Prozess in Genua «Schlacht der Gutachter» um die «Zeitbombe Morandi-Brücke»

phi

7.7.2022

Vier Jahre nach dem katastrophalen Einsturz der Morandi-Brücke beginnt heute in Genua der Prozess, der klären soll, wer schuld an den 43 Toten des Unglücks ist.

phi

7.7.2022

Fast vier Jahre nach dem verheerenden Einsturz der Morandi-Brücke in Genua beginnt heute der Prozess gegen die mutmasslichen Verantwortlichen. 59 Angeklagte müssen sich vor Gericht verantworten, darunter hochrangige Vertreter des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia (Aspi) und Beamte des Infrastruktur-Ministeriums.

Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob die Brücke ausreichend gewartet und ihr Zustand ausreichend kontrolliert wurde. Die fast 1200 Meter lange Autobahnbrücke war am 14. August 2018 während eines Unwetters auf einer Länge von über 200 Metern eingestürzt und hatte Dutzende Fahrzeuge mit in die Tiefe gerissen. 43 Menschen kamen ums Leben.

Am heutigen 7. Juli beginnt in Genua der Prozess um den Einsturz der Morandi-Brücke.
Am heutigen 7. Juli beginnt in Genua der Prozess um den Einsturz der Morandi-Brücke.
EPA

Die Bilder des Einsturzes gingen um die Welt. Das Unglück warf auch ein Schlaglicht auf den maroden Zustand von Italiens Verkehrsinfrastruktur. Die Brücke des Ingenieurs Riccardo Morandi ist 1967 eingeweiht worden: Weil sie Teil der Autobahn A10 war, war der private Betreiber Aspi für die Wartung zuständig.

Laut «Tages-Anzeiger» wird erwartet, dass die Aspi-Verteidigung argumentieren wird, dass ein Baufehler der Ursprung der Katastrophe sei: «Es steht wohl eine Schlacht der Gutachter bevor», spekuliert die Zeitung. «Die Morandi-Brücke war eine Zeitbombe», sagte etwa der Ermittler Walter Cotugno im Februar. «Man konnte sie ticken hören, aber keiner wusste, wann sie explodiert.»

Aspi rechtzeitig an den Staat verkauft

Am ersten Prozesstag werden ausgeschlossene Kläger letztmals versuchen, doch noch in den Prozess aufgenommen zu werden – so wie das Komitee der Opfer, das die Angehörigen von 22 der 43 Toten vertritt. Nach dem heutigen Auftakt gehen die Richter*innen aber erst einmal selbst in die Ferien: Erst im September soll es dann mit drei Sitzungen pro Woche weitergehen. 

Ersatz für die Morandi-Brücke: die San-Giorgio-Brücke Mitte Mai 2022.
Ersatz für die Morandi-Brücke: die San-Giorgio-Brücke Mitte Mai 2022.
AP

Gerichtspräsident Enrico Ravera geht davon aus, dass die Verhandlungen «sicher ein Jahr, eher aber zwei Jahre» dauern werden: «Meiner Meinung nach wird es vor 2024 kein Urteil geben.» Und selbst wenn es dann gefallen ist, wird das Unglück damit wohl nicht abgeschlossen sein: Der Prozess-Verlierer hat noch zwei Instanzen, an die er das Urteil weiterziehen könnte.

Wer den Prozess definitiv nicht verlieren wird, ist die Benetton-Familie, die 2018 noch Besitzerin der Aspi war: Im Januar 2022 hat der italienische Staat ihnen das Unternehmen abgekauft – für 9,3 Milliarden Euro. Von dem Erlös haben die Benettons 580 Millionen für den Bau der neuen Brücke in Genua gespendet. Für die Benettons bedeutet dieser Verkauf wohl: Glück im Unglück.

Mit Material von AFP.