamentswahlen im April. «Aber wir sind vorbereitet.»
Orban, hier am 13. Mai 2019 mit Donald Trump in Washington, rechnet mit einer Einmischung der «internationalen Linken» in die Parlamentswahlen im April. «Aber wir sind vorbereitet.»
AP

Auf diesem Wege verankert Orban sein System – sodass auch eine etwaige Abwahl im kommenden April kein Problem wäre. «Das ganze System ist auf den ideologischen Wechsel ausgerichtet», erklärt der Oppositionelle Istvan Hiller. «Der Effekt wird noch Dekaden andauern.»

Und Tucker Carlson? Der sieht den ungarischen Weg als Option für die USA, glaubt das «New York Magazine»: «Ungarns demokratische Abkehr verlief langsam und graduell. Auch jetzt bewahrt es den äusseren Anschein einer Demokratie, aber ohne ihre liberalen Eigenschaften. Wenn Amerika aufhört, demokratisch zu sein, wird es wohl einem ähnlichen Pfad folgen wie Orban.»

Zumindest auf die Anhänger des Trumpismus, die aus einem versuchten Umsturz eine Bagatelle machen wollen, trifft das wohl zu.