Late Night USA Texas und die «erbärmlichen Ausreden unserer Politiker»

Von Philipp Dahm

27.5.2022

Von links: Ken Paxton, Ted Cruz, Lauren Boebert und Moderator Seth Meyers.
Von links: Ken Paxton, Ted Cruz, Lauren Boebert und Moderator Seth Meyers.
Screenshot: YouTube/Late Night with Meyers

Das Schulmassaker von Texas bewegt die amerikanische Nation. Die Late-Night-Hosts reagieren emotional, wütend – und führen jene vor, die die überfällige Diskussion über Waffengesetze systematisch ausbremsen.

Von Philipp Dahm

Das Schulmassaker in Texas geht auch an den Late-Night-Hosts nicht spurlos vorbei. Jimmy Kimmel nimmt seinen Beitrag zu der Tragödie ohne Publikum auf: Ihm versagt beinahe die Stimme und Tränen stehen dem 54-Jährigen in den Augen, der selbst vier Kinder hat.

Erschüttert äussern sich auch Kimmels Kollegen. Seth Meyers zeigt in seiner «Late Night» erst auf, dass der zweite Verfassungszusatz ursprünglich dafür gedacht war, um den Milizen in dem jungen Staat eine Waffe an die Hand zu geben – so befand es 1991 der konservative Oberste Richter Warren Burger. Es sei ein «Betrug an der amerikanischen Öffentlichkeit», so zu tun, als gebe es ein allgemeines Recht auf Waffen. Erst 1982 hätten die Republikaner den Sinn umgedeutet.

Am Abend des 26. Mai legt Meyers dann nach – und knöpft sich die Waffen-Lobby vor: «Es ist für jeden mit Augen und einem Gewissen fast schon blendend offensichtlich, dass es in Amerika mehr Massen-Schiessereien gibt als in jedem anderen vergleichbaren Land, weil wir mehr Waffen haben», erinnert der Moderator: 213 solcher Vorfälle in den ersten 21 Wochen des Jahres sprächen eine deutliche Sprache.

Rechts der texanische Republikaner Dan Patrick, der Fox-Moderator Tucker Carlson einen sonderbaren Vorschlag macht.
Rechts der texanische Republikaner Dan Patrick, der Fox-Moderator Tucker Carlson einen sonderbaren Vorschlag macht.
YouTube/Late Night with Meyers

Es bedürfe auch keiner Studien mehr, die den Zusammenhang zwischen den entsprechenden Gesetzen und den Schiessereien belegen. «Das gehört für jeden zum gesunden Menschenverstand – abgesehen von den feigen Monstern, die sich weigern, die amerikanische Waffenkrise anzuerkennen. Sie haben eine andere Idee, wie man die Massen-Schiessereien loswerden kann: Werdet einfach die Türen los.»

Türkontrollen? «Vielleicht würde das helfen»

Als Beweis dient der Einspieler nach 0,53 Sekunden: Bei Fox-News-Frontmann Tucker Carlson erzählt der texanische Republikaner Dan Patrick, die Schulen müssten «gehärtet» werden, damit niemand mehr reinkomme – «ausser durch einen Eingang». «Vielleicht würde das helfen.»

Late Night USA – Amerika verstehen
blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Das sei sogar eine Sache, «in der sich alle einig sind», tönt danach Senator Ted Cruz, ebenfalls Republikaner und ebenfalls auf Fox News: «Habt nicht überall diese unverschlossen Hintertüren. Habt nur eine Tür in die Schule und aus ihr heraus und stellt einen bewaffneten Polizisten an diese Tür.»

«Sorry», sagt Meyers. «Ihr wollte keine Waffenkontrollen, aber ihr wollt Türkontrollen? Seid ihr ... ich meine: Warum da aufhören? Warum nicht Türen an sich verbieten? Echt jetzt? Ihr glaubt, nur eine Tür, das sei eine gute Idee?»

«Vorhersehbare» Tat

Die Mitglieder des Senats könnten es ja vormachen und sich jeden Tag in einer langen Reihe aufstellen, um ins US-Parlament zu gelangen. Vielleicht hätte Cruz seine Idee zuvor auch mit einem Brandschutz-Beauftragten besprechen sollen, ätzt Meyers weiter. «Denn bekanntermassen ist noch nie etwas Schlimmes passiert, wenn es nur einen Weg in ein belebtes Gebäude und hinaus gibt.»

Was die Republikaner äusserten, das seien offensichtlich keine ernst gemeinten Vorschläge, legt sich der 48-Jährige seine Sparringspartner zurecht. Dann schlägt er zu: «Es sind erbärmliche Ausreden unserer verkommensten Politiker, die lieber auf mächtige Kräfte wie die [National Rifle Association] NRA hören, als irgendetwas zu tun, um diese Massaker zu stoppen.» In Tat und Wahrheit wollten Ted Cruz und Ex-Präsident Donald Trump am 27. Mai bei einem NRA-Treffen in Texas sogar Reden halten.

Nichts zu sagen: der Beto O' Rourke vor dem Podium des texanischen Gouverneurs Greg Abbott.
Nichts zu sagen: der Beto O' Rourke vor dem Podium des texanischen Gouverneurs Greg Abbott.
YouTube/Late Night with Meyers

Länder wie Australien, Grossbritannien, Norwegen oder Neuseeland hätten vorgemacht, dass strengere Waffengesetze wirkten, sagt Meyers. Doch in den USA wird jegliche Diskussion im Ansatz erstickt, wie ein Intermezzo mit Beto O'Rourke zeigt. Nach dem Massaker störte der demokratische Herausforderer von Gouverneur Greg Abbott in Texas eine Pressekonferenz und warf den Republikanern vor, die Tat sei «völlig vorhersehbar» gewesen – im Bild ab Minute 3.08.

«Der seltene Anblick eines bärtigen Feiglings»

«Setz dich hin», schnarrt Ted Cruz, der am Podium steht. «Du bist nicht dran und eine Peinlichkeit», doppelt Dan Patrick nach. «Setz dich hin und zieh nicht diese Show ab», schickt Cruz hinterher.

Und das von Ted Cruz, feixt Meyers. «Derselbe Typ, der im Senat [das Dr.-Seuss-Kinderbuch] ‹Green Eggs and Ham› vorgelesen hat? Der in einer Wahlwerbung mit einem Maschinengewehr Speck gebraten hat? Der ein Video von sich gepostet hat, wie er am [Grenzfluss] Rio Grande in den Büschen herumlungert, als würde er für eine Rolle im Enten-Clan vorspielen?»

«Enten-Clan»: Meyers versucht sich als Sprecher einer Tier-Dokumentation.
«Enten-Clan»: Meyers versucht sich als Sprecher einer Tier-Dokumentation.
YouTube/Late Night with Meyers

Cruz wirke wie das Sujet einer BBC-Dokumentation, sagt Meyers und wechselt zum britischen Akzent: «Der seltene Anblick eines bärtigen Feiglings, der in diesen Breitengraden heimisch ist, bis er seinen jährlichen Flug in den Süden macht.» Cruz' Abflug nach Mexiko, mitten in einer Kälte- und Stromkrise in Texas im Februar 2021, hat der Late-Night-Host nicht vergessen.

Meyers weiter im Doku-Ton: «Hören Sie das Geräusch seines rollenden Koffers auf dem Linoleum, von dem Experten sagen, es signalisiere Raubtieren: ‹Ich bin scheisse, ich bin scheisse. Wenn du mich frisst, musst du wahrscheinlich kotzen.›»

«Das wohlhabendste, sicherste Land der Erde»

Interessant ist auch eine Begegnung zwischen Cruz und einem Reporter des britischen Senders Sky News – im Video ab 4.28 Minute. Ob es an der Zeit wäre, die Gesetze zu ändern? Das jetzt zu fragen, sei so ein Medien-Ding, impliziert der Amerikaner. «Sie haben Ihre politische Agenda. Gott liebt Sie», sagt Cruz noch und will den Briten stehenlassen.

«Gott liebt Sie»: Cruz im Gespräch mit einem britischen Journalisten.
«Gott liebt Sie»: Cruz im Gespräch mit einem britischen Journalisten.
YouTube/Late Night with Meyers

Aber nichts da: Warum passiert das nur in Amerika, fragen der Reporter und eine Kollegin beharrlich. Cruz' Augen blitzen auf. «Warum kommen Leute aus allen Teilen der Welt nach Amerika? Weil es das freieste, wohlhabendste, sicherste Land der Erde ist», sagt er, sein Gegenüber mit dem Zeigefinger anstupsend. «Und hören Sie mit der Propaganda auf!»

Mit diesen Worten zieht Cruz – geschützt von seinen Leibwächtern – durch den Ausgang ab. «Ich wette, er war froh, dass dieser Ort mehr als eine Tür hatte», meint Meyers süffisant. Anstatt über die Sache zu diskutieren, lenke Cruz lieber ab. Doch damit liege er auf Parteilinie: Seine konservative Kollegin Lauren Boebert twittert, man könne «das Böse» nicht per Gesetz verbieten.

«Gesetze bringen nichts»

Und Ken Paxton sagt sogar ab 5.47 Minute: «Man kann nicht verhindern, dass böse Leute böse Dinge tun. Sie begehen Morde, sie würden sich nicht an Waffengesetze halten. Ich habe diese Diskussion nie verstanden.» Frappant ist: Der Republikaner ist der oberste Staatsanwalt von Texas. «Es ist hart, von jemandem ‹Gesetze bringen nichts› zu hören, dessen Job es ist, Gesetze durchzusetzen», findet Meyers dann auch.

Die Republikaner sollten aufhören, erst Waffengesetze abzuschwächen, um dann auch noch zu behaupten, die Politik könne in der Sache gar nichts ausrichten, resümiert der Late-Night-Host. Knapp 90 Prozent der Amerikaner seien dafür, dass Waffenkäufer erst kritisch durchleuchtet würden, und das Gros stehe auch hinter einem Verbot automatischer Waffen. Dennoch bremsten gewisse Republikaner jede Anpassung aus.

Die Rechte tue, als würde sie Demokratie nichts angehen. «Sie fühlen sich einfach nicht an die öffentliche Meinung gebunden», so Meyers. Immerhin sei erst am Vortag kolportiert worden, dass Donald Trump beim Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar 2020 gar nichts dagegen hatte, dass der Mob «Hängt Mike Pence» gerufen hat. «Vielleicht sollte Pence gehängt werden», zitiert ihn sein früherer Stabschef Mike Meadows.

«Und wir sollen alle irgendwie einfach darüber hinwegsehen und weitergehen», verwirft Meyers die Arme, bevor er zugibt, geseufzt – und dann doch weiter gescrollt zu haben.

«Late Night» nimmt in den letzten fünf Minuten noch sehenswert auseinander, wie sich die Republikaner im Vorwahlkampf gebaren – und als Bonus noch der Kommentar von TV-Frau Samantha Bee zum Thema Waffengesetze, der sprachlich Spass macht.