Selenskyj klagt «Nazi»-Praktiken an «Folter war eine weit verbreitete Praxis im besetzten Gebiet»

SDA, uri

18.9.2022 - 07:10

In der Region Charkiw sind laut ukrainischen Behörden inzwischen 10 russische Folterkammern entdeckt worden. Präsident Wolodymyr Selenskyj vergleicht das Vorgehen der Besatzer mit den Nazi-Gräueln im Zweiten Weltkrieg.

Es gebe grausamste Folter, Deportationen, verbrannte Städte, bodenlosen Hass und nichts Lebendiges mehr unter russische Besatzung, sagte Ukraines Präsident Wolodymyr Selensky in einer am Samstag in Kiew verbreiteten Videobotschaft. Zwar würden die Russen anders als die Nazis keine Seife aus den getöteten Ukrainern machen – und keine Lampenschirme aus ihrer Haut. «Aber das Prinzip ist das gleiche», meinte der Staatschef nach mehr als sechs Monaten Krieg.

Selenskyj bezeichnete die vor einer Woche aus dem Gebiet Charkiw geflohenen Besatzer als «Raschisten» und sagte, so hätten sich auch die «Nazis» verhalten. «Raschismus» vereint die Wörter Russland und Faschismus und wird von vielen Ukrainern als Begriff für «russischer Faschismus» benutzt. Wie die «Nazis» würden auch die «Raschisten» auf dem Schlachtfeld und vor Gericht für ihre Taten zur Verantwortung gezogen, sagte Selenskyj.

«Wir werden die Identitäten aller ermitteln, die gefoltert und misshandelt haben, die diese Grausamkeiten von Russland hier auf ukrainisches Gebiet gebracht haben», betonte der 44-Jährige. Bei ihrer Flucht hätten die Besatzer Foltergeräte zurückgelassen. Ukrainische Behörden veröffentlichten unterdessen Fotos, die Folterkammern und -geräte zeigen sollen. Es seien inzwischen mehr als zehn Folterkammern in verschiedenen Städten des befreiten Gebiets Charkiw entdeckt worden, sagte er. «Folter war eine weit verbreitete Praxis in dem besetzten Gebiet.»

Aufklärung möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine gefordert

Nach Darstellung Selenskyjs wurden Menschen mit Drähten und Stromschlägen gequält. So sei etwa auf einem Bahnhof in Kosatscha Lopan ein Folterraum mit elektrischen Folterwerkzeugen entdeckt worden. Auch bei den in einem Waldstück nahe der Stadt Isjum gefundenen Leichen seien neue Beweise für Folter sichergestellt worden. Die Exhumierung der Toten auf der «Massengrabstätte» sei am Samstag fortgesetzt worden, sagte Selenskyj.

Behörden beginnen mit Untersuchungen von Massengrab bei Isjum

Behörden beginnen mit Untersuchungen von Massengrab bei Isjum

In einem Wald im Nordosten der Ukraine waren hunderte Gräber und Leichen entdeckt worden.

18.09.2022

In Isjum sind mehr als 440 Gräber mit Leichen gefunden worden. Die Menschen sollen ersten Erkenntnissen zufolge ums Leben gekommen sein, als Russland die Stadt Ende März heftig beschossen habe.

Ende März waren auch in dem Kiewer Vorort Butscha nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte getötete Zivilisten – einige mit Folterspuren und gefesselten Händen – gefunden worden. Butscha gilt seitdem als Symbol für schwerste Kriegsverbrechen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Selenskyj kündigt Befreiung aller besetzten Gebiete an

In seinem Video kündigte Selenskyj an, dass neben der Ermittlungsarbeit zur Aufklärung der russischen Verbrechen im Gebiet Charkiw das normale Leben zurückkehren solle. Die Menschen sollten Nahrungsmittel, Medikamente, Strom und ihre Renten erhalten. Auch der öffentliche Verkehr solle wieder hergestellt werden. Zwar räumte Selenskyj ein, es gebe aktuell keine «signifikanten Änderungen der Lage» an der Front. Zugleich betonte er aber, dass alle besetzten Gebiete befreit würden – und Russland keine Chance habe.

Ukrainische Soldaten exhumieren in der Region Charkiw einen Leichnam. 
Ukrainische Soldaten exhumieren in der Region Charkiw einen Leichnam. 
Bild: Keystone

Es sollten die Gebiete Cherson, Luhansk, Donezk samt der dortigen Grossstadt Mariupol, aber auch Bedyansk in der Region Saporischschja sowie die von Russland schon 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim befreit werden. Überall werde wieder die ukrainische Flagge wehen, betonte Selenskyj. «Aber wir brauchen dafür noch Zeit.» Vor allem setzt die Ukraine auf schwere Waffen des Westens, um die russischen Besatzer aus dem Land zu drängen.

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