Moskaus Machtverlust weitet sich ausKämpfe an Russlands Rändern zeigen Putins Schwäche
Von Philipp Dahm
16.9.2022
Konflikt an Grenze zwischen Kirgisistan und Tadschikistan verschärft sich
STORY: Der Konflikt an der Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgisistan verschärft sich offenbar. Beide Seiten warfen sich am Freitag gegenseitig vor, mit schweren Waffen anzugreifen. Der kirgisische Grenzschutz erklärte, tadschikische Sicherheitskräfte hätten das Feuer eröffnet. Es sei entlang der gesamten Grenze zu Zusammenstössen gekommen. Die tadschikische Seite setze dabei auch Panzer ein. Tadschikistan beschuldigte kirgisische Kräfte im Gegenzug, einen tadschikischen Grenzposten und sieben Dörfer mit schweren Waffen angegriffen zu haben. Dabei wurden laut den Behörden in dem Ort Isfara ein Zivilist getötet und drei weitere verletzt. An der Grenze zwischen den beiden jeweils mit Russland verbündeten Ex-Sowjetrepubliken ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Konflikten gekommen. Die aktuelle Gewalt steht angesichts des Ukraine-Kriegs und des ebenfalls wieder aufgeflammten Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan aber unter einem anderen Vorzeichen. Der kirgisische Präsident Dschaparow und der tadschikische Präsident Rachmon nehmen beide aktuell an dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Usbekistan teil.
16.09.2022
Russland büsst international gerade an Gewicht ein. Das wirkt sich auf die Nachbarn auf: Erst greift Aserbaidschan Armenien an, dann bekriegen sich Kirgisistan und Tadschikistan – und Kasachstan flirtet plötzlich mit China.
Von Philipp Dahm
16.09.2022, 16:44
Philipp Dahm
Während sich die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) seit heute im usbekischen Samarkand berät, wird es auch um den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan gehen, der in der Nacht auf Dienstag, den 13. September wieder aufgeflammt ist.
Seit dem 15. September, 18 Uhr MESZ, gilt eine Waffenruhe, die vorerst zu halten scheint. Doch der Frieden scheint brüchig: Armeniens Botschafter in Deutschland warnte vor einer neuerlichen Eskalation der Lage. «Wir haben Angaben, dass Aserbaidschan sich auf neue Aggressionen vorbereitet», sagt Viktor Yengibaryan dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Die Lage kann jede Sekunde eskalieren.»
Armeniens Premier Nikol Paschinjan hätte eigentlich auch zum Gipfel nach Usbekistan kommen wollen, sagte die Reise angesichts der angespannten Lage in seinem Land aber ab. Ganz anders der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev: Der Diktator verteidigt in einer Rede in Samarkand das Vorgehen seiner Armee, zeigt sich aber gleichzeitig vorgeblich zu einem Friedensvertrag mit Armenien – «ohne Vorbedingungen» – bereit.
Mindestens 206 Tote an der blutigen Grenze im Kaukasus
Ob das mehr als ein Lippenbekenntnis von Aliyev ist, der sich beim Gipfel auch mit Wladimir Putin bilateral besprechen will, bleibt abzuwarten. Aserbaidschan will bei den neuen Kämpfen 71 Soldaten verloren haben. Eriwan meldet 135 Opfer: Die Zahl werde wohl noch weiter ansteigen, schätzt heute Premier Paschinjan, gegen den in Eriwan protestiert wird.
Armenien gibt Waffenruhe mit Aserbaidschan bekannt
STORY: Nach dem Wiederaufflammen der schweren Kämpfe zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien haben sich die beiden Länder auf eine Waffenruhe verständigt. Diese sei seit mehreren Stunden in Kraft, dank des Engagements der internationalen Gemeinschaft, hiess es am Donnerstag im armenischen Fernsehen. Der stellvertretende Aussenminister des Landes gab sich dennoch zurückhaltend. O-TON Paruyr Hovhannisyan, stv. Aussenminister Armenien «Ich denke, es besteht ein Risiko dass die jüngsten Ereignisse zu einem Krieg eskalieren. Wir haben schon ein paar Mal versucht, einen Waffenstillstand zu schliessen. Minuten später wurden die Angriffe fortgesetzt.» Von Aserbaidschan lag zunächst keine Bestätigung vor. Am Mittwoch versammelten sich Menschen in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zur Beerdigung von Soldaten, der bei den Grenzkonflikten zwischen getötet wurden. Beide Seiten machen sich gegenseitig für die erneuten Zusammenstösse verantwortlich.
16.09.2022
Machthaber Aliyev sitzt dagegen in Baku fest im Sattel. Aserbaidschans Öl und Gas sind in Europa gefragt. Zusätzliche Rückendeckung bekommt der 60-Jährige, der seit 19 Jahren regiert, aus Ankara.
Russland, das Armeniens Schutzmacht ist, hält sich hingegen verbal auffallend zurück: Moskau hat den Militär-Chef der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OKVS) nach Eriwan entsandt. Anatoly Sidorov soll sich vor Ort ein Bild der Lage machen.
Kämpfe an der Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgisistan
Dass Russland politisch nicht mehr das Schwergewicht ist, das es vor dem Krieg in der Ukraine war, impliziert ein weiterer blutiger Konflikt in Moskaus Nachbarschaft: Auch zwischen Tadschikistan und Kirgisistan sind an der Grenze heftige Kämpfe ausgebrochen.
Tadschikische Truppen beschiessen nach kirgisischen Regierungsangaben seit dem heutigen Morgen Grenzposten. Granat- und Raketenwerfer, Panzer und gepanzerte Fahrzeugen seien gegen kirgisische Stellungen und auch den Flughafen der Stadt Batken eingesetzt worden. 42 Menschen sind dabei angeblich verletzt worden.
Tadschikische Grenzbeamte erklären dagegen, kirgisische Streitkräfte hätten tadschikische Dörfer mit schweren Waffen abgegriffen. Ein Angebot, über einen Waffenstillstand zu verhandeln, sei zunächst ignoriert worden. Nun soll am heutigen Nachmittag dennoch eine Waffenruhe gelten. An der Grenze kommt es öfter zu Spannungen: Im vergangenen Jahr wurden bei einem Streit um Wasserrechte mindestens 55 Menschen getötet.
Nicht Putin, sondern Xi ruft Konfliktparteien zur Ruhe
Frappant: Beide Länder sind sowohl Mitglieder der SOZ wie auch der OKVS. Sprich: Die Staatsoberhäupter von Kirgisistan und Tadschikistan sind gerade ebenfalls in Samarkand, während Soldaten in ihrer Heimat gegeneinander kämpfen. Es ist jedoch nicht Wladimir Putin, der die ehemaligen Sowjetrepubliken zur Räson ruft, sondern Xi Jinping.
Chinas Präsident fordert die Mitglieder heute auf, «ihre jeweiligen Kerninteressen und gewählten Entwicklungspfade zu respektieren». Der 69-Jährige beschwört dabei das Prinzip der Gleichberechtigung: «Die Grossen dürfen nicht die Kleinen schikanieren, die Starken nicht die Schwachen», wird er in Chinas Staatsmedien zitiert.
Dass Peking sich anschickt, dem Kreml in Zentralasien den Rang abzulaufen, zeigt sich aber vor allem in Kasachstan. Das Land ist einerseits ein Verbündeter Russlands, doch andererseits hat Präsident Qassym-Schomart Toqajew aus seinem Unbehagen über Moskaus Invasion der Ukraine keinen Hehl gemacht.
China garantiert Kasachstans Grenzen
Das ist weder bei Putin noch bei der russischen Minderheit in Kasachstan gut angekommen, doch nun stärkt China Toqajew den Rücken. Xi besucht Kasachstan nämlich noch vor seiner Weiterreise nach Usbekistan, und was da besprochen worden ist, macht die kasachische Seite dann auch auf Russisch öffentlich.
Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ)
Der 2001 zunächst mit dem Blick auf den Kampf gegen Terrorismus gegründeten Gruppe gehören heute China, Russland, Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Erstmals seit drei Jahren findet der SOZ-Gipfel wieder in Anwesenheit der Staats- und Regierungschefs statt. Wegen der Pandemie hatten sie zuletzt nur virtuell konferiert. Auf dem Gipfel wird auch der Iran aufgenommen, der bisher Beobachter war. Auch wird über die Aufnahme von Belarus beraten, das wie die Mongolei Beobachterstatus hat. Als Partner eingestuft sind Armenien, Aserbaidschan, Nepal, Sri Lanka, Kambodscha und die Türkei.
Demnach hat Xi Toqajew versichert, für die territoriale Unversehrtheit seines Landes einzustehen. China wendet sich demnach gegen die «Einmischung irgendeiner Kraft» in interne Angelegenheiten Kasachstans. Das darf als Hinweis an Moskau verstanden werden, ist gleichzeitig aber auch eine Absage an demokratische Gruppen, die mehr Freiheiten fordern.
Usbekistan: Wladimir Putin trifft Chinas Staatspräsident Xi
Treffen in Usbekistan. Der russische Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatspräsident Xi Jinping sind am Donnerstag in der Stadt Samarkand zu einem persönlichen Gespräch zusammengekommen. Anlass war der Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.