Explosionen in Transnistrien«Terroristische Angriffe» rücken Moldawien in Moskaus Visier
Von Philipp Dahm
27.4.2022
Explosionen in der Separatisten-Republik Transnistrien alarmieren die Weltgemeinschaft: Arbeitet Russland an einem Grund, auch einen Krieg gegen Moldawien anzuzetteln?
Von Philipp Dahm
27.04.2022, 14:00
Philipp Dahm
Jeder Krieg braucht seine Legitimation – und wer klug ist, kann sich so einen casus belli selber basteln. Ein Paradebeispiel ist die Emser Depesche. Im Juli 1870 spricht der französische Botschafter Kaiser Wilhelm in Bad Ems an und fordert, dass das Haus Hohenzollern keine Ansprüche auf den spanischen Thron stellt. Ein Mitarbeiter berichtet das per Telegramm an Otto von Bismarck.
Der «eiserne Kanzler» kürzt das Schreiben so, dass das Gespräch unfreundlich und schroff herüberkommt – und gibt es an die Presse weiter. Die französische Öffentlichkeit fühlt sich von dem Vorgang gedemütigt und Paris erklärt Berlin am 19. Juli 1870 einen Krieg, den es selbst innert eines Jahres krachend verlieren wird.
Heute würde kein Schreiben, keine Täuschung und kein Gerücht der Welt ein Land wie Moldawien dazu bewegen, Krieg gegen einen Staat wie Russland zu erklären. Und ohne einen Kriegsgrund – wie glaubwürdig auch immer der sein möge – würde auch ein Wladimir Putin nicht angreifen. Doch der Kreml tut offensichtlich alles dafür, dass sich das ändert: In Moldawien läuten nach Anschlägen in Transnistrien die Alarmglocken.
Einerseits ist Nervosität für die Moldawier*innen nichts Neues: «Alle Länder, die einst Teil der UdSSR waren, haben Grund nervös zu werden», erklärt Professor James W. Davis von der Universität St. Gallen blue News kurz vor Beginn des Krieges in der Ukraine. Was das Land krank macht, ist ein russischer Stachel in seinem Fleisch: die de facto unabhängige Republik Transnistrien, die in Moldawiens Grenzen liegt.
Explosionen in Transnistrien
Ohne Moskau wäre Transnistrien nicht überlebensfähig: Russland bestreitet 70 Prozent des Haushalts und hat rund 1500 Soldaten dort stationiert, die ein riesiges Munitionsdepot aus der Sowjet-Ära bewachen. Die Miliz der dortigen Separatisten soll 10'000 bis 25'000 Mitglieder gross sein. Zum Vergleich: Die moldawischen Streitkräfte beschäftigen zwischen 5000 und 7500 Personen.
Und nun wagen es diese Moldawier*innen doch tatsächlich mit ihrer kleinen Armee, das riesige russische Reich herauszufordern. So werden es zumindest russische Hardliner interpretieren, nachdem es in Transnistrien mehrere Explosionen gegeben hat: Am 25. April ist es zu «terroristischen Angriffen» auf das Ministerium für Staatssicherheit in der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol gekommen, berichtet die russische Nachrichtenagentur «Tass».
Einen Tag nach dem Beschuss des Gebäudes sind im Dorf Myjak zwei Radioantennen gesprengt worden, melden verschiedene Medien. Opfer seien aber in keinem der Fälle zu beklagen. Die Regierung der pro-russischen Teilrepublik habe daraufhin Checkpoints in Transnistrien eingerichtet. Andrej Rudenko ist deswegen «besorgt».
«Kräfte innerhalb Transnistriens tendieren zum Krieg»
Der stellvertretende russische Aussenminister «würde gern ein Szenario vermeiden», in dem es zu einem Krieg um Transnistrien kommt, heisst es aus Moskau. «Bestimmte Kräfte», hätten ein Interesse daran, aus Moldawien eine «weitere Brutstätte für Spannungen in Europa» zu machen. Rudenko kündigte Untersuchungen an, von denen er hoffe, sie würden die Hintergründe und Täter*innen offenlegen.
Putins Sprecher Dmitri Peskow zeigt sich ebenfalls «besorgt», während der Führer der prorussischen Fraktion Donezk für die Kollegen in Transnistrien trommelt: Denis Puschilin fordert, Moskau solle «berücksichtigen, was in Transnistrien passiert». Die Separatistenführer von Luhansk, Donezk und Transnistrien warnen vor dem Krieg angeblich gleichzeitig in Moskau, um Putins Schutz zu erbitten.
Dass solche Aussagen Moldawien nervös machen, liegt auf der Hand. Präsidentin Maia Sandu ruft nach den Anschlägen vom Dienstag das Sicherheitskabinett ihres Landes zusammen. Anschliessend sagt die pro-europäische Politikerin, «Kräfte innerhalb Transnistriens tendieren zum Krieg». Die Explosionen sollten einen «Vorwand erschaffen, um die Sicherheitslage zuzuspitzen».
Versteckte und offene Drohungen
Experten halten fest, dass sich Moskaus Rhetorik mit Blick auf Chisinau geändert habe. «Das Thema Transnistrien wird in Russland offener diskutiert», meint Bob Deen vom niederländischen Thinktank Clingendael Institute im «Guardian». «Russlands jüngste Statements könnten ein Hinweis auf die Ambitionen sein, die Moskau dort hat.»
Moldawien hat vor zwei Wochen gemeldet, die russische Armee versuche im Land Bürger*innen für die Armee in Transnistrien zu rekrutieren. Der britische Geheimdienst glaubt, Russland wolle seine Truppen dort verstärken. «Das ist sehr gefährlich und muss aufhören», warnte dabei Aussenminister Nicu Popescu – ohne jedoch weitere Details zu nennen.
Bald darauf werden Pläne bekannt, das Land wolle sich von russischen Energie-Lieferungen unabhängig machen. Zuletzt sorgte eine Massnahme für Ärger, die vor rund drei Wochen beschlossen worden war: das Verbot des Sankt-Georgs-Bands und der Symbole Z und V, mit denen Unterstützung für Russlands Angriffskrieg ausgedrückt wird.
Der Kreml reagiert darauf scharf: Der Vorgang sei «ein echter Betrug» und könnte sich für das Land als «schmerzhaft» herausstellen, warnt Marija Sacharowa: «Jeder, der sich erlaubt, solche Bemerkungen über ein Symbol zu machen, für das Menschen ihr Leben gegeben haben, damit andere leben können, wird selbst auf dem Müllberg der Geschichte landen, das versichere ich ihnen», so die Sprecherin des russischen Aussenministeriums.
Wer hinter den Explosionen in Transnistrien steckt, mag noch unklar sein. Wem sie nützen, steht dagegen fest.