Reaktionen auf Trumps Kandidatur«Kraftlos wie der dritte Aufguss» – «Abgehalfterter Schlagerstar»
Von Jan-Niklas Jäger
16.11.2022
Donald Trump möchte 2024 erneut Präsident der USA werden. Die Reaktionen auf seine Ankündigung fallen nach den enttäuschenden Zwischenwahlen wohl anders aus, als er es sich erhofft hatte.
Von Jan-Niklas Jäger
16.11.2022, 20:04
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Lange wurde damit gerechnet, jetzt ist es offiziell: Donald Trump will zurück ins Weisse Haus. Doch der kontroverse Ex-Präsident ist angeschlagen. Selbst innerhalb seiner Partei häufen sich die Zweifel, ob eine erneute Kandidatur Trumps eine gute Idee wäre. Viele halten Floridas Gouverneur Ron DeSantis inzwischen für den aussichtsreicheren Kandidaten.
Dass sein grösster Konkurrent in den meisten Presseberichten über seine Kandidatur als aussichtsreiche Alternative genannt wird, dürfte Trump wenig gefallen. blue News hat eine Übersicht über die verschiedenen Pressereaktionen zusammengestellt.
«Tages-Anzeiger»
«Trump wird seine Partei in den Abgrund reissen», titelt der «Tages-Anzeiger». Die USA-Expertin Sandra Navidi kommt im Interview zu dem Schluss, dass Trump seine Anhänger*innen, um dem innerparteilichen Druck entgegenzuwirken, «mit unglaublichen Lügen, Drohungen und Polemiken […] gegen das republikanische Establishment» in Stellung bringen wird. Das könne verheerende Auswirkungen auf die Partei haben.
Dass Trump zu diesen Mitteln greife, liege daran, dass sich viele einflussreiche Stimmen innerhalb der Republikaner hinter Ron DeSantis stellen: eine Reaktion darauf, wie schlecht Trump bei den Zwischenwahlen im Gegensatz zum grossen republikanischen Wahlsieger DeSantis dastand. Selbst das Medienimperium des konservativen Unternehmers Rupert Murdoch habe sich nun gegen Trump gestellt.
Dennoch könne Trump auf seine Basis setzen. Die sehe DeSantis ohnehin nur als «schlechte Kopie des Originals», weil ihm «Trumps Charisma und Charme» fehle. «Sollte es im Vorwahlkampf zu Debatten kommen, wird DeSantis rhetorisch wahrscheinlich nicht mit Trump mithalten können», so Navidi.
«20 Minuten»
Der US-Politexperte Marco Steenbergen rechnet Donald Trump im Interview mit «20 Minuten» schlechte Chancen aus. Vor einer Woche hielt es Steenbergen noch «für sehr wahrscheinlich», dass er es als zweiter Präsident der US-Geschichte schaffen könne, wiedergewählt zu werden, nachdem er das Weisse Haus bereits verlassen hatte. Doch «nach den Midterms und einem starken DeSantis sind die Chancen nahezu bei null».
Die Ankündigung selbst habe offengelegt, dass Trump keine neue Strategie bietet. Die habe 2016 funktioniert, «da er mit seinem Stil die Amerikaner im Positiven geschockt hat und eine Art neue Politik einbrachte». Das lasse sich allerdings nicht wiederholen.
Sollten die Republikaner sich gegen Trump entscheiden und stattdessen Ron DeSantis nominieren, geht Steenbergen davon aus, dass Trump als unabhängiger Kandidat antreten könnte. «Für die Republikaner wäre das ein Albtraum.» Denn dann würden ihnen die wichtigen Stimmen der Trump-Anhängerschaft für einen Einzug ins Weisse Haus fehlen.
«Der Spiegel»
Auch der «Spiegel» verweist auf die gleichgebliebene Taktik Trumps, «den ‹Underdog›, den Aussenseiter» zu geben, «der gegen eine scheinbar übermächtige Allianz aus angeblich ‹korrupten› Politikern und Medienleuten in der Hauptstadt Washington, D.C., antritt, um Amerika ‹zu retten›, wie er sagt».
Dabei hätten die Zwischenwahlen bewiesen, dass sich die Begeisterung der meisten Wähler*innen über die Vorstellung einer zweiten Trump-Ära in Grenzen halte.
Nicht einmal auf seine eigene Familie könne Trump setzen, denn Tochter Ivanka und deren Ehemann Jared Kushner, die während seiner ersten Amtszeit einflussreiche Rollen im Weissen Haus übernahmen, haben bereits direkt nach der Ankündigung seiner Kandidatur eine Beteiligung an der zweiten Kandidatur Trumps ausgeschlossen.
Das deutsche Blatt kommt zu dem Schluss, dass Trump «ein Problem für die Republikaner» sei und innerhalb seiner eigenen Partei «noch viel Unheil anrichten» könne: «Niemand sollte seine Fähigkeit unterschätzen, Rivalen in der Öffentlichkeit mieszumachen. Auch nicht Ron DeSantis.»
«Der Standard»
«Der Standard» aus Österreich empfand Trumps Rede als «merkwürdig kraftlos». Selbst Fox News habe seinem ehemaligen Quotenliebling mitten in der Rede die Aufmerksamkeit entzogen. Stattdessen führte Moderator Sean Hannity ein Studiogespräch.
«Das von Trump als ‹einer der wichtigsten Tage in der Geschichte unseres Landes› angekündigte Ereignis» habe «so langweilig und kraftlos wie der dritte Aufguss eines Teebeutels» gewirkt. Das passt zu Meldungen, nach denen gelangweilte Trump-Anhänger die Veranstaltung vorzeitig verlassen wollten – woran sie gehindert worden sein sollen.
Doch auch wenn Trump «in der falschen Versailles-Kulisse seines Protzpalasts wie ein abgehalfterter Schlagerstar auf Revival-Tour» aussehe, solle man ihn nicht unterschätzen: «Kein anderer republikanischer Politiker hat eine derart loyale Anhängerschaft. Niemand hat es geschafft, solch einen regelrechten Kult um seine Person aufzubauen.»
Inhaltlich sei die Rede äusserst dürftig ausgefallen: «Ein gekränktes Ego, ein narzisstischer Machtanspruch, viel Verachtung für den Rechtsstaat und noch mehr Kulturkampfrhetorik – aus Trumps Rede lässt sich einiges heraushören. Nur eine politische Agenda für die nächsten Jahre gibt es nicht.»
«The Guardian»
«Die Rede fühlte sich nicht so an, als könne sie [Rupert] Murdochs Pressekanäle oder republikanische Geldgeber*innen, die jetzt offen mit Ron DeSantis […] flirten, umstimmen», analysiert der britische «Guardian». Trump habe versucht, «präsidial» zu wirken, weswegen er so energielos wirkte, wie er es einst seinem Konkurrenten Jeb Bush vorgeworfen hatte – woraufhin ihn dessen Sohn sogleich auf Twitter verhöhnte.
Auch der «Guardian» kann abgesehen vom zurückhaltenderen Auftreten keinen Strategiewechsel Trumps erkennen. «Der Unterschied ist», schreibt das Blatt, «dass die Vereinigten Staaten diesmal wissen, was vier Jahre Trump im Oval Office bedeuten – zwei Amtsenthebungsverfahren und ein Experiment in amerikanischem Gemetzel» – eine Anspielung auf den Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 und Trumps Antrittsrede vier Jahre davor, in der er Obamas Amtszeit als American carnage bezeichnet hatte.
«New York Times»
«Der ehemalige Präsident ist nicht in der Lage, damit aufzuhören, sich seine eigene Realität auszumalen und Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen oder deren Konsequenzen» anzuerkennen, schreibt die «New York Times». In Trumps Welt sei er verantwortlich für alle Erfolge, während alle Verfehlungen die Fehler der anderen seien. «Verlierer» bleibe für ihn das ultimative Schimpfwort.
Doch ob Trump es nun akzeptiere oder nicht: Das Ausbleiben einer sogenannten Roten Welle bei den Zwischenwahlen – also eine überwältigende Siegesreihe der Republikaner – «kann immer noch Konsequenzen für den ehemaligen Präsidenten haben». Nun, da sich republikanische Senator*innen mit zwei weiteren Jahren in der Minderheit konfrontiert sähen, «könnten Mr. Trumps einstige Verbündeten ihre Unterstützung überdenken».
So habe die republikanische Senatorin Cynthia Lummis auf die Frage, ob sie Trump 2024 unterstützen würde, geantwortet: «Ich denke nicht, dass das die richtige Frage ist. Ich glaube, die richtige Frage ist: Wer ist der aktuelle Anführer der Republikanischen Partei? Oh, ich weiss, wer das ist: Ron DeSantis.»