Kiew im Informationskrieg vornSelenskyj mobilisiert mit Charisma, Putin mit nackter Angst
Von Philipp Dahm
23.3.2022
Kriegspropaganda
Wenn es um die Macht der Bilder geht, ist Wladimir Putin kein Machtmensch: In seinen Ansprachen schaut der russische Präsident meist grimmig aus der Wäsche. Auch bei Auftritten wie jenem am 18. März im Olympiastadion Luschniki kommt er nicht gerade sympathisch rüber. Ganz anders dagegen ...
Bild: EPA
... Wolodymr Selenksyj, der sehr viel menschlicher wirkt als sein Widersacher. Seine Reden sind emotional, sein Äusserliches militärisch-ernst und sein Auftreten sozialer. Hier besucht der Präsident am 13. März einen verwundeten Soldaten in Kiew.
Bild: AP
Propaganda wie von anno dazumal: Russische Kinder werden in den Schulen aufgefordert, kriegsverherrlichende Bilder zu malen oder das «z» zu formen, das sich russische Truppen auf die Fahnen geschrieben haben. Besonders geschmacklos ...
Bild: inbalashikha.ru
... ist die Vereinnahmung dieser Kleinen in Kasan: Sie leben in einem Hospiz für todkranke Kinder, was die Verantwortlichen nicht davon abhielt, sie für ihre Propaganda zu missbrauchen.
Bild: @kamilkazani
Auch die ukrainische Seite nutzt Kinder für Propaganda – allerdings auf einem völlig anderen Niveau: «Mein Name ist Varya. Ich sende euch meine Lieblingsdrohne. Ihr braucht sie mehr. Ich möchte, dass ihr alle lebt. Wenn ihr die Faschisten aus der Ukraine vertrieben habt, befreit bitte auch mein Weissrussland.» Die Echtheit können wir nicht bestätigen, aber die Wirkung ist jedenfalls gross.
Obelix gibt Putin einen mit: Ein Graffito in Leipzig.
Bild: @MEPilarczyk
Zu diesem Bild steht im Internet: «Riechst du das? Der Geruch der Angst, wenn Russland begreift, dass Wali lebt, obwohl die Propaganda sagte, er sei tot»: Der gefürchtete Scharfschütze diente einst in der kanadischen Armee und hat sich der ukrainischen Sache angeschlossen. Schon seine Anwesenheit ist ein PR-Erfolg.
Bild: Facebook
Graffito in Butte-aux-Cailles nahe Paris.
Bild: Instagram/seth_globepainter
Graffito in München.
Bild: u/bartgrumbel
Graffito in Los Angeles.
Bild: u/maxmoneyonline
Kriegspropaganda
Wenn es um die Macht der Bilder geht, ist Wladimir Putin kein Machtmensch: In seinen Ansprachen schaut der russische Präsident meist grimmig aus der Wäsche. Auch bei Auftritten wie jenem am 18. März im Olympiastadion Luschniki kommt er nicht gerade sympathisch rüber. Ganz anders dagegen ...
Bild: EPA
... Wolodymr Selenksyj, der sehr viel menschlicher wirkt als sein Widersacher. Seine Reden sind emotional, sein Äusserliches militärisch-ernst und sein Auftreten sozialer. Hier besucht der Präsident am 13. März einen verwundeten Soldaten in Kiew.
Bild: AP
Propaganda wie von anno dazumal: Russische Kinder werden in den Schulen aufgefordert, kriegsverherrlichende Bilder zu malen oder das «z» zu formen, das sich russische Truppen auf die Fahnen geschrieben haben. Besonders geschmacklos ...
Bild: inbalashikha.ru
... ist die Vereinnahmung dieser Kleinen in Kasan: Sie leben in einem Hospiz für todkranke Kinder, was die Verantwortlichen nicht davon abhielt, sie für ihre Propaganda zu missbrauchen.
Bild: @kamilkazani
Auch die ukrainische Seite nutzt Kinder für Propaganda – allerdings auf einem völlig anderen Niveau: «Mein Name ist Varya. Ich sende euch meine Lieblingsdrohne. Ihr braucht sie mehr. Ich möchte, dass ihr alle lebt. Wenn ihr die Faschisten aus der Ukraine vertrieben habt, befreit bitte auch mein Weissrussland.» Die Echtheit können wir nicht bestätigen, aber die Wirkung ist jedenfalls gross.
Obelix gibt Putin einen mit: Ein Graffito in Leipzig.
Bild: @MEPilarczyk
Zu diesem Bild steht im Internet: «Riechst du das? Der Geruch der Angst, wenn Russland begreift, dass Wali lebt, obwohl die Propaganda sagte, er sei tot»: Der gefürchtete Scharfschütze diente einst in der kanadischen Armee und hat sich der ukrainischen Sache angeschlossen. Schon seine Anwesenheit ist ein PR-Erfolg.
Bild: Facebook
Graffito in Butte-aux-Cailles nahe Paris.
Bild: Instagram/seth_globepainter
Graffito in München.
Bild: u/bartgrumbel
Graffito in Los Angeles.
Bild: u/maxmoneyonline
Ginge es um einen Image-Wettbewerb, wäre das Duell Wladimir Putin gegen Wolodymyr Selenskyj schon lange entschieden: Die erste Phase des Informationskrieges geht eindeutig an die Ukraine.
Von Philipp Dahm
23.03.2022, 18:01
Philipp Dahm
Wladimir Putin – persönlich mit Sanktionen belegt, international geächtet und ein Lügner, wenn man Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Grossbritanniens Ex-Premier David Cameron oder Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock glauben möchte. Der Präsident der USA nennt den Russen einen «mörderischen Diktator» und «reinen Schurken» – und laut Joe Biden ist Putin auch ein «Kriegsverbrecher».
Welten liegen zwischen diesem Ruf und dem seines Gegners. Kein Vergleich zwischen dem Präsidenten Russlands und dem der Ukraine, denn Wolodymyr Selenskyj macht anscheinend alles richtig. Ihm fliegen nicht nur die Herzen der eigenen Leute zu, sondern wird im Ausland da, wo er via Video aus Kiew zugeschaltet wird, mit stehenden Ovationen gefeiert.
Der Krieg in der Ukraine ist sicherlich kein Image-Wettbewerb, doch der Vergleich deutet darauf hin, dass Russland die ersten Schlachten im Informationskrieg verloren hat. Nach haltlosen Vorwürfen an Kiew wie dem Streben nach Atomwaffen oder geheimen Biowaffen-Laboren und nicht zuletzt dem Leugnen der Kriegsplanungen an sich ist Russlands Ruf schwer und auf lange Sicht beschädigt.
Massgeschneiderte Reden von Bern bis Tokio
Wie glaubwürdig wirkt dagegen Selenskyj: Einen Tag nach Beginn des Krieges zeigt sich der 44-Jährige mit anderen wichtigen Grössen per Video in Kiew und betont, er sei nicht geflohen. «Der Präsident ist hier. Wir sind alle hier. Unsere Soldaten sind hier. Die Bewohner unseres Landes sind hier. Wir sind alle hier, um unsere Unabhängigkeit zu verteidigen.»
Nur einen Tag später schlägt Selenskyj ein US-Angebot aus, ihn zu evakuieren. «Ich brauche Munition, kein Taxi», bekundet er. Seine Video-Ansprachen an sein Volk gibt der Mann seither täglich – und dann kommen noch die Reden an das internationale Publikum, die nicht seltener sind, wie die untenstehende Bildergalerie beweist.
Selenskyj – massgeschneiderte Ansprachen von Bern bis Tokio
Wolodymyr Selenskyj weiss, für seine Sache zu kämpfen. Am 15. März wird der ukrainische Präsident im Unterhaus Kanadas zugeschaltet. «Er war vorher ein Schauspieler, aber jetzt spielt er nicht», analysiert anschliessend Professor Ronald Beiner.
Bild: Keystone
Standing Ovations am 16. März im Repräsentantenhaus der USA: Selenskyj spricht in seiner Rede Mount Rushmore, den Angriff auf Pearl Harbor und den 11. September an. Für die US-Abgeordneten wird ausserdem ein Clip produziert, der die Zerstörung und das Leid des Krieges zeigt.
Bild: Keystone
Auch im Bundestag in Deutschland erheben sich die Politiker für ihren Kollegen: Am 17. März redet Selenskyj Berlin ins Gewissen, man dürfe nicht nur reden, sondern habe eine historische Verantwortung zu handeln.
Bild: Keystone
Am 19. März ist dann die Schweiz dran – und Selenskyj fordert vor der Menge von Friedensdemonstranten einerseits Druck auf den Nestlé-Konzern, sich aus Russland zurückzuziehen und andererseits auf die Politik, die Gelder von Oligarchen einzufrieren.
Bild: KEYSTONE
An die Knesset und die anderen Menschen in Israel wendet sich der Ukrainer am 20. März und vergleicht Moskaus Offensive mit dem Holocaust. Putin wolle eine Endlösung, warnt Selenskyj.
Bild: Keystone
Und wieder Standing Ovations: Diesmal ist Selenskyj in Italien im Parlament zu sehen. Am 22. März fordert der 44-Jährige, das Land dürfe nicht zu einem Ferien-Resort für russische Oligarchen werden.
Bild: AP
Am 23. März spricht Selenskyj zu Japan. Es sei das erste Land Asiens gewesen, dass Russland entgegengetreten sei, lobt er, wobei er Dinge wie die Atombomben im Zweiten Weltkrieg, den Sarin-Gasangriff in Tokio oder die Ereignisse von Fukushima anspricht.
Bild: Keystone
Bild: Keystone
Selenskyj – massgeschneiderte Ansprachen von Bern bis Tokio
Wolodymyr Selenskyj weiss, für seine Sache zu kämpfen. Am 15. März wird der ukrainische Präsident im Unterhaus Kanadas zugeschaltet. «Er war vorher ein Schauspieler, aber jetzt spielt er nicht», analysiert anschliessend Professor Ronald Beiner.
Bild: Keystone
Standing Ovations am 16. März im Repräsentantenhaus der USA: Selenskyj spricht in seiner Rede Mount Rushmore, den Angriff auf Pearl Harbor und den 11. September an. Für die US-Abgeordneten wird ausserdem ein Clip produziert, der die Zerstörung und das Leid des Krieges zeigt.
Bild: Keystone
Auch im Bundestag in Deutschland erheben sich die Politiker für ihren Kollegen: Am 17. März redet Selenskyj Berlin ins Gewissen, man dürfe nicht nur reden, sondern habe eine historische Verantwortung zu handeln.
Bild: Keystone
Am 19. März ist dann die Schweiz dran – und Selenskyj fordert vor der Menge von Friedensdemonstranten einerseits Druck auf den Nestlé-Konzern, sich aus Russland zurückzuziehen und andererseits auf die Politik, die Gelder von Oligarchen einzufrieren.
Bild: KEYSTONE
An die Knesset und die anderen Menschen in Israel wendet sich der Ukrainer am 20. März und vergleicht Moskaus Offensive mit dem Holocaust. Putin wolle eine Endlösung, warnt Selenskyj.
Bild: Keystone
Und wieder Standing Ovations: Diesmal ist Selenskyj in Italien im Parlament zu sehen. Am 22. März fordert der 44-Jährige, das Land dürfe nicht zu einem Ferien-Resort für russische Oligarchen werden.
Bild: AP
Am 23. März spricht Selenskyj zu Japan. Es sei das erste Land Asiens gewesen, dass Russland entgegengetreten sei, lobt er, wobei er Dinge wie die Atombomben im Zweiten Weltkrieg, den Sarin-Gasangriff in Tokio oder die Ereignisse von Fukushima anspricht.
Bild: Keystone
Bild: Keystone
Dabei glänzt der Ukrainer dadurch, dass seine Worte stets massgeschneidert für sein Publikum sind. Und zugute kommt ihm auch seine Vergangenheit als Schauspieler: Das heisst nicht, dass er seine Gefühle bloss vorgibt, sondern vielmehr, dass ihm freie Rede und emotionale Ansprache leicht von der Hand gehen.
Neue Ikone der Popkultur
Selenskyj hat das Zeug zur Pop-Ikone. Das spiegelt sich nicht nur in Emmanuel Macrons Kopie seines Kleidungsstils oder in Graffiti auf den Strassen wieder, sondern auch in den Chefetagen, wenn etwa eine amerikanische Firma, die Lego-Teile individuell bemalt, eine Plastikfigur des ukrainischen Präsidenten herstellt.
1450 Exemplare à 100 Dollar werden produziert – und sind innert weniger Tage ausverkauft. So sind 145'000 Dollar zusammengekommen, die Citizen Brick spenden will. Der Westen liebt diesen Selenskyj: Obwohl er der Anführer einer Kriegspartei ist, versuchen mehrere europäische Abgeordnete vergeblich, ihn trotz abgelaufener Nominierungsfrist zum Kandidaten für den Friedensnobelpreis zu machen.
.@aplusk & Mila Kunis were among the first to respond to our grief. They have already raised $35 million & are sending it to @flexport & @Airbnb to help 🇺🇦 refugees. Grateful for their support. Impressed by their determination. They inspire the world. #StandWithUkrainepic.twitter.com/paa0TjJseu
Wenn Wladimir Putin dagegen Hof hält, braucht es Druck, um das Stadion in Moskau zu füllen: Staatsangestellte wie etwa Lehrer sind angeblich dazu genötigt worden, teilzunehmen, oder wurden etwa mit einem freien Tag geködert. Das Motto am Jahrestag der Krim-Eroberung heisst: «Für eine Welt ohne Nazitum». Putin sagt, er verhindere einen Völkermord an den Donbass-Russen. Wer soll ihm das glauben?
Russlands Seite findet im Westen kaum statt
Der Auftakt des Informationskrieges ist für den Kreml auch deshalb verloren, weil Moskaus Sender im Westen vom Netz gegangen sind: Die russische Seite findet in der Berichterstattung kaum statt. Während wir Fotos von zahllosen Geflüchteten an der Grenze zu Polen serviert bekommen, sind im russischen TV die Soldaten des Kreml zu sehen, die im Donbass Zivilisten mit dem Nötigsten versorgen.
Hier gibt es Bilder, die suggerieren, die russische «Spezial-Operation» verlaufe ganz nach Plan. Dort werden Plattformen wie TikTok und Co. mit den Videos junger ukrainischer Soldaten geflutet, die posieren, erbeutete Waffen präsentieren oder mit Traktoren Panzer abtransportieren. Während sich ihre Posts via Social Media weltweit verbreiten, bleiben die Russen in ihren Telegram-Chatgruppen mehr oder weniger für sich.
Die Niederlagen im Informationskrieg haben Folgen. Zum einen sind sie ein Nackenschlag für die Moral der Angreifer, um die es ohnehin nicht gut bestellt ist. Auf der anderen Seite feuern die ukrainischen Social-Media-Posts und Erfolgsmeldungen Widerstandswillen und Durchhaltevermögen der Verteidiger an.
Es ist vielleicht auch Wolodymyr Selenskyj zuzuschreiben, dass sich die Bürger einer Kleinstadt wie Wosnessensk beinahe bewundernswert gegen eine russische Armee zur Wehr gesetzt haben, die die örtliche Brücke über den Bug sichern wollte. Ein Team der britischen «BBC» hat nachgezeichnet, wie Landbesitzer und andere Bürger im Angesicht des Angriffs zu hoch motivierten Kämpfern werden.
In Russland hingegen drohen 15 Jahre Haft für jene, die der offiziellen Propaganda widersprechen. Zwar gibt es Priester, Künstler und gut gebildete, junge Russ*innen, die dagegenhalten, doch ob diese Worte die Landbevölkerung, die Alten und die Ungebildeten erreichen, ist fraglich.
Die Zensur von Medien wie Instagram oder Twitter macht wenig Hoffnung, dass Putins Narrativ vom Ukraine-Einsatz in Russland bald durchbrochen werden könnte.