Deutschland Scholz und Macron: Ukraine soll EU-Beitrittskandidat werden

SDA

16.6.2022 - 16:53

Emmanuel Macron (l), Präsident von Frankreich, und Bundeskanzler Olaf Scholz sprechen sich dafür aus, dass die Ukraine den Beitrittsstatus in die Europäische Union erhält. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Emmanuel Macron (l), Präsident von Frankreich, und Bundeskanzler Olaf Scholz sprechen sich dafür aus, dass die Ukraine den Beitrittsstatus in die Europäische Union erhält. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Keystone

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben sich erstmals dafür stark gemacht, dass die Ukraine ein Beitrittskandidat für die Europäischen Union wird.

«Meine Kollegen und ich sind heute hier nach Kiew gekommen mit einer klaren Botschaft: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie», sagte Scholz am Donnerstag bei seinem lang erwarteten Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Macron ergänzte: «Auf jeden Fall unterstützen wir den Beitrittsstatus der Ukraine zur Europäischen Union.» Neben Macron begleiteten auch Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und der rumänischen Präsident Klaus Iohannis den Bundeskanzler bei diesem Solidaritätsbesuch.

Scholz machte keine konkreten Zusagen für weitere Waffenlieferungen. «Wir unterstützen die Ukraine auch mit der Lieferung von Waffen, und wir werden das weiterhin tun, solange die Ukraine unsere Unterstützung benötigt», sagte er.

Am 113. Tag des Krieges begrüsste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das klare Bekenntnis seiner Gäste: «Der EU-Kandidatenstatus könnte eine historische Entscheidung für Europa sein.» Die Ukraine hatte kurz nach dem Angriff Russlands am 24. Februar einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt.

Scholz, Macron und Draghi waren gemeinsam über Nacht mit dem Zug angereist. Iohannis hatte eine andere Reiseroute gewählt. Selenskyj würdigte den Besuch von Scholz. Es würden Waffen geliefert, auch die gewünschten. «Hier hilft uns Deutschland sehr», sagte er. «Ja, ich bin überzeugt, dass das ganze deutsche Volk die Ukraine unterstützt.»

Macrons klare Aussage zum EU-Kandidatenstatus ist umso bedeutender, da Frankreich derzeit die wechselnde EU-Präsidentschaft inne hat. Draghi sagte bei der gemeinsamen Pressekonferenz: «Präsident Selenskyj hat verstanden, dass der Kandidatenstatus ein Weg ist und noch nicht das Ziel. Ein Weg, auf dem tiefgreifende Reformen notwendig sind in der ukrainischen Gesellschaft.»

Es wird erwartet, das die EU-Kommission in Brüssel am Freitag den Vorschlag machen wird, der Ukraine eine klare Beitrittsperspektive zu geben. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden dann schon in der kommenden Woche auf ihrem Gipfel (23./24.) darüber beraten.

Die Entscheidung, ob die Ukraine Beitrittskandidat wird, muss einstimmig getroffen werden. Beitrittsverhandlungen sind kompliziert und dauern in der Regel Jahre.

Scholz machte sich auch dafür stark, neben der Ukraine auch und ihrer kleinen Nachbarrepublik Moldau den Status von EU-Beitrittskandidaten zuzusprechen. «Deutschland ist für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine. Das gilt auch für die Republik Moldau», sagte er.

Kurz nach der Ankunft des Quartetts wurde in der ukrainischen Hauptstadt Luftalarm ausgelöst, der nach gut 30 Minuten wieder aufgehoben wurde. Auch am Nachmittag beim Treffen mit Selenskyj heulten die Sirenen.

Nach seiner Ankunft besuchte Scholz den teils zerstörten Kiewer Vorort Irpin. Ähnlich wie im benachbarten Butscha waren dort nach dem Rückzug der Russen Ende März knapp 300 teils hingerichtete Zivilisten gefunden worden. Scholz verurteilte die «Brutalität» des russischen Angriffskrieg und sprach von sinnloser Gewalt.

Iohannis verlangte erneut, dass Gräueltaten Russlands vor ein internationales Strafgericht gebracht werden. Draghi traut der Ukraine einen umfassenden Wiederaufbau zu. «Das hier ist ein Ort der Zerstörung, aber auch der Hoffnung», sagte Draghi in Irpin.

In einer ersten Reaktion redete Russlands früherer Präsident Dmitri Medwedew den Besuch klein. Die Politiker müssten mit dem Zug reisen wie vor 100 Jahren und stellten der Ukraine eine EU-Mitgliedschaft und «alte Haubitzen» in Aussicht, meinte Medwedew, der stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates ist. «Das ist alles gut. Aber es wird die Ukraine nicht näher in Richtung Frieden bringen.»

Der Kanzler hat stets betont, dass er nur nach Kiew reisen werde, wenn es konkrete Dinge zu besprechen gebe. Selenskyj fordert die Lieferung weiterer schwerer Waffen und dass die EU schon in der kommenden Woche auf ihrem Gipfel in Brüssel einer Kandidatur der Ukraine für eine Mitgliedschaft zustimmt.

Am Tag vor der Ukraine-Reise des Kanzlers hatte das russische Staatsunternehmen Gazprom zum zweiten Mal kurz hintereinander die Gasliefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland reduziert. Gazprom begründete diesen Schritt erneut mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermutet dahinter hingegen eine politische Entscheidung.

Deutschland-Botschafter Melnyk nannte den Besuch von Scholz in seiner Heimat ein wichtiges Signal. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, es gehe darum, dass Deutschland zügig weitere schwere Waffen liefere, vor allem Artilleriegeschütze wie die Panzerhaubitze 2000 sowie Mehrfachraketenwerfer Mars II.

Seit Mitte März sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs in die Ukraine gereist. Dieser Besuch ist zweifellos der bedeutendste: Scholz, Macron und Draghi repräsentieren die drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten EU-Länder. Die drei Staaten gehören zur G7, in der sich demokratische Wirtschaftsmächte zusammengeschlossen haben. Deutschland hat in dieser Gruppe derzeit den Vorsitz.

Selenskyj hatte Scholz schon vor Wochen nach Kiew eingeladen. Zuerst standen aber Verstimmungen wegen der kurzfristigen Absage einer Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite im Weg.

Nachdem die Irritationen ausgeräumt waren, verwies Scholz darauf, dass es ihm bei einer solchen Reise nicht um Symbole, sondern um Inhalte gehe: «Ich werde nicht mich einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge.»

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