Lagebild Ukraine So grausam läuft die Schlacht um die Salztunnel von Soledar ab

Von Philipp Dahm

11.1.2023

Söldnergruppe Wagner meldet Einnahme der Stadt Soledar

Söldnergruppe Wagner meldet Einnahme der Stadt Soledar

Nach tagelangen Kämpfen hat die russische Söldnergruppe Wagner die Einnahme der ostukrainischen Stadt Soledar verkündet. Russische Nachrichtenagenturen zitierten den Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin am Dienstag mit den Worten, dass «Wagner-Einheiten das gesamte Gebiet von Soledar unter ihre Kontrolle gebracht haben».

11.01.2023

Die Gruppe Wagner meldet die Einnahme von Soledar, doch Kiews Militär dementiert. Die Schlacht um die Stadt ist noch in vollem Gang: Mit Wellen von Schocktruppen will Russland die Verteidiger übermannen.

Von Philipp Dahm

Was haben Bachmut und Soledar, das gut acht Kilometer entfernt ist, gemeinsam? Beide Städte sind vollkommen zusammengeschossen worden und gleichen einer Trümmerlandschaft.

Bild der Zerstörung: Satellitenaufnahme von Soledar.
Bild der Zerstörung: Satellitenaufnahme von Soledar.
Bild: u/IgorVozMkUA

Russland lässt einfach nicht locker, was die Eroberung dieser Städte angeht. Genauer gesagt ist es die Gruppe Wagner, deren Einheiten hier im Einsatz sind. Weil Bachmut selbst so stark befestigt ist, wollen die Angreifer über Soledar nach Westen vorstossen, um dann nach Süden zu drehen und Bachmuts Verteidigern in den Rücken zu fallen.

Ein ukrainischer Soldat am 8. Januar in Soledar.
Ein ukrainischer Soldat am 8. Januar in Soledar.
AP

Doch warum die Truppen trotz hoher Verluste so obsessiv auf diese Ziele stürzen, bleibt unklar. Sicher: Hier führt die M-03 nach Slowjansk, die das eigentliche Zentrum der ukrainischen Streitkräfte in der Region sind. Doch zwischen Bachmut auf der einen und Slowjansk und Kramatorsk auf der anderen Seite liegen 30 Kilometer.

Selbst wenn Bachmut eingenommen würde, wäre das bloss ein Etappensieg. «Die einzige Strategie, die ich an diesem Punkt erkenne, ist, dass sie die Stadt nehmen wollen, damit sie einen Erfolg nach einem Jahr voller Niederlagen verkünden können», sagt ein Soldat der ukrainischen 24. mechanisierten Brigade dem «Guardian».

«Sie werfen einfach bloss Fleisch nach»

«Wir haben in den vergangenen zwei Wochen eine Zunahme bei Artilleriebeschuss und Infanterie-Attacken festgestellt, als wären sie in Eile, Bachmut einzunehmen. Das heisst auch, dass sie noch grössere Verluste erleiden», fährt «Sascha» fort. «Sie werfen einfach bloss Fleisch nach.» Auch der Boss der Gruppe Wagner sieht das so: Jewgeni Prigoschin selbst bezeichnet die Front als «Fleischwolf».

Wie das im nahen Soledar in der Praxis aussieht, veranschaulicht der YouTube-Kanal Reporting from Ukraine sehr anschaulich. Zuerst hat die ukrainische Armee russische Angriffe aus dem Norden, Osten und Süden abgewehrt und entsprechende Verteidigungslinien errichtet, die unten hellblau dargestellt sind.

Unter hohen Verlusten stossen rekrutierte Häftlinge unterstützt von Artillerie in die Lücken der Verteidigung vor.
Unter hohen Verlusten stossen rekrutierte Häftlinge unterstützt von Artillerie in die Lücken der Verteidigung vor.
Screenshot: YouTube/Reporting from Ukraine

Die Angreifer sind danach in die Räume zwischen diesen Linien vorgerückt. Dabei setzt die Gruppe Wagner auf kleine Einheiten, die aus Verbrechern besteht: Sie müssen nicht überleben, sondern vor allem gegnerische Stellungen aufdecken, die dann bekämpft werden können. Der Pool von rund 40'000 Knast-Soldaten wird zum Sturmangriff geschickt, die 10'000 Wagner-Veteranen kommen erst bei einem Durchbruch zum Einsatz.

«Liquidatoren» jagen eigene Soldaten

Wenn die uniformierten Häftlinge nicht spuren, wird laut «The Daily Beast» kurzer Prozess mit ihnen gemacht. Wagner-Söldner, die in Gefangenschaft geraten sind, sprechen von Hinrichtungen: «Diejenigen, die nicht gehorchen, werden eliminiert – und es wird öffentlich gemacht», so ein Zeuge. Es gebe gar gesonderte «Einheiten von Liquidatoren», die auch dann töten, wenn Soldaten nicht vorrücken wollen.

Wenn ein Brückenkopf geschaffen ist und der Druck an den Flanken verstärkt wird, bekommen die Verteidiger Probleme. Sie dürfen sich die Rückzugswege nicht abschneiden lassen.
Wenn ein Brückenkopf geschaffen ist und der Druck an den Flanken verstärkt wird, bekommen die Verteidiger Probleme. Sie dürfen sich die Rückzugswege nicht abschneiden lassen.
YouTube/Reporting from Ukraine

Der Blutzoll bei den Schocktruppen ist extrem hoch, weil sie von beiden Seiten beschossen werden. Die Masse und weiterer Druck an den Flanken haben aber offenbar dazu geführt, dass sich die Verteidiger am Ende doch zurückziehen müssen. So können die Russen bis zu den Salzminen vorstossen. Prigoschin hält den Erfolg mit einem Schnappschuss fest.

Prigoschin (stehend ohne Maske) mit seinen Wagner-Söldnern in den Salzminen von Soledar.
Prigoschin (stehend ohne Maske) mit seinen Wagner-Söldnern in den Salzminen von Soledar.
Telegram

Aber: Die Salzmine ist gross. 200 Kilometer ziehen sich die Tunnel durch den Untergrund. Prigoschin und seine Truppe müssen also nicht zwingend weit in das System vorgerückt sein, das derart riesige Räume hat, dass dort ganze Panzer Platz finden. Beeindruckende Bilder aus der Mine von 2019 findest du hier.

Kiew dementiert den Fall von Soledar

Dass die Stadt an Bachmuts Nordflanke gefallen ist, wird in Kiew allerdings dementiert. «Die Russen sagen, Soledar sei unter ihrer Kontrolle», sagt Armee-Sprecher Serhii Cherevaty. «Das stimmt nicht.» Prigoschins Foto sei bloss ein PR-Stunt, um das heimische Publikum zu befrieden, heisst es weiter. Auch ukrainische Soldaten zeigen sich angeblich heute Morgen in Soledar wehrhaft: Die Verteidigung halte, sagen die Männer.

Die ukrainische Armee muss nun die Flanken der Truppen in Soledar decken, um Druck von den bedrängten Kräften zu nehmen. Ob die Gruppe Wagner die verlustreichen Vorstösse beibehalten kann, wird sich in den nächsten Tagen auf dem Schlachtfeld zeigen.

Am Ende noch ein Waffen-Update: Kanada will für Kiew in den USA das Flugabwehrsystem NASAMS kaufen und es in die Ukraine exportieren. «Angesichts von Russlands brutalen Luftangriffen auf die Ukraine wird diese Luftverteidigung helfen, Wohngebiete und die kritische Infrastruktur vor Drohnen, Raketen und Jets zu schützen», wird Verteidigungsministerin Anita Anand dazu zitiert.